Wesel. Am 1. Oktober 2004 bezog Ulrike Westkamp als erste Frau das Weseler Bürgermeisterbüro. Wie sie auf die bisherige Amtszeit und die Zukunft blickt.

Am 1. Oktober 2004 übernahm Ulrike Westkamp (SPD) den Chefinnen-Sessel als erste Frau an Wesels Spitze. Was ihr aus diesen 20 Jahren besonders in Erinnerung geblieben ist und welche Veränderungen sie beobachtet, erzählt die Bürgermeisterin im NRZ-Interview.

Können Sie sich an Ihren ersten Arbeitstag als Bürgermeisterin erinnern?

Das war am 1. Oktober 2004. Ich war in Vorfreude, ich weiß auch noch, was ich anhatte, ein helles Kostüm an. Ein Freund von uns hat mir dann eine Tüte geschenkt zum ersten Arbeitstag als Pendant zur Schultüte. Ich hatte direkt sieben Termine. Im Rathaus bin ich sehr freundlich aufgenommen worden und denke gerne daran zurück.

Sie sagen, Sie sind freundlich aufgenommen worden. Sie sind ja die erste Frau in diesem Amt. Hatten Sie anfangs das Gefühl, dass man Ihnen mit Skepsis, mit Vorbehalten begegnet, dass man Sie besonders beobachtet?

Ja, das Gefühl hatte ich. Und ich weiß auch zum Teil – ich komme ja aus Wesel – was manche so geredet haben: ‚Mal gucken, ob die das kann‘. Ich habe mich da ein bisschen drüber amüsiert. Ich hatte ja vielfältige Berufserfahrungen vorher. Das war aber dann nach einer Weile gar kein Thema mehr.

Erinnern Sie sich, was damals die wichtigsten Themen waren?

Das waren andere Themen als heute. Die Fußgängerzone sollte und musste neu gemacht werden. Das ganze Bahnhofsumfeld war sehr in die Jahre gekommen, alt, teilweise kaputt. Es ging darum, einen Tunneldurchstich zu machen auf die Fusternberger Seite, den ganzen Vorplatz neu zu gestalten, zu überlegen, was mit dem Gebäude passieren soll. Vor allem ging es auch darum: Kaufland wollte einen Riesen-Supermarkt errichten neben dem Bahnhof, da wo der Parkplatz ist. Das war auch schon vom Stadtrat so weit auf den Weg gebracht worden. Mein erklärtes Ziel war es, das dort zu verhindern, weil ich diese Entwicklung für falsch gehalten habe. Das ist dann zum Glück auch gelungen. Auf die Innenstadt hat sich das unheimlich positiv ausgewirkt, wir hatten davor einiges an Leerständen. Nach der Entscheidung waren alle Leerstände beseitigt. Mein Vorgänger Jörn Schroh hatte schon einiges auf den Weg gebracht, insbesondere Überlegungen, was man im Bahnhofsumfeld machen kann.

Sie sind dreimal wiedergewählt worden. Haben Sie in den vergangenen 20 Jahren einmal daran gedacht, nicht mehr zu kandidieren?

Nein, ich wollte immer wieder kandieren, weil mir die Arbeit sehr viel Freude macht. Ich habe gerne mit Menschen zu tun und es gibt ja auch immer sehr viel voranzubringen.

Welches ist aus Ihrer Sicht das bisher erfolgreichste Projekt Ihrer Amtszeit?

Zum einen, dass wir die ganze Innenstadt modernisiert haben, damit meine ich die Fußgängerzone, aber auch das ganze Straßenbauprogramm, das ist sehr anspruchsvoll gewesen. Dann das Bahnhofsumfeld, das war sehr herausfordernd. Ich bin froh, dass wir in den Ortsteilen viel erreichen konnten, in Büderich den Umbau der Weseler Straße und des Marktplatzes. Aber ich finde es auch wichtig, dass wir aktuell in den Schulen und in den Kindergärten vorankommen und besonders stolz bin ich darauf, dass es schon gelingt, mit den Menschen im Gespräch zu sein. Das hängt natürlich mit der Größe unserer Stadt zusammen.

Gibt es Entscheidungen, die in den letzten 20 Jahren getroffen wurden, die Sie aus heutiger Sicht anders treffen würden?

Nein.

Vieles entscheiden Sie ja auch nicht alleine, sondern zusammen mit dem Stadtrat. Was waren aus Ihrer Sicht die schwierigsten oder umstrittensten Entscheidungen?

Direkt 2004 gab es eine, nämlich die mögliche Ansiedlung von Kaufland, in der Innenstadt nicht zuzulassen. Das war auch für den Stadtrat eine schwierige Entscheidung, die ist dann mehrheitlich getroffen worden. Fortwährend schwierige Entscheidungen sind natürlich zu treffen, wenn es darum geht, geflüchtete Menschen unterzubringen.

Bürgermeisterin Ulrike Westkamp bei einem Termin der NRZ im Juli 2005. Schon immer war sie gerne mit den Menschen im Gespräch.
Bürgermeisterin Ulrike Westkamp bei einem Termin der NRZ im Juli 2005. Schon immer war sie gerne mit den Menschen im Gespräch. © NRZ | WEISSENFELS, Markus

Beobachten Sie, dass der Ton rauer geworden ist in den vergangenen Jahren, innerhalb der Politik und seitens der Bürger gegenüber Amtsträgern wie der Bürgermeisterin?

Ja, das ist so. Der Ton in der Gesellschaft ist generell rauer geworden. Freundlichkeit wird oftmals über Bord geworfen. Der Stadtrat hat sich in den vergangenen drei Jahren eingespielt in seinem Miteinander. Am Anfang war es sehr schwierig, das hatte meines Erachtens auch mit Corona zu tun. Wir haben ja im Bühnenhaus getagt, wir saßen weit voneinander weg, viele kannten sich auch noch nicht. Das ist jetzt wesentlich sachlicher.

Beobachten Sie auch ein schwindendes Vertrauen in die staatlichen und kommunalen Institutionen?

Das ist sehr unterschiedlich. In der Coranazeit haben wir sehr viele Anfragen bekommen, mit Bitte um Auskunft, um Unterstützung. Da haben die Bürger sich sehr wohl auf die Rolle des Staates, der Stadt konzentriert – und zwar im positiven Sinne. Das war ein stärkeres Miteinander, am Anfang von Corona. Danach hat sich das in eine andere Richtung entwickelt.

„Manchmal halte ich das auch für wichtig, das Kind beim Namen zu nennen“

Ulrike Westkamp

Was kann man denn dagegen tun?

Ich glaube, es ist wichtig, dass wir, auch wenn uns Unfreundlichkeit entgegenschlägt, freundlich bleiben. Das versuchen wir auch. Jeder ist natürlich nur ein Mensch, aber wir versuchen das. Manchmal halte ich das auch für wichtig, das Kind beim Namen zu nennen. Ich hatte letztens so eine Situation, das habe ich dann benannt und gesagt: ‚So geht das nicht‘. Aber es kommt hier nicht so häufig vor wie beispielsweise in Großstädten, weil wir hier familiärer unterwegs sind.

Viele Lokalpolitiker und Bürgermeister haben schon Drohungen und Beleidigungen erlebt. Ist Ihnen das auch schon passiert?

Selten, das ist schon mal vorgekommen. Aber das ist nicht der Rede wert.

Ihr Hünxer Amtskollege Dirk Buschmann, der 2025 nicht mehr antritt, nennt als einen Grund für seinen Abschied die fehlenden finanziellen Spielräume in den Kommunen. Stellen Sie auch fest, dass die Umsetzung wichtiger Projekt zunehmend schwieriger wird?

Ja, das ist so. Wir kriegen immer mehr Aufgaben von oben auferlegt. Gesetze werden verabschiedet, ob das in Düsseldorf oder Berlin ist, aber nicht durchfinanziert. Das geht so nicht. Wir können nicht aus dem Vollen schöpfen vor Ort, deshalb müssen Projekte gestreckt werden oder können gar nicht realisiert werden. Ein Beispiel ist bei uns das Schulbauprogramm. Wir haben uns mit dem Stadtrat entschieden, das natürlich umzusetzen, aber dann zeitlich gestreckt. Aber es gibt auch Projekte, die wir gar nicht anpacken können, weil das Geld nicht da ist.

Kaufhof Wesel schließt
Die Schließung des Kaufhofes ist für die Weseler Innenstadt ein Rückschlag. Es laufen aber Gespräche über eine Nachnutzung der Fläche. © FUNKE Foto Services | Thorsten Lindekamp

Da steht auch im Moment die Flüchtlingspolitik sehr in der Diskussion, weil die Kommunen ja die Menschen unterbringen müssen. Was halten Sie denn von den verschärften Kontrollen an den Grenzen, hilft das den Kommunen weiter?

Ich glaube, dass grundsätzlich die Flüchtlingspolitik anders angepackt werden muss. Es ist mit Sicherheit ein Signal, dass jetzt für eine Zeit die Kontrollen verschärft werden. Das halte ich auch für richtig, um das ganz klar zu sagen. Aber ich kenne noch die Zeiten, als ich als Jugendliche in die Niederlande gefahren bin. Da sind wir immer kontrolliert worden. Ich wünsche mir diese Zeiten nicht zurück. Auf Dauer muss sich die Flüchtlingspolitik dahingehend ändern, dass bei denjenigen, die einen Anspruch haben auf Asyl, wesentlich schneller entschieden wird. Andere müssen zurückgehen.

„Ich glaube, dass grundsätzlich die Flüchtlingspolitik anders angepackt werden muss.“

Ulrike Westkamp
wünscht sich, dass über Asylanträge schneller entschieden wird

Zum Thema Innenstadt: Da war ja die Schließung des Kaufhofes ein schwerer Schlag. Wie kann sich die Innenstadt denn ohne den Kaufhof aus Ihrer Sicht attraktiv aufstellen?

Kaufhof war ein richtiger Schlag ins Kontor. Zu verstehen ist das bis heute nicht, aber das ist Geschichte. Es geht darum, dass die Fußgängerzone sich vom Erscheinungsbild positiv entwickelt, dass neue Geschäfte sich ansiedeln.

Glauben Sie, dass das in nächster Zeit möglich ist?

Ich weiß, dass Gespräche laufen und hoffe, dass sie zügig fortgeführt werden. Wichtig ist natürlich, dass auch vor Ort eingekauft wird. Es kann nicht auf der einen Seite online bestellt werden und auf der anderen Seite geklagt werden, dass die Geschäfte aufgeben.

Der dienstälteste Bürgermeister in Deutschland war Josef Rüddel aus Windhagen, Kreis Neuwied, der 2019 mit 94 Jahren nach 56 Jahren im Amt ausgeschieden ist. Das können Sie nicht mehr toppen. Aber Sie sind ja kürzlich 65 Jahre alt geworden. Möchten Sie im kommenden Jahr noch einmal kandidieren?

Ich werde das Anfang nächsten Jahres sagen. Meine Großmutter ist fast 105 Jahre alt geworden, verglichen damit ist 65 Jahre jung.

Aber Ihr Mann ist ja schon seit einiger Zeit im Ruhestand. Wartet der nicht darauf, dass Sie mehr Zeit haben, für Reisen zum Beispiel?

Mein Mann ist schwer beschäftigt und macht sehr viel. Wir haben, glaube ich, unsere Zeit gemeinsam gut eingeteilt.

Grundsätzlich ist Ihnen die Lust auf das Bürgermeisterin-Dasein noch nicht vergangen?

Nein, ich mache das gerne.

SPD gratuliert der Bürgermeisterin

Die SPD-Fraktion und der Stadtverband gratulieren Ulrike Westkamp zu ihren 20 Jahren im Amt. Die Bürgermeisterin sei eine stolze Sozialdemokratin, die „nie ihre Wurzeln in der SPD versteckt hat und ihr Amt in vorbildlicher Art und Weise überparteilich ausübt.“ In ihrer Amtszeit seien zahlreiche Erfolge für Wesel erzielt worden, wie die Neugestaltung der Fußgängerzone oder die Gründung der Hafengesellschaft Deltaport, für die Zukunft sei unter anderem das Projekt des „Campus Niederrhein“ angestoßen worden.