Aus den Niederlanden. Während in den Niederlanden kommende Woche die nächsten Lockerungen anstehen, warnen Mediziner vor einem Notzustand in den Krankenhäusern.
Angespannte Lage in den niederländischen Krankenhäusern: Mediziner im Nachbarland von NRW fürchten einen Notzustand in den Kliniken. Wenn die Infektionszahlen nicht schnell zurückgingen, dann drohe in der nächsten Woche „Code Schwarz“, sagte der Vorsitzende der Vereinigung der Intensivmediziner, Diederik Gommers im niederländischen Radio.
Bei „Code Schwarz“ muss eine Triage-Kommission in Krankenhäusern entscheiden, welchen Patienten noch geholfen wird. Mehrere Krankenhäuser im Land seien so überfüllt mit Covid-Patienten, dass die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit erreicht sei, sagte Gommers.
Behandlungen verzögern sich wegen Corona
Schon jetzt werden nach Angaben der Krankenhäuser viele Operationen abgesagt, darunter auch Krebs- und Herz-Eingriffe. Den Notzustand in Krankenhäusern hatte es während der Corona-Pandemie noch nicht gegeben.
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Die jetzige Situation hat auch mit jahrelangen Einsparungen im Gesundheitssystem zu tun. "In den Niederlanden ist die Krankenhausversorgung in den vergangenen Jahren maximal effizient gestaltet worden", sagt Andreas Voss, Infektionsmediziner und Professor an der Universität Nimwegen im Gespräch mit unserer Redaktion.
"Ich denke, es ist an sich – aus ökonomischer Sicht – ein ideales System, zumindest in „Friedenszeiten“. Aber während einer Pandemie sieht man, dass es nicht so einfach wie in Deutschland ist, extra Betten oder Personal zu bekommen.“
Mediziner: Lage in den Niederlanden dramatisch
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„In Deutschland hat mancher vielleicht das Gefühl, ein Problem mit der Nicht-Covid-Versorgung zu haben, aber das ist aus unserer Sicht ein relatives Problem, wir in den Niederlanden haben ein dramatisches Problem“, sagt uns auch Alexander Friedrich, Mediziner am Universitätsklinikum Groningen. „Wir liegen derzeit bei etwa 823 mit COVID-19 Patienten belegten Intensivbetten von den 1700, die wir haben."
Und das hat Folgen. "Wir haben dadurch eine Reduktion von 50 Prozent der Nicht-Covid-Versorgung. Und das ist viel", so Friedrich weiter. "Es gibt auch Häuser, die eine Reduktion von 60 Prozent und mehr haben. Wir haben für die dritte Welle von der Standardkapazität von 1150 auf 1700 Betten aufgestockt.“
Nicht-Covid-Patienten nach NRW verlegen?
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Corona-Patienten aus den Niederlanden wie im vergangenen Jahr nach NRW zu verlegen, sei aber nicht notwendig, sagt Friedrich. "Man müsste aus meiner Sicht eher überlegen, Nicht-Covid-Patienten in Deutschland zu behandeln, da wir durch das Aussetzen von Nicht-Covid-Behandlungen einen enormen Behandlungsstau geschaffen haben."
Dazu gebe es aber keine Absprachen. Die Wartezeiten für Nicht-Covid-Behandlungen stiegen immer weiter. "Das kann man nicht einfach so aufholen, das wird bei unserer Kapazität Jahre dauern", so Friedrich. "Das ist aus meiner Sicht für die Patienten inakzeptabel.“
Kommen die Lockerungen wirklich?
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Trotz der angespannten Lage in den Krankenhäusern hält die Regierung weiter an der Lockerung der Corona-Maßnahmen fest. Ab Mittwoch sollen die Ausgangssperre aufgehoben werden und Terrassen von Gaststätten sowie Geschäfte unter Auflagen wieder öffnen dürfen.
Ministerpräsident Mark Rutte sprach von einem „akzeptablen Risiko.“ Durch die zunehmende Zahl der Impfungen werde Anfang Mai ein Rückgang der Infektionen erwartet.
Aktuell gelten die Niederlande als Hochinzidenzland. Zur Zeit kommen auf 100.000 Einwohner rund 280 Corona-Infektionen in einer Woche. In Deutschland liegt diese Sieben-Tage-Inzidenz zum Vergleich bei etwa 164. Wie akzeptabel kann also so ein Risiko angesichts der überfüllten Krankenhäuser sein?
Angst vor einer "Testgesellschaft"
„Ich gehöre zu der Gruppe Menschen, die gerne vorsichtigere Lockerungen gesehen hätten“, sagt Andreas Voss. „Auf den offenen Terrassen sind die Menschen hingegen nicht getestet und so kommen demnächst in den ganzen Niederlanden täglich hunderttausende Menschen zusammen."
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Es wäre möglicherweise eine bessere Strategie gewesen, Menschen wie bei den Testevents nur mit negativem Schnelltests auf die Terrassen zu lassen oder mehr Testevents zu erlauben, so Voss. Doch die Niederlande sehe "eine Zunahme von Menschen, die Angst haben, dass sie nun in einer Testgesellschaft landen und ständig mit Tests kontrolliert werden".
Die niederländische Regierung hat einen anderen Weg gewählt. Doch der muss nicht in Stein gemeißelt sein. „Es ist so, dass Politiker eine Perspektive geben müssen", sagt Friedrich zur Lage. "Aber es können keine Öffnungen kommen, wenn die epidemiologische Situation es nicht hergibt. Das wird man nächste Woche sehen. Es kann noch alles passieren.“(red./dpa)