Wesel. Weil Gas.de die Belieferung eingestellt hat, mussten die Stadtwerke Wesel kurzfristig einspringen. Der Geschäftsführer verteidigt höhere Preise.

Gut 400 neue Kunden auf einen Schlag: Als Außenstehender könnte man leicht denken, dass wäre eine gute Nachricht für die Stadtwerke in Wesel. Doch was da Anfang Dezember plötzlich auf den städtischen Versorger zugerollt war, bezeichnet Geschäftsführer Rainer Hegmann als eine „herausfordernde Situation“. Weil der Billiganbieter Gas.de von heute auf morgen seine Belieferung eingestellt hatte, mussten die Stadtwerke als Gas-Grundversorger einspringen.

Rund 400 Haushalte waren in Wesel davon betroffen. „Die Gasmengen mussten wir kurzfristig nachkaufen“, sagt Hegmann. Normalerweise kaufen die Stadtwerke für ihre 11 000 Tarifkunden vorausschauend ein, um die Versorgung mit Gas sicherzustellen und die Preise möglichst stabil zu halten. Doch durch die vielen neuen Kunden, die in die Grundversorgung gefallen sind, reichten diese Mengen nicht mehr aus. Die Stadtwerke waren also gezwungen, Gas in größeren Mengen teuer nach zu kaufen.

Das ist derzeit deshalb so teuer, weil die Preise für Strom und Gas in den vergangenen Monaten schier explodiert sind. „An den Energiebörsen herrscht eine historische Preissituation“, sagt Hegmann. Er untermauert die Entwicklung mit Zahlen: Während im September die Kilowattstunde Gas an der Börse noch 2,5 Cent gekostet hat, waren es Ende Dezember schon sechs Cent, zwischenzeitlich schnellte der Preis sogar auf 18 Cent hoch. „Und das ist nur der Einkaufspreis, dazu kommen unter anderem noch Steuern, Abgaben, der Co2-Preis sowie Netznutzungsentgelte“, so Hegmann.

Zweiter Grundtarif für Gas: Kritik von Verbraucherschützern

Das wirkt sich auf die neuen Kunden aus. Die Stadtwerke haben einen zweiten Grundversorgungstarif eingeführt, der aufgrund der deutlich höheren Gaseinkaufspreise um 150 Prozent höher liegt als der normale Tarif. Dort fallen die Haushalte nun rein, die zuvor von Gas.de beliefert wurden. Mit diesem Vorgehen will Hegmann verhindern, dass durch die Übernahme der Neukunden des Billiganbieters auch die Preise für die Bestandskunden angepasst werden müssen.

Während die Vorgehensweise, die von vielen Grundversorgern angewendet wird, aus Sicht des Stadtwerke-Chefs fair ist, um die Bestandskunden vor höheren Kosten zu schützen, gibt es scharfe Kritik von den Verbraucherzentralen. Sie sehen darin eine „fragwürdige Ungleichbehandlung“ und eine Bestrafung der Kunden, die einem freien Markt widerspreche.

Rainer Hegmann, Geschäftsführer der Stadtwerke Wesel, nennt die Situation am Energiemarkt „historisch“.
Rainer Hegmann, Geschäftsführer der Stadtwerke Wesel, nennt die Situation am Energiemarkt „historisch“. © FUNKE Foto Services | Markus Weissenfels

Hegmann hofft, dass der ein oder andere durch das Chaos bei den Energie-Discountern zur Einsicht kommt und künftig auf die Stadtwerke setzt. „Unsere Ergebnisse bleiben als Wertschöpfung in Wesel. Ich würde mir wünschen, dass Kunden das bei ihrer Entscheidung berücksichtigen.“ Rund 100 ehemalige Gas.de-Kunden haben allerdings schon wieder gekündigt.

Für die Bestandskunden bleiben die Preise im Jahr 2022 fast stabil, eine Erhöhung um rund 0,8 Cent pro Kilowattstunde sei jedoch wegen der höheren CO2-Abgabe nötig gewesen, so Hegmann. Für einen Durchschnittshaushalt mit dem Verbrauch von 20 000 Kilowattstunden sind das rund 160 Euro mehr im Jahr. Derzeit arbeiten die Stadtwerke an einem neuen Tarifsystem für Neukunden, welches kurzfristig zur Verfügung stehen soll. Wann und wie massiv sich die explodierenden Kosten auch auf die Stammkunden auswirken, kann der Geschäftsführer kaum abschätzen. Er hofft, dass sich die Situation an der Börse im Laufe des Jahres entspannt.

Stromkunden in Wesel: Hier ist EON der Grundversorger

Betroffen vom Belieferungsstopp durch verschiedene Billiganbieter sind nicht nur Gas-, sondern auch Stromkunden in Wesel. Als Grundversorger springen in diesem Fall aber nicht die Stadtwerke ein, sondern EON (früher Innogy), weil das Unternehmen hier die meisten Haushalte mit Strom versorgt.

Wie viele Menschen in Wesel und einigen umliegenden Kommunen beim Strom in die Grundversorgung des Energieversorgers gerutscht sind, wollte das Unternehmen auf Anfrage der Redaktion nicht preisgeben.Bundesweit haben bisher mindestens 38 Billiganbieterdie Strom- oder Gasversorgung beendet und ihren Kunden gekündigt. Das bekannteste Beispiel ist die Firma Stromio, ein Schwesterunternehmen von Gas.de.