Oberhausen. Oberhausen hat auf Facebook einen im Grunde harmlosen Beitrag zu Weiterbildungen veröffentlicht. Doch plötzlich hagelt es kritische Kommentare.
Kurios: Erst klagten alle über fehlende öffentliche Plätze für die Betreuung der kleinen Kinder und der Kindergarten-Kinder, jetzt aber plötzlich in Oberhausen die Kehrwende: Nun beschweren sich ausgerechnet diejenigen, die sich um die Kleinen kümmern sollen, über fehlende Kinder - und zu viele offene Plätze.
Zumindest kritisieren mehrere Oberhausener Kindertagespflegepersonen, überwiegend Tagesmütter, im Internet, dass es aktuell im Vergleich zur Nachfrage der Familien zu viele offene Plätze gibt. Die Nachfrage der Eltern sei aus verschiedenen Gründen gesunken, die Schräglage bedrohe deshalb die Kindertagespflege in ihrer Existenz. Die Kindertagespflegepersonen berichten auf Facebook sogar von drohenden Schließungen.
Sie machen die Stadtverwaltung für die aktuelle Situation verantwortlich. Sie bilde zu viele Kindertagespflegepersonen aus und steuere nicht genügend das Angebot. Aus Sorge, später keinen Platz in der Kindertagesstätte für ihr dann dreijähriges Kind zu bekommen, würden Eltern ihre Kleinkinder lieber schon jetzt dort anmelden - statt das Angebot der Kindertagespflege zu nutzen.
Wer sein Kleinkind betreuen lassen will, kann entweder nach einem Platz im Kindergarten (Kindertagesstätte) Ausschau halten. Bedingung hierfür ist, dass der Kindergarten auch Plätze für Unterdreijährige vorhält. Oder es wird das Angebot der Kindertagespflegepersonen (früher: Tagesmütter und Tagesväter) genutzt. Die Kleinkinder werden in Gruppen betreut (maximal neun Kinder bei zwei Erzieherinnen). Die Erzieherinnen und Erzieher arbeiten selbstständig und haben oftmals Räume für die Tagespflege angemietet. Viele Eltern empfinden diese Betreuungsform als familiärer, da in Kindergärten nicht selten rund 100 Kinder in verschiedenen Gruppen betreut werden.
Kindertagespflegepersonen gefrustet: Eltern werden unter Druck gesetzt
Doch derzeit gibt es Frust bei den Kindertagespflegepersonen: Auf Facebook postete die Stadtverwaltung einen Beitrag zu einer Qualifizierungsmaßnahme für neue Betreuerinnen und Betreuer. Eigentlich ein harmloser Beitrag, denn es wurde den angehenden Betreuungspersonen viel Glück gewünscht.
Unter diesem Post befinden sich aber nun mehr als zwanzig, teils sehr lange und kontroverse Kommentare. Sie stammen größtenteils von Kindertagespflegepersonen, die ihren Unmut äußern oder sich solidarisieren. Es werde immer weiter ausgebildet, obwohl es jetzt schon schwer sei, alle Plätze zu besetzen, heißt es da.
Andere schildern, dass sie ihre Plätze nicht belegt kriegen. „Die wenigen Anfragen bei mir in der Kindertagespflege, die im Moment da sind, beziehen sich häufig auf Kinder ab drei Jahren. Dafür sind wir als Tagesmütter aber meist gar nicht ausgestattet“, schreibt eine Nutzerin. „Ich weiß nicht, wohin das alles führen soll.“
Auch die Eltern befinden sich nach Darstellung der Tagesmütter und Tagesväter in einer schwierigen Situation. Ihnen werde Druck gemacht, einen Platz im Kindergarten anzunehmen, weil er sonst später weg wäre, behaupten sie unter dem Facebook-Post der Stadt. „Oftmals kommt die Aussage ,Wenn Sie den Platz jetzt nicht für ihr ein- oder zweijähriges Kind annehmen, werden Sie wahrscheinlich mit drei Jahren keinen Platz mehr bei uns bekommen‘“, schreibt eine Nutzerin.
