Kreis Wesel. Erzeuger und Verbraucher von Lebensmitteln im Kreis Wesel sind weit voneinander entfernt. Die SPD diskutierte mit Bauern darüber, wo es hin geht.
Landwirtschaft hat Zukunft – unter diesem Titel hat der Kreis-Weseler Landtagsabgeordnete René Schneider (SPD) zusammen mit der rechtsrheinischen designierten Landtagskandidatin Kerstin Löwenstein aus Hamminkeln zur Online-Diskussion geladen. Die zeigte eine große Entfremdung zwischen Erzeugern und Verbrauchern, die den Bauern auf der Seele liegt. Und einen Markt, bei dem auf dem Weg vom Landwirt bis in den Einkaufskorb viel Geld verdient wird – beim Erzeuger komme es aber nicht an.
Zum Thema Landwirtschaft hat sich die SPD vor der Landtagswahl ein Thesenpapier erarbeitet. Löwenstein formulierte es als Ziel, den Agrarstrukturwandel gerecht zu gestalten, „wo unser Essen herkommt, geht uns alle an“. Doch globale Märkte, niedrige Erzeugerpreise, Pacht, der Druck der großen Handelsketten, dazu Klimawandel und Artenschutz - das Thema hat zahlreiche Baustellen. Löwenstein bezeichnete den Agrarwandel als gesamtgesellschaftliche Aufgabe.
Multifunktionale Landwirtschaft – die Suche nach weiteren Einkommensquellen
Stichwort in diesem Zusammenhang ist die „multifunktionale Landwirtschaft“: Bauern als Naturschützer, Landschaftspfleger, Nahrungs- und Energieproduzenten, Tourismusanbieter. Johannes Leuchtenberg, Vorsitzender der Kreisbauernschaft Wesel, kommentierte: „Wir können eigentlich alles“, man suche nach Lücken um Geld zu verdienen. Allerdings stehe der Ausstieg aus der Biogaserzeugung bevor, „der Preis stimmt nicht mehr“.
Die Forderung des Hünxers Erich Specht, Solarenergie nicht nur auf den Dächern über das Erneuerbare-Energien-Gesetz zu fördern, sondern auch in der Fläche, damit Bauern Energie erzeugen können, stieß auf Widerspruch. Leuchtenberg fürchtet, dass dann die wertvollen landwirtschaftlichen Flächen an die Energieerzeuger gehen - Specht will sie in der Hand der Landwirte sehen.
Guido Lohmann, Vorstandsvorsitzender der Volksbank Niederrhein, stimmte Leuchtenberg zu. Die Moerserin Regina Schauten aus dem Präsidium des Rheinischen Landfrauenverbandes kommentierte: „Wir sind doch vom Herzen her Bauern. Mir fehlt die Wertschätzung für unsere Produkte. Müssen wir alle plötzlich Strom erzeugen?“ Zum Thema Tourismus meinte sie „es kann nicht sein, dass wir die Bespaßer der Städter werden.“
Direktvermarktung: Erdbeeren und Spargel ja, Schwein und Rind eher nicht
René Schneider sprach die Direktvermarktung als regionale Wertschöpfung an. Marcus Vianden von „Land schafft Vertrauen“, dem Verein, der sich aus den Bauernprotesten gegründet hat, wirtschaftet am Bonner Stadtrand und vermarktet direkt. Allerdings hat er Gemüse, Kartoffeln und Hühner. Direktvermarktung sei in Stadtnähe erfolgreich, auf dem Dorf wegen der langen Wege zum Kunden kaum. Bauer Stephan Hufer aus Alpen sieht die Region da gut aufgestellt. „Wir haben relativ kurze Wege zum Verbraucher am linken Niederrhein.“ Allerdings hänge es auch vom Grad der Verarbeitung ab: Spargel und Erdbeeren lassen sich gut am Hof verkaufen. Anders sieht es beim Fleisch aus.
Deshalb will die SPD die Verarbeitungsstrukturen wieder regionaler machen, Schlachthöfe wieder vor Ort haben – und stieß auf Zustimmung bis Skepsis. Landwirtin Maike Schulz-Broers (Land schafft Vertrauen) gab zu bedenken, dass viele Betriebe aufgegeben haben, weil das EU-Recht hohe Auflagen hat. Heinrich Heselmann, Weseler Landwirt und seit 2004 für die SPD im Kreistag Wesel, begrüßte Regionalität, „um dem globalen Markt Alternativen aufzuzeigen“.
Der Umgang mit gesunden Lebensmitteln ist vielen Verbrauchern fremd
Weiteres Thema des Abends war die Ernährungspolitik: gesundes Essen als eine soziale Frage und eine der Ernährungsbildung. Viele Menschen greifen zum Fertigprodukt, weil sie mit frischer Ware nichts mehr anzufangen wissen. René Schneider und die SPD-Landtagsfraktion schlagen kostenloses Essen aus regionalen Lebensmitteln für Kitas und Schulen vor. Und eine Umbauprämie für Betriebe, die anders produzieren wollen.
Maike Schulz-Broers meinte, für 2,70 bis 3,20 Euro pro Mahlzeit sei das nicht zu leisten. Ohnehin sprach sie sich gegen weitere Prämien und Subventionen aus, „da müssen wir irgendwann mal rauskommen“. Die große Herausforderung sei es, die Wertschöpfungskette umzuverteilen, so dass die Erzeuger aus eigener Kraft arbeiten können, „sonst ist das mehr Plan- als Marktwirtschaft“.
Wie damit umgehen, dass die Verbraucher eher zu Fertigprodukten greifen? Regina Schauten bot eine Lösung: „Seit Jahren fordern wir Landfrauen Hauswirtschaftsunterricht in den Schulen. Jetzt trauen wir uns fast nicht mehr und nennen das Fach Alltagskompetenzen.“ Und: „Wo bleibt das Verständnis der Politik?“
Etliche Teilnehmer bezweifeln, dass die Verbraucher Premiumqualität auch bereit sind zu zahlen. Einen großen Einfluss auf den Verbrauch, so ein Beitrag, könnten öffentliche Abnehmer sein: Kantinen beispielsweise. Vieles blieb noch ungesagt in diesen 90 Minuten, etliche Themen konnten noch nicht angeschnitten werden. Der Gesprächsbedarf ist riesig – und, das zeigte sich ebenfalls, eine neue Agrarstruktur eine hoch komplizierte Aufgabe.