Mülheim. Nach dem Beben in Berlin wird über den Zeitpunkt von Misstrauensvotum und Neuwahlen heiß diskutiert. Die Mülheimer Politik zum Ampel-Crash.
Das Aus der Ampel-Koalition mit dem Rauswurf von Finanzminister Christian Lindner (FDP) durch SPD-Bundeskanzler Olaf Scholz sorgt auch im politischen Mülheim für Anspannung. Die Reaktionen.
In Mülheim und Essen-Borbeck sei die SPD „organisatorisch und inhaltlich bereit“ für eine mögliche vorgezogene Neuwahl des Deutschen Bundestages, nahmen am Donnerstag Mülheims SPD-Parteichefs Rodion Bakum und Nadia Khalaf zunächst trocken Stellung zum Berliner Beben. Auch die Vorbereitungen für die Kommunal- und OB-Wahl im September 2025 liefen. Später sagte Bakum, der Schritt von Kanzler Scholz sei „ein konsequenter Schritt“ gewesen, der der Blockadepolitik der FDP ein Ende setze. Noch für Donnerstagabend war eine Videokonferenz mit dem örtlichen Bundestagsabgeordneten Sebastian Fiedler zum Austausch mit allen Mülheimer und Borbecker Parteimitgliedern terminiert.
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Mülheims SPD-Bundestagsabgeordneter Fiedler sieht keinen Sinn im Vorziehen der Vertrauensfrage
Wie Bakum sieht auch Fiedler keinen Sinn darin, die Vertrauensfrage im Bundestag vorzuziehen für schnellstmögliche Neuwahlen. Die Vertrauensfrage in der nächsten Woche zu stellen, bringe gegenüber dem Kanzler-Vorschlag lediglich vier zusätzliche Sitzungswochen, so Fiedler. Er sieht wie Scholz die Option, mit der CDU Kompromisse zu finden, um bis Weihnachten wichtige Entscheidungen herbeizuführen: zum Haushalt, zur Stärkung der Wirtschaft und zur Unterstützung der Ukraine. Wer sofort Neuwahlen wolle, mute den Bürgerinnen und Bürgern Briefwahl und Wahlkampf zur Weihnachtszeit zu. Das sei unnötig, weil die Exekutive ja trotz Ampel-Aus weiterarbeite.
„Die Zusammenarbeit war wirklich ein Desaster.“
Fiedler bilanzierte für seinen Arbeitsbereich, die Innenpolitik, eine „katastrophale Zusammenarbeit“ mit der FDP. Dringend notwendige Entscheidungen zur IP-Adressspeicherung etwa habe Justizminister Marco Buschmann „sachfremd“ blockiert, indem dieser als Gegenleistung Änderungen im Mietrecht eingefordert habe. Finanzminister Lindner habe seit Frühjahr 2022 einen Vorschlag blockiert, wie Deutschland erfolgreicher gegen