Oberhausen. Immer mehr Frauen werden Opfer häuslicher Gewalt. Doch die Hilfen reichen nicht aus. Womit die Beratungsstelle in Oberhausen arg zu kämpfen hat.
- Das Problem häuslicher Gewalt nimmt zu, immer mehr Frauen werden Opfer
- Doch Hilfsangebote sind rar, die Nachfrage übersteigt das Angebot deutlich
- Auch die Beratungsstelle in Oberhausen klagt über Unterfinanzierung
Über 250.000 Menschen sind in Deutschland 2023 Opfer von häuslicher Gewalt geworden – 6,5 Prozent mehr als im Vorjahr: Das zeigt das Lagebild „Häusliche Gewalt“ des Bundeskriminalamtes. Und das deckt sich auch mit den Erfahrungen von Sabrina Rees, Leiterin der Frauenberatungsstelle in Oberhausen. „Unsere Zahlen steigen auch stetig“, sagt sie auf Nachfrage unserer Redaktion. Ihre große Sorge: Die alarmierend hohe Nachfrage nach Hilfsangeboten spiegelt sich keineswegs in der öffentlichen Finanzierung wider.
Seit 39 Jahren gibt es den Verein „Frauen helfen Frauen Oberhausen“, der Träger von Frauenberatungsstelle und Frauenhaus ist. „Und immer noch kommen Frauen zu uns, die sagen: Ach, ich wusste gar nicht, dass es Sie gibt“, sagt Sabrina Rees. Dabei seien sie so sehr angewiesen darauf, bekannt zu sein. Dann kämen vielleicht auch mehr Spenden bei ihnen an. Es sei nicht so, dass die Menschen in der Stadt nicht gerne geben würden, sagt Sozialpädagogin Rees, doch meistens seien dies Sachspenden, mit denen das Frauenhaus mehr anfangen könne. Was sie in der Beratungsstelle brauchen, ist etwas anderes: mehr Geld.
Scheidung, Stalking, sexuelle Übergriffe: Hilfe durch die Frauenberatungsstelle Oberhausen
434 Frauen haben 2023 bei der Frauenberatungsstelle in Oberhausen Hilfe gesucht. 1225 Termine haben insgesamt stattgefunden. Es ging um Trennung und Scheidung, um psychische, physische und sexualisierte Gewalt, im häuslichen Umfeld und anderswo. Drei Vollzeitstellen, zu 85 Prozent finanziert vom Land und eine weitere von der Stadt Oberhausen finanzierte Stelle stehen für all diese Beratungen, die manchmal nur wenige Wochen, manchmal jedoch auch bis zu einem Jahr andauern können, zur Verfügung. „Wir gehen auch an Schulen, um dort Präventionsarbeit zu leisten, knüpfen Netzwerke, müssen uns ohne Sekretärin um unsere Verwaltung und unsere Steuern kümmern“, zählt Sabrina Rees die umfangreichen Aufgaben ihrer Beratungsstelle auf.
Jedes Jahr entstehe dabei eine große Finanzierungslücke – ein „Eigenanteil“, der nicht vom Land oder von der Stadt übernommen wird. Für 2024 beträgt diese Lücke aktuell 15.000 Euro. 2025 werde der fehlende Betrag voraussichtlich auf 40.000 Euro steigen, vermutet Sabrina Rees. Geld, das die Frauenberatungsstelle auftreiben muss, um ihre Kosten decken zu können. „Bisher hat die Stadt uns immer geholfen“, sagt sie. „Wir sind froh, dass die Stelle trotz der schwierigen Haushaltslage nicht gestrichen wurde.“ Vorwürfe mache sie dem Bund und dem Land NRW. Dort müsse eine Lösung gefunden werden, „im Idealfall eine gesetzliche Vollfinanzierung“. Es ist grotesk: Die Mitarbeiterinnen der Beratungsstelle sind ständig damit beschäftigt, den Fortbestand ihrer Arbeit zu sichern - während die Nachfrage stetig steigt. Rees: „Theoretisch sind unsere Verträge unbefristet, aber das ist nur eine Illusion. Alle vier Jahre müssen wir Anträge ans Land stellen und darauf hoffen, dass ihnen stattgegeben wird.“
Gewalt gegen Frauen gibt es in allen gesellschaftlichen Schichten
Die meisten Frauen, die sich an Sabrina Rees und ihre Kolleginnen wenden, sind 26 bis 40 Jahre alt, doch es sind alle Altersklassen von 18 bis 60 vertreten. Die Männer, von denen sie bedroht, gedemütigt und attackiert werden, stammen aus allen Gesellschaftsschichten. „Das ist weder Schicht- noch Berufs-abhängig. Das ist der Anwalt, der Polizist, der Arbeitslose von nebenan, der Flüchtling und der Ur-Deutsche.“ Jede vierte Frau sei einmal in ihrem Leben von übergriffigem Verhalten betroffen, sagt Rees. „Das bedeutet auch, dass jeder vierte Mann ein Täter ist.“ Diese erschreckenden Tatsachen würden viele nicht wahrhaben wollen. Familie und Freundinnen würden oft bagatellisieren, was den Frauen widerfährt. „Stell dich nicht so an“, „Versuchs‘s doch noch einmal“, lauteten häufige Kommentare.
„Frauen sind traditionell verantwortlich für das heile Bild der Familie“, sagt Rees. Insbesondere Müttern falle der Absprung daher schwer. Die Täter würden sie zusätzlich isolieren. So geschehe viel Leid im Verborgenen. Was ist mit den Debatten rund um „Me Too“, die Psycho-Tricks der „Lover Boys“, die sexuelle Ausbeutung von Frauen auf bestimmten Rockkonzerten? So viele, auch prominente Beispiele wurden in den Medien und vor Gericht verhandelt. „Das sind Bewegungen, die Frauen Mut machen“, sagt Sabrina Rees. Viele würden glauben, dass die schlimmen Dinge nur ihnen passieren. Oder sie schämten sich dafür, so lange in einer toxischen Beziehung ausgeharrt zu haben. Oftmals werde der schreckliche Alltag auch einfach zur Normalität.
Auch nach Jahren berühren die einzelnen Geschichten ihrer Klientinnen den Beratungs-Profi Sabrina Rees. „Wenn ich in ihren Augen und an ihrer Körperhaltung sehe, was das mit der Frau macht, kommen mir manchmal die Tränen.“ Dennoch liebe sie ihren Job. „Wir können etwas bewegen“, sagt sie. „Die Frauen, die zu uns kommen, wollen ihr Selbstwertgefühl wieder aufbauen. Wir sehen so viel Energie und Power.“ Umso größer sei ihr Unbehagen darüber, in welche Richtung sich die Finanzierung der Hilfen entwickeln werde: „Die Ergebnisse der EU-Wahl machen mir Angst. Wir sind immer auf Regierungen angewiesen, wir sind vom Politischen abhängig.“
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