Wesel/Hamminkeln. Nach der Entlassung von Finanzminister Christian Lindner (FDP) sagen Parteivorsitzende vor Ort, was sie nun von der Bundespolitik erwarten.

Das Aus der Ampelkoalition am Mittwoch rückt Neuwahlen in greifbare Nähe – und viele Bürger hätten sich den Schritt nach den vielen Streitereien schon früher gewünscht. Dass Kanzler Scholz erst im Januar die Vertrauensfrage stellen will, stößt auf Kritik auch in der lokalen Politik: Wie soll es nun weitergehen? Wir haben einige Stimmen gesammelt.

„Ich war schon überrascht“, schildert der Ortsverbandssprecher der Weseler Grünen, Horst Münnich, seine Reaktion auf die Entlassung von Finanzminister Christian Lindner. Er kann den Schritt von Kanzler Olaf Scholz gut nachvollziehen: „Deutschland benötigt eine stabile Regierung in der jetzigen Situation.“ Lindner habe jedoch Instabilität verursacht. „Das war nicht mehr tragbar.“ Ein Beharren auf die Einhaltung der Schuldenbremse ist aus seiner Sicht falsch, denn das Land benötige dringend Investitionen. „Man hat ja das Gefühl, es steht alles still.“

Eine schnelle Neuwahl wäre das beste, findet Horst Münnich. Gleichwohl sieht er, dass eine plötzliche Wahlvorbereitung in den Kommunen eine Mammutaufgabe ist. Eine neue, stabile Regierung hält er aber für das wichtigere. Dabei setzt er auf ausreichend Rückhalt für die demokratischen Parteien in der Bevölkerung. Wäre eine schwarz-grüne Regierung nach NRW-Vorbild für den Weseler Grünen vorstellbar? „Ja“, sagt Münnich – auch mit Friedrich Merz. „Es müssen ja die Sachthemen im Vordergrund stehen.“

Dass es eine „Woche der Entscheidung“ für die Ampel wird, stand für den Weseler CDU-Stadtverbandsvorsitzenden Jürgen Göbeler außer Frage. Den Zeitpunkt des Endes der Ampel direkt nach der Wahl in den USA hält er indes für unglücklich. Aus seiner Sicht hat Scholz zu lange gewartet. Jetzt dürfe es aber keine lange Verzögerung mehr geben. Die Vertrauensfrage im Januar zu stellen, hält Göbeler für falsch, weil ein Stillstand drohe: „Wir brauchen jetzt neue Impulse. Das aufzuschieben, ist für Deutschland nicht gut.“ Bei einer Vertrauensfrage „weiß keiner, was passiert“. Der Stadtverbandschef fordert, nun schnell Neuwahlen auszurufen. Die Bildung einer neuen Regierung könnte zwar schwierig werden, weil die Parteien am rechten und linken Rand möglicherweise zulegen werden. „Aber das wird auch im September so sein“, ist Göbeler überzeugt.

Hamminkelner SPD-Chef: Lindner-Rauswurf kam zu spät

Deutliche Worte zur aktuellen Entwicklung findet der Hamminkelner SPD-Parteivorsitzende Malte Schulters: „Ich hätte mir den Rauswurf von Christian Lindner früher gewünscht. Und endlich mal hat Olaf Scholz eine klare Sprache gefunden und Führungsstärke gezeigt.“ Der Blick auf die Regierung sei kein Guter gewesen: zu konfrontativ und damit „absolut schädlich“ für die Sache. Dabei habe die Ampel in der Anfangszeit vernünftige Entscheidungen getroffen, viel durchgebracht – siehe Steigerung des Mindestlohns und der Reallöhne, Überwindung der Gaskrise.

„Aber das blieb blass“, ärgert sich der Sozialdemokrat. Er teilt auch gegen den Kanzler und dessen mangelnde Fähigkeit zur klaren Kommunikation aus. Dass Neuwahlen gut und angebracht sind, ist für Malte Schulters klar, aber wann? „Da bin ich hin- und hergerissen. Es ist offenkundig, dass wir eine neue Lösung brauchen. Ich bin aber nicht an dem Punkt, dass ich da eine klare Meinung habe.“ Und Olaf Scholz wieder als Kanzlerkandidat der SPD? Schulters sehr zweifelnde Antwort: „Ob das die richtige Wahl ist?“

Die Hamminkelner FDP sah sich am Donnerstag außerstande, einen Kommentar zur aktuellen Entwicklung abzugeben. „Wir werden uns heute Nachmittag zusammensetzen. Unser Statement bekommen Sie dann morgen“, erklärte der FDP-Parteivorsitzende Hermann Lackermann auf Anfrage der NRZ.

Sabine Weiss kritisiert persönliche Angriffe

Die Bundestagsabgeordnete für den Wahlkreis Wesel I, Sabine Weiss, sieht die alleinige Schuld nicht bei der FDP: „Der Konflikt zwischen den Koalitionspartnern hat sich über die letzten Monate immer weiter verschärft und zu politischem Stillstand geführt.“ Sie verurteilt, wie die Beteiligten miteinander umgehen: „Öffentliche Statements mit persönlichen Angriffen, Beleidigungen und Schuldzuweisungen, das gehört sich einfach nicht.“ Ihre Fraktion fordert Kanzler Scholz auf, spätestens Anfang nächster Woche die Vertrauensfrage zu stellen. „Wir brauchen kurzfristig einen politischen Neuanfang.“