Essen. Begriffe wie „klimaneutral“ oder „100% recycelbar“ sind nicht geschützt. Immer mehr Unternehmen nutzen das aus. Wie Greenwashing funktioniert.

Einwegmüll ist schön – auf diesen Werbeslogan muss man erst einmal kommen. Der Fast-Food-Riese McDonald’s hatte die Idee und bewarb seinen Verpackungsabfall in der Kampagne „I am beautiful“ als Beitrag zur Nachhaltigkeit: Aus alten, zerknüllten Einwegbechern werden Happy-Meal-Bücher, tönte der US-Konzern. Die Kinderbücher seien eine Chance, bildungsferne Schichten zu erreichen.

Nach Recherchen der Deutsche Umwelthilfe (DUH) jedoch wird gerade ein Drittel der gesammelten Becher für ein spezielles Recyclingverfahren nach Großbritannien transportiert, um dort zu Büchern weiterverarbeitet zu werden. Auch bestehen die Bücher laut DUH nur zu 40 Prozent aus recyceltem Material, 60 Prozent seien neue Fasern. Von einem perfekten Kreislauf keine Spur, kritisiert die Umwelthilfe. Und ebenso falsch sei die Behauptung, die Pommesverpackung aus Pappe seien nachhaltig. Alles doch nicht so grün?

Greenwashing: Umwelthilfe prangert „Umweltlügen“ an

Die Deutsche Umwelthilfe, eine Verbraucherschutzorganisation mit Sitz in Hannover, hat sich den Kampf gegen das Greenwashing auf die Fahnen geschrieben. Greenwashing, das ist ein Kunstwort für die PR-Arbeit von Unternehmen, um sich im Hinblick auf Ökologie und Nachhaltigkeit „reinzuwaschen“. Jahr für Jahr vergibt der klageberechtigte Verein den „Goldenen Geier“ und lässt für den Negativpreis Verbraucher über die „dreisteste Umweltlüge des Jahres“ abstimmen. 2023, man ahnt es schon, ging er an die Marketing-Experten von McDonald’s.

Der Entscheidung von Unternehmen, sich ein nachhaltiges, umweltfreundliches Image zu erarbeiten, hat in vielen Fällen ökonomische Gründe. Klimawandel, Mikroplastik in den Meeren, Massentierhaltung oder die Entwaldung des Planeten sind in den Augen von immer mehr Verbrauchern die Folgen eines Handelns, das nicht nachhaltig ist. Heute gelten Unternehmen, die einen hohen Wert auf eine nachhaltige, klimaschonende, ökologische und auch sozial gerechte Herstellung von Produkten legen, als Gewinner. Für Werbestrategen ist die Nachhaltigkeit von Gütern oder Dienstleistungen ein Must-have geworden, ein wichtiger Marketing- und Wettbewerbsfaktor, der Marktanteile sichern kann.

Werbeslogans wie „klimaneutral“ rechtlich nicht geschützt

Ökologisch, wiederverwertbar und möglichst plastikfrei, so fordern es Verbraucher. Und so buhlen die Unternehmen um die Gunst nachhaltig orientierter Kunden, indem sie Gutes versprechen: „Klimaneutral“, „CO2-neutral hergestellt“, „zu 100 Prozent recycelbar“ lauten Werbebotschaften auf den Verpackungen im Handel.

„Vieles davon ist nicht überprüfbar“, sagt Rolf Buschmann vom Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Philip Heldt von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen kritisiert, dass die Bezeichnung „nachhaltig“ rechtlich nicht geschützt sei: „Ich kann das einfach aufdrucken, weil es immer eine andere Verpackung geben wird, die mehr CO2 verbraucht oder einen größeren Umwelt-Fußabdruck hat.“

Greenwashing bei Flugreisen: im Flugverkehr: EU-Verbraucherverbänden haben  Beschwerde bei der EU-Kommission gegen 17 Airlines eingereicht.
Greenwashing bei Flugreisen: im Flugverkehr: EU-Verbraucherverbänden haben Beschwerde bei der EU-Kommission gegen 17 Airlines eingereicht. © dpa

„Greenflying“: Verbraucherschützer kritisiert Airlines

Greenwashing kennt viele Facetten. Fliegen zum Beispiel: Der Verbraucherzentrale Bundesverband wirft Airlines wie Lufthansa Irreführung von Verbrauchern vor. „Manche Airlines lassen uns glauben, dass Fliegen CO2-neutral oder ,grün‘ sein kann“, so der Verband. Keine der vom Luftfahrtsektor eingesetzten Strategien aber sei derzeit in der Lage, Treibhausgasemissionen zu verhindern.

Der Nutzen von Kompensationsmaßnahmen sei höchst ungewiss, während der durch die CO2-Emissionen von Flugreisen verursachte Schaden für Mensch und Umwelt sicher sei, argumentiert der Europäische Verbraucherverband Beuc. Der Zusammenschluss von Verbraucherverbänden aus 19 europäischen Ländern hat nun Beschwerde bei der EU-Kommission gegen 17 Airlines wegen der Täuschung von Verbraucherinnen und Verbrauchern eingereicht.

Studie: CO2-Ausgleich durch Baumpflanzung oft ohne Belege

Was theoretisch sinnvoll ist: Wer dem Klima schadet, kann zum Ausgleich Bäume pflanzen. Viele Unternehmen werben damit, ihre Emissionen durch Aufforstung auszugleichen. Bäume binden beim Wachsen klimaschädliches CO2. Ein britisches Forscherteam der Lancaster University jedoch wertete kürzlich die Nachhaltigkeitsberichte von 100 der weltweit größten Unternehmen aus.

Demnach gaben 66 Unternehmen an, Ökomaßnahmen durchzuführen, 44 von ihnen pflanzen Bäume, wie es im Fachjournal „Science“ berichtet. Die Studie zeigte aber auch, dass über 90 Prozent kein ökologisches Ergebnis angaben. „In vielen Fällen haben wir festgestellt, dass die Beweise, die große Unternehmen zur Untermauerung ihrer Behauptungen vorgelegt haben, nicht ausreichen“, sagte Hauptautor Tim Lamont.

Marktcheck der Verbraucherzentralen bei Verpackungen

Beispiel Verpackung. Wie verkaufsfördernd Werbeaussagen mit Klimabezug offenbar sind, zeigt der jüngste bundesweite Marktcheck der Verbraucherzentralen. In einer bundesweiten Stichprobe hatten sie im April 2023 Lebensmittel mit Klima- und CO2-Siegeln und Aussagen erfasst. Untersucht wurden 87 Produkte, die auf den Verpackungen mit Siegeln und Aussagen zu Klima und CO2 warben.

Weitere Nachhaltigkeits-Themen für Verbraucher:

Demnach wurde am häufigsten mit der Klimaneutralität von Produkten geworben (53 von 87 Produkten). Aussagen wie „klimaneutral“, „klimapositiv“ und „CO2-positiv“ aber könnten beim Verbraucher zu falschen Vorstellungen führen, kritisierte die Verbraucherschützer. „Meist stecken dahinter Ausgleichszahlungen in Kompensationsprojekte, deren Berechnungsgrundlagen durchaus fragwürdig sein können“, sagte Stefanie Staats von der Verbraucherzentrale Schleswig-Holstein.

Lidl und Umwelthilfe streiten um Einweg-Plastikflasche

Beispiel Recycling. Kann eine Einweg-Plastikflasche wirklich ökologischer sein als eine Mehrwegflasche? Mit einer aufwändigen Werbekampagne und der Behauptung, seine neue 1,5-Liter-Einwegflasche aus Plastik sei eine der ökologischsten Flaschen, hat der Discounter Lidl einen Streit mit Umweltverbänden vom Zaun gebrochen. Die Deutsche Umwelthilfe nennt die Kampagne „Greenwashing“ und bezeichnet die behauptete Umweltfreundlichkeit als „irreführend“.

Kernargument von Lidl ist, dass seine Plastikflasche zu 100 Prozent aus recyceltem PET besteht und der Flaschenkörper „immer wieder aus zurückgegebenen Flaschen“ hergestellt wird. Die Deutsche Umwelthilfe hält vor allem die Darstellung dieses vollständigen Kreislaufs bei Lidl für irreführend. Demnach gebe es bei jedem Recyclingvorgang einen Materialschwund zwischen zwei bis fünf Prozent. „Um das beim Recycling verloren gegangene Material wieder aufzufüllen, bedient sich Lidl bei anderen Marktakteuren und bezieht von ihnen alte Einweg-Plastikflaschen“, kritisiert Thomas Fischer, Experte für Kreislaufwirtschaft bei der DUH. „Der angebliche 100-Prozent-Recyclingkreislauf von Lidl wird so zur Farce.“ Lidl bleibt dabei: Das konzerneigene PET-Kreislaufsystem sei eine der ökologischsten Lösungen.

Wuppertal Institut: Wissen über nachhaltige Produkte fehlt

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Das grundlegende Problem aber ist nach Ansicht von Forschern und V erbraucherschützern: Vielen Menschen fehlt es an Wissen und Informationen, um im Alltag zwischen Greenwashing und Nachhaltigkeit unterscheiden zu können. Das Wuppertal Institut stellte in der „Circular Economy Studie“ fest, dass über die Hälfte der Befragten es als schwer empfand, zu beurteilen, ob Informationen zur Nachhaltigkeit eines Produkts vertrauenswürdig seien. Prof. Henning Wilts, Abteilungsleiter Kreislaufwirtschaft am Wuppertal Institut, sieht den Gesetzgeber gefordert, Verbraucher besser zu informieren.

Wie das konkret gehen könnte, zeigen die die Verbraucherzentralen in Deutschland, vertreten durch den Bundesverband vzbv. Sie fordern strengere Regeln für umweltbezogene Werbung. Versprechen wie: „recycelbare Verpackung“, „bienenfreundlich produziert“, „klimaneutral hergestellt“ oder „aus verantwortungsvollen Quellen“ seien nur einige der unzähligen Aussagen, die eine wachsende Anzahl von Produkten und Dienstleistungen schmückten. Einordnen könnten das die wenigsten Verbraucher. „Solche Bezeichnungen führen Verbraucher in die Irre. Wir brauchen verlässliche Kennzeichnungen, die die Erwartungen der Menschen erfüllen und keinen Platz für Greenwashing lassen“, sagt Wolfgang Schuldzinski, Vorstand der Verbraucherzentrale NRW.

Dies ist ein Artikel aus der Digitalen Sonntagszeitung. Die Digitale Sonntagszeitung ist für alle Zeitungsabonnenten kostenfrei. Hier können Sie sich freischalten lassen.Sie sind noch kein Abonnent? Hier geht es zu unseren Angeboten.