Leeuwarden. Die Elfstedentocht ist Eislaufrennen und nationaler Mythos. Niederländer hoffen, dass sie bald endlich wieder steigt – wohl vergeblich.
Jeden Morgen schaut Wiebe Wieling nach, wie das Wetter wird. Die Aussichten sind ihm Anlass zu schlechter Laune. Temperaturen hauchdünn über dem Gefrierpunkt, kein harter Wintereinbruch in Sicht. So vergehen die Tage. Die Wahrscheinlichkeit ist gering, dass Wieling zum Ende seiner langen Vereinskarriere wenigstens einmal einen großen Auftritt hinlegen kann. Er wünscht es sich so sehr.
Seit Wochen plant der 69-jährige Friese akribisch das wohl skurrilste und härteste Rennen der Niederlande: die Elfstedentocht, also Elfstädtetour, ein 200 Kilometer langes Eislaufrennen im Norden des Landes. Es führt über zugefrorene Kanäle und kleine Seen durch elf friesische Ortschaften. Wieling ist der Präsident der „Koninklijke Vereniging de Friesche Elf Steden“, der königlichen Vereinigung der elf friesischen Städte. Sie ist für die Organisation dieses Mammutrennens verantwortlich, das auf der Liste Hollands beliebtester Kulturgüter einen vorderen Platz einnimmt. Wieling hat nur ein Problem: Damit die Elfstedentocht stattfinden kann, muss es so richtig kalt sein. Aber wegen des Klimawandels werden niederländische Winter immer milder.
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Elfstedentocht 2025: Klimawandel macht es den Eisläufern schwer
Der frühere Lehrer plant und plant, denn sollte das Langstreckenrennen in den kommenden Wochen stattfinden, wird es ein riesiges Volksfest mit Zehntausenden Teilnehmern und Millionen Zuschauern entlang der Strecke. Wieling ist dieser Tage ein gefragter Mann. Zeitungen und Rundfunksender fragen ihn immerzu nach seiner Prognose: Kann das Rennen 2025 endlich wieder über die Bühne gehen? Wieling bremst die Erwartung. Natürlich sei es „frustrierend“, dass all die Planungen des Vereins im Papierkorb landen, falls es nicht kälter wird. Er habe aber akzeptiert, dass die Chance auf ein Rennen gering sei.
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Wie gering, das hat das Königlich-Niederländische Meteorologische Institut ausgerechnet. Der KNMI-Studie zufolge beträgt die Wahrscheinlichkeit, dass das Wetter den Wettstreit zulässt, gerade einmal acht Prozent – vor 100 Jahren waren es noch 20 Prozent. Bis 2050 könnte die Chance weiter sinken, auf ein mickriges Prozent. Klirrend kalt ist es nur noch höchst selten.
Nicht nur die Studie, auch Wieling gibt dem Klimawandel die Schuld daran, dass es seit fast drei Jahrzehnten keine Elfstedentocht gegeben hat. „Schauen Sie sich nur das aktuelle Wetter an. Das Klima auf der Welt verändert sich schneller als wir dachten“, sagt er zum Regionalsender Omrop Fryslan. Womöglich wird es nie wieder eine Elfstädtetour geben. „Aber solange es eine Chance gibt, gibt es noch Hoffnung und wir müssen bereit sein.“
Elfstedentocht: Nur 15 Rennen seit 1909
Damit das Eis auf den Kanälen dick genug wird, um Schlittschuhläufer zu tragen, braucht es laut Berechnungen von Forschern zwei Wochen lang Temperaturen von um die minus zehn Grad – idealerweise ohne Schneefall. Es müssen also glückliche Umstände zusammenkommen, damit die Elfstedentocht steigen kann. In 115 Jahren seit der ersten Auflage 1909 gab es nur 15 Rennen.
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Das letzte wurde im Januar 1997 angepfiffen. Damals waren auch Wiebe Wieling und seine Frau am Start. 17.000 weitere Eisläufer nahmen ebenfalls am Wettkampf teil, die Schnellsten bewältigten die Strecke in weniger als sieben Stunden. Die Athletinnen und Athleten sausten bei eisigen Temperaturen vorbei an Windmühlen und reetgedeckten Bauernhäusern, 1,5 Millionen Zuschauer feuerten sie an. Ein Tag, der vielen älteren Friesen noch heute im Gedächtnis ist.
Die Jüngeren hingegen kennen die Tour nur aus Erzählungen. Der Präsident hofft, dass er den Niederländern bald eine weitere Auflage verkünden kann. Dieser Winter ist seine letzte Chance. Im Dezember möchte er seinen Vorsitz nach 20 Jahren an einen Nachfolger übergeben. Wenn nichts Unvorhersehbares geschieht, wird er den Posten räumen, ohne ein einziges Mal ein Rennen eröffnet zu haben. Er hätte das gerne erlebt, sagt Wieling. Aber er ist Realist. Die Elfstedentocht ist eine sterbende Tradition.