Eine Kindertagespflegeperson bestätigt gegenüber dieser Redaktion die Schilderung. Eltern eines Kleinkindes hätten ihr abgesagt, weil sie lieber im nächsten Jahr den Kindergartenplatz annehmen. Das Kind wäre dann zehn Monate alt. „Viele Kollegen und Kolleginnen betreuen mittlerweile auch Kinder, die drei bis fünf Jahre alt und ohne Kindergartenplatz sind, weil sie nicht bereits mit einem Jahr oder zwei Jahren in den Kindergarten gegangen sind“, sagt sie.
Oberhausen fehlen hunderte Betreuungsplätze
Wie in vielen Großstädten sind auch in Oberhausen Kindergarten-Plätze hart umkämpft. Zwar kann die Stadt den Bedarf an Ü3-Plätzen fast decken. Doch die Rathaus-Fachleute schätzen, dass mehrere hundert Plätze fehlen. Eigentlich haben Eltern einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz.
Zum Kindergartenjahr 2024/25 bot Oberhausen 6409 Plätze an. 95 Prozent der Kinder waren damit versorgt. Im U3-Bereich sieht die Betreuungsquote deutlich schlechter aus. Zum 1. August 2024 betrug sie 48 Prozent. 1265 Plätze befanden sich in Kindertageseinrichtungen, 1246 in der Kindertagespflege. Allerdings beinhalteten diese Zahlen auch eine Reihe von Ausbauprojekten, die am Ende nicht rechtzeitig fertig wurden. Die Linke Liste schätzt, dass in Oberhausen rund 1000 Betreuungsplätze fehlen.
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Dass nun Betreuungspersonen ein Überangebot beklagen, überrascht zunächst. Allerdings ist für diese Gruppe auch besonders wichtig, dass die Kinderpflegeplätze bei ihnen ausgelastet werden. Denn jeder freie Platz bedeutet für sie selbst finanzielle Einbußen.
Angesichts des Gesamtmangels an Plätzen ist auch vorstellbar, dass Eltern lieber den Kindergarten-Platz nehmen. So können sie sicher sein, dass ihr Kind bis zum Grundschulalter betreut wird. Sie müssen also nicht noch einmal wechseln, wenn es drei Jahre alt ist - und überhaupt auf einen freien Platz hoffen.
Oberhausener Verwaltung betont die unternehmerische Eigenständigkeit
Die Stadtverwaltung sieht derzeit allerdings kein Überangebot an Plätzen für Unterdreijährige. Dies sei nicht bekannt, heißt es auf Nachfrage. In einer langen Stellungnahme verweist sie auf die freiberufliche Tätigkeit von Kindertagespflegepersonen. Es bestehe kein Vertragsverhältnis mit der Stadt.
Für die Betreuung erhalten sie nur eine laufende Geldleistung gemäß der gesetzlichen Vorgaben. „Die Tagespflegepersonen sind selbstständig tätig und daher nicht verpflichtet, Kinder aus Oberhausen zu betreuen. Genauso besteht für die Tagespflegepersonen kein Anspruch auf Belegung ihrer Plätze durch die Stadt Oberhausen.“ Heißt also, sie handeln unternehmerisch eigenständig und müssen selbst erwägen, ob die Einnahmen ausreichen.
Zum Vorwurf, dass die Stadt zu viele Kindertagespflegepersonen ausbildet, äußern sich die Rathaus-Verantwortlichen nur allgemein - und verweisen auf geltendes Recht: „Die Stadt Oberhausen hat keine Möglichkeiten, den Tagespflegepersonen, die die Anforderungen erfüllen, eine Pflegeerlaubnis zu versagen und sie somit in ihrer Berufsfreiheit einzuschränken. Ebenso kann die Stadt Oberhausen interessierten Personen eine Qualifizierung zur Tagespflegeperson nicht versagen. Daher ist der Einfluss auf die Anzahl der Tagespflegepersonen durch die Stadt Oberhausen gering.“ Es liegt also auch hier im eigenen Ermessen der Tagesmütter und -väter, ob es eine ausreichende Nachfrage für diese Qualifizierung auf dem Markt gibt.
Genaue Zahlen zum Bedarf und zur Planung will die Stadtverwaltung erst am 5. Februar 2025 im Jugendhilfeausschuss vorlegen.
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