Kaum zu glauben: Wohnung noch im Zustand der 50er Jahre
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Oberhausen. Dank einer originellen Idee sieht es in dieser Oberhausener Wohnung noch genau so aus wie vor 70 Jahren. Welche Farbe das Badezimmer hat.
Die Wohnung am Rande der Innenstadt wirkt vollkommen unscheinbar. Als sich die Tür öffnet, erklingen allerdings ein paar Glöcklein, als wollten sie die Zeitreise einläuten, die hinter der Türschwelle beginnt. Im Flur fällt der Blick direkt auf ein pechschwarzes Telefon, wie man es früher, also ganz früher, kannte: mit Hörer, Wählscheibe und großen Zahlen. Nach ein paar Schritten steht man im Wohnzimmer umgeben von einer Menge Plüsch und prallen Farben, während auf einem gediegenen Holzschrank ein Fernseher wie aus einem Museum thront.
Eines Tages hat der Oberhausener Mieter nichts mehr in seiner Wohnung verändert
Gekauft hat ihn aber Ende der 50er Jahre Onkel Alwin. So nannten den inzwischen verstorbenen Oberhausener Senior Familie, Freunde und Nachbarn liebevoll. Als der Gute sich sein Zuhause richtig schnuckelig eingerichtet hatte, traf er einen folgenschweren Entschluss: Er hat in dieser Wohnung nichts mehr verändert, modernisiert oder dazu erworben. Das mag auch daran liegen, dass damals, ob es nun Möbel waren oder Geräte, sie alle in der Regel ewig hielten. Unter Umständen folgte der Oberhausener auch einfach nur dem Satz auf einer kleinen Schachtel im Wohnzimmer, der da lautet: Sparen bringt Wohlstand.
Was nun seine Beweggründe waren, darüber lässt sich nur spekulieren. Die Wahrheit hat Alwin mit in seine neue Heimat genommen, derweil er der Nachwelt die rund 70 Quadratmeter große Wohnung in dem Zustand der 50er und 60er Jahre hinterließ. Sein Neffe will das gesamte Ensemble erhalten. Um insbesondere die Miete bezahlen zu können, möchte er die Räume für Filmaufnahmen vermieten, wie Alexander Waldhelm, Journalist und selbst Filmemacher, erzählt. Er hat das Redaktionsteam beim Rundgang durch die Wohnung begleitet.
Zeitreise in Oberhausen
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Die Wände in der Oberhausener Wohnung sind voll von gestickten Bildern
Dabei fällt vor allem auch auf, dass sich Onkel Alwin als begeisterter Sammler von allem und jedem hervorgetan hat, wovon zahllose Bierdeckel (Schlegel Urtyp, Brauerei Brenne), eine Fülle an Fernsehzeitungen (Hörzu) oder allerlei Kunstblumen zeugen. Aber das ist längst noch nicht alles. An den Wänden reiht sich ein gesticktes Bild an das andere, von der Mona Lisa bis zum verspielten Kätzchen.
Wer in Ruhe die Deko samt den Tapeten mit ihren Verzierungen betrachten will, kann dazu in einem der sogenannten Cocktail-Sessel Platz nehmen, wie sie große Mode waren: meist mit dünnen Beinen und schlichtem, aber farbenfrohem Polster ausgestattet, aber durchaus bequem. Um die müden Füße ablegen zu können, schaffte Alwin eine kleine Wippe an, auch sie seinerzeit gern genommen, um den Feierabend zu verschönern. Natürlich entstammen nicht nur Sessel und Zubehör den beiden Jahrzehnten, auch das Mobiliar im Schlaf-, Wohn- und Nebenzimmer trägt die Handschrift des damaligen Designs. Der Klassiker ist gleich mehrfach vertreten: Gemeint sind Nierentische, wegen ihrer Form so genannt und universell einsetzbar. Auf ihnen stellte man gern die Etageren ab, womit Gestelle aus Porzellan gemeint sind. Auf mehreren Ebenen lassen sich Knabbereien, Süßigkeiten oder anderen Leckereien ablegen. Man wollte es auch damals gern gemütlich haben.
