Oberhausen. Kontroverse Debatte im Rat: Oberhausen ist eine Zwei-Milliarden-Euro-Schulden-Kommune, die aber 3180 Menschen beschäftigt. Sind das zu viele?
Manche mögen das durchaus bedauern: Der Ratssaal im zweiten Stock des Oberhausener Rathauses ist selten der Ort für politische Grundsatzdebatten. Die 58 Ratspolitiker achten während der mehrstündigen Ratssitzungen in der Regel gegenseitig darauf, dass der Austausch politischer Argumente recht eng an den jeweiligen Themen der Beschlusspapiere und Anträge erfolgt. Ausufernd sollen die Diskussionen nicht verlaufen, da die Tagesordnung für die ehrenamtlichen Ratspolitiker mit 30 bis 60 Themen sehr dicht ist.
Doch wenige Wochen vor dem entscheidenden Wahljahr im Bund und in den NRW-Kommunen kommt es dann doch in Oberhausen zu einem wechselvollen Schlagabtausch, den einige Politiker in der November-Ratssitzung schnell als „Das ist reiner Wahlkampf“ oder „Das ist nur billiger Populismus“ entlarven wollen - natürlich nur bei den Argumenten der anderen Parteien.
Bürgerbündnis BOB sieht eine aufgeblähte Stadtverwaltung
Am Stellenplan entzündet sich die Debatte. Auf 55 Seiten werden jährlich hier alle Stellen für das Rathaus und angeschlossenen Feuerwehren wie Kindergärten aufgeschrieben. BOB-Ratsherr Ulrich Lütte erinnert an den jungen, forsch argumentierenden CDU-Kandidaten fürs Oberbürgermeister-Amt vor knapp zehn Jahren im Wahlkampf 2015, der versprochen hat, einige hundert Stellen im Rathaus abzubauen. „Daniel Schranz wollte eine Verschlankung der Stadtverwaltung und ich sehe jetzt eine Aufblähung der Verwaltung.“
Bekanntlich hat sich das Rathaus samt Erzieherinnen, Sozialarbeitern, Ordnungskräften und Brandschützern zu einem Jobmotor entwickelt: 2013 lag die Zahl der Stadtbediensteten samt Azubis noch bei 2284. Jetzt sind es 3180, also rund ein Drittel, rund 1000 Köpfe, mehr. Da es mehr Teilzeitkräfte gibt, ist die reine Stellenzahl nicht ganz so drastisch gestiegen: 1877 im Jahre 2013 auf 2392 (ein Plus von 27 Prozent).
Nun gibt es viele Gründe für den Stellenaufbau des Rathauses, einen nennt als Argument gegen Lüttes Aufblähungs-These Linken-Ratsfraktionschef Yusuf Karacelik: die Service-Qualität für die Bürger. „Wir hatten lange Wartezeiten für Bürger im Rathaus, etwa beim Ausländeramt, wo man drei Monate auf einen Termin warten musste. Wir brauchten für mehr Bürgerfreundlichkeit mehr Personal.“
Oberbürgermeister Daniel Schranz wehrt sich direkt gegen den Eindruck, hier würden unnötige Stellen geschaffen, die im Übrigen von der Ratsmehrheit jeweils beschlossen worden sind. Entscheidend sei, dass sich seit dem Wahlkampf 2015 die Welt einschneidend gewandelt habe: Viel mehr Kinder als prognostiziert, keine schrumpfende, sondern durch Zuwanderung wachsende Stadt - und ein unmögliches Verhalten von Menschen im öffentlichen Raum, das man durch mehr Ordnungskräfte regulieren muss.
Oberbürgermeister Daniel Schranz: „Künstliche Intelligenz betreut keine Kinder“
Man benötige deshalb mehr Schulsekretärinnen, mehr Sozialarbeiter, mehr Ganztagsbetreuung, mehr Profi-Personal für schwierige Familien, mehr Erzieherinnen in Kitas und im offenen Ganztag. Sein Fazit: Für grundlegende Aufgaben brauche man zwingend trotz aller Digitalisierungsfortschritte mehr Personal, denn: „Künstliche Intelligenz betreut keine Kinder.“
Häufig sind diese Stellen für wachsende Aufgaben ohnehin gesetzlich verknüpft mit Fallzahlen: Sind mehr Menschen zu betreuen, ist die Stadt verpflichtet, mehr Leute einzustellen. Personaldezernent Michael Jehn verweist zudem darauf, dass viele zusätzliche Stellen eine hohe Refinanzierungsquote durch Zuschüsse des Landes und des Bundes aufweisen - bis zu 80 Prozent.
An diesem Punkt der Debatte sah die vierköpfige Ratsfraktion der AfD eine gute Chance, sich als Hüter der Steuergelder zu präsentieren. „Warum hat die Stadt denn wohl zwei Milliarden Euro Schulden?“, fragt rhetorisch AfD-Ratsherr Erich Noldus - und deutet damit an: natürlich durch Verschwendung. Und AfD-Ratsvorsitzender Wolfgang Kempkes ist überzeugt: „Hier wird auf jedes Problem mit einer Ausweitung des Personals reagiert. Aber wir stoßen an Grenzen: Nicht alles, was wünschenswert ist, ist machbar.“
Platte Verschwendungsvorwürfe trotz jahrzehntelanger Mehrfach-Sparpakete der Stadt und Drohungen der Kommunalaufsicht kennt SPD-Politiker Apostolos Tsalastras natürlich. Der Kämmerer verweist auf Experten-Prüfungen: „Unterschiedliche Gutachten zeigen auf, dass Städte im Strukturwandel unterfinanziert sind: Ihnen ging ein Großteil der Steuereinnahmen durch den Wegfall von Zehntausenden Industriearbeitsplätzen verloren bei gleichzeitigem Anstieg der Sozialkosten.“
Kämmerer Apostolos Tsalastras: Oberhausen hat unzählige Sparrunden geleistet
Wer bisher nicht begriffen habe, woher die Milliarden-Schuldenlasten von Städten wie Oberhausen kommen, der habe jahrelange Diskussionen um Finanzen und Altschuldenlösungen nicht verfolgt - und sich dafür auch nicht eingesetzt. „Oberhausen hat in unzähligen Sparrunden Leistungen für Bürger reduziert und Steuern erhöht. Doch auch die Bürger hier bei uns haben einen Anspruch darauf, ein Leben zu führen, wie es in anderen Kommunen möglich ist.“ Stichwort: Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse im Grundgesetz.
Während Linken-Politiker Yusuf Karacelik glaubt, die AfD zeige nun hier ihr wahres neoliberales Gesicht („Sie will alles, was die Menschen dringend benötigen, alles was funktioniert, wegfallen lassen“), beteuert Kempkes, es gehe der AfD nur darum, zu schauen, welche Pflichtleistung eine Stadt erbringen muss und welche freiwilligen Leistungen unnötig sind.
Das aber würde durchaus die Lebensqualität von Oberhausenern berühren - nicht nur, wenn man an die freiwilligen Kultur-Leistungen denkt. SPD-Ratsherr Manfred Flore verteidigt Ausgaben für die Oberhausener, um mit dem normalen Standard in anderen Städten zumindest mithalten zu können. „Warum soll der Oberhausener heute weniger Schulbildung, weniger Kultur, weniger Service erhalten, nur weil in der Vergangenheit hier ohne Verschulden der Stadt durch den Wandel der Weltwirtschaft 60.000 Industriearbeitsplätze weggefallen sind? Was kann der Bürger dafür?“
Dass es im Übrigen nicht so einfach ist, einen Sparwillen umzusetzen, zeigt die AfD in der gleichen Ratssitzung später mit ihrer Zustimmung zu einem CDU-Antrag, der nur gegen die Stimmen von Linken und FDP genehmigt wurde: Das Rathaus soll eine personelle Aufstockung des Kommunalen Ordnungsdienstes (KOD) vorbereiten, „um die öffentliche Sicherheit und Ordnung in unserer Stadt effektiver zu gewährleisten“. Wieder sollen also mehr teure Personalstellen geschaffen werden.