Kürzlich hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier wieder einmal über den gesellschaftlichen Zusammenhalt gesprochen. Steinmeier hatte Bürger zum 70. Geburtstag des Grundgesetzes zu einer Kaffeetafel in den Garten des Schloss Bellevue geladen.

„Sprechen wir mit Menschen, die anderer Meinung sind“, appellierte er an die Gäste. Das ist sein Mantra, der rote Faden seiner Präsidentschaft. Immer wieder, fast flehentlich, fordert der Bundespräsident den gesellschaftlichen Gemeinsinn ein. Er benennt die Bedrohungen des Zusammenhaltes, die Rohheit und die Wut, die insbesondere im Internet die Debatten vergiften. Er weiß: Der demokratische, zivilisatorische Firnis ist brüchig.

Steinmeier stellt die richtigen Diagnosen, aber er dringt nicht wirklich durch. Er wägt oft langatmig das Für und Wider ab, in einer Sprache, die in der Welt der Diplomatie ihre Berechtigung hat, aber jenseits des diplomatischen Parketts ermüdend wirkt. „Ohnmacht ist Gift für die Demokratie“, hat der Bundespräsident bei der Geburtstagstafel auch gesagt, und es ist ja richtig: Menschen, die das Gefühl haben, anstatt gehört nur von einer Politik beherrscht zu werden, deren Kern die Alternativlosigkeit ist, die neigen dazu, sich jenen zuzuwenden, deren Politikangebot eine Melange aus Angstverbreitung und Demokratieverachtung ist.

Aber Frank Walter Steinmeier hat seinen Teil zu dieser Situation beigetragen. Er war es, der seine sozialdemokratischen Genossen in die Neuauflage der Großen Koalition hineindrängte. In dieser Großen Koalition sind Union und SPD zu einer visionslosen und blutarmen Abarbeitung von Politikkompromissen verdammt.

Was es bräuchte, sind inspirierende Impulse. Diese Impulse kann die Große Koalition schon lange nicht mehr geben. Im Gegenteil: Sie reagiert arrogant und hochnäsig auf die Proteste und Zukunftssorgen junger Menschen und befeuert damit die Politikerverdrossenheit. Frank Walter Steinmeier hat es verpasst, diese Politik ins Gebet zu nehmen. Er belässt es bei Worthülsen, die nichts gegen das Gift bewirken. Das ist seine ernüchternde Halbzeitbilanz.