Die Küche dürfte seinerzeit den modernsten Standards entsprochen haben
Vintage-Fans dürften in diesen Räumen ihre helle Freude haben und wohl ganz besonders an der Küche, die für ihre Zeit modernste Standards erfüllt haben dürfte. Willkommen in der Zeit des Wirtschaftswunders, wie man die Jahre nennt. Man sprach durchaus schon von Einbauküchen, wobei ein Zusammenspiel von Ober- und Unterschränken in angesagten Farben wie zartes Rosa, Himmelblau oder – warum nicht – nüchternes Weiß gemeint war. Der Elektroherd mit vier Platten, Kühlschrank, Toaster oder Kaffeemühle hielten Einzug, sie sollten vor allem das Leben der Hausfrau einfacher machen, hieß es damals.
Da gehörte natürlich auch ein Staubsauger dazu, nicht zuletzt die Firma Vorwerk eroberte gerade im Ruhrgebiet Wohnung um Wohnung. Und sie verteilte Werbegeschenke, wie es ein Kalender des Herstellers im Schlafzimmer beweist. Bett und Schrank entsprechen ganz dem Stil der Zeit: Wie auch die Sessel kommen sie eher schlicht daher, sind aus massiven Holz gefertigt und mitunter von geschwungenen Linien geprägt. Was später der Spiegelschrank werden sollte, hieß seinerzeit noch Frisiertisch mit großen klappbaren Spiegeln und viel Fläche, um Seifen, Parfum oder Kosmetik griffbereit zu haben.
In der Oberhausener Wohnung finden sich zahlreiche Lebensweisheiten
An so manchen Spielarten jener Zeit hatte der Mieter offensichtlich auch sein Gefallen. Ob Nussknacker-Männchen, Geweihe in Groß und Klein oder Figuren exotischer Tiere: Sie alle geben sich bei Onkel Alwin ein Stelldichein. Er hat wohl auch die Vorliebe zu Lebensweisheiten geteilt, die mal gestickt, mal gehäkelt oder in Holz geritzt daherkamen. Beispiel gefällig? „Und wenn dich auch das Schicksal mit allen Linien schlägt, bleibt immer noch die Haltung, mit der man es erträgt.“ Mag sein, dass in solchen Sätzen noch die Erinnerungen an die schlimmen Kriegsjahre durchschimmern.
Aber es gibt auch ganz fröhliche Sätze, wie etwa diesen hier: „Die Welt ist bunt. Ich bin ein Vagabund“. Die Verse stammen aus einem gleichnamigen Schlager des damals sehr bekannten Sängers Fred Bertelmann. Wollte Onkel Alwin im Übrigen Musik hören, konnte er natürlich den Fernseher anstellen in der Hoffnung, dass das eine Programm, Anfang der 60er kam ein zweites hinzu, etwas nach Noten bot. Er hatte aber auch die Möglichkeit, sein Radio einzuschalten, das er mit Knöpfen bediente und per Kurbel nach dem passenden Sender suchte. Alles das kommt in heutiger Zeit äußerst originell daher.
Hinter der Tür kommt das Badezimmer zum Vorschein, ganz in Rosa gehalten
Verwundert schaut man schließlich auch in den Raum, der bislang noch verschlossen blieb. Denn bevor der Besuch endet, öffnet Alexander Waldhelm die Tür gleich neben dem Eingang und zum Vorschein kommt das Badezimmer: Von oben bis unten sind die Fliesen in Schweinchenrosa gehalten, selbst Läufer und WC-Bezug strahlen in dieser Farbe. Knallige Töne, die waren damals Trend, sagt der Filmemacher, was man auch an quietschgelben Lampenschirmen, roten Sesseln oder saftgrünen Kissen erkennt. Auch das Porzellan spricht Bände, wenn Tassen ein tiefblaues Dekor tragen.
Während die Blicke durch die Wohnung schweifen, wartet man nur noch darauf, dass Conny Adenauer, der erste Kanzler im Nachkriegsdeutschland, mit seinem Slogan um die Ecke lugt, der ihm Wahlsiege bescherte: „Keine Experimente“. Hier wirkt er bis heute: Es ist alles beim Alten geblieben.
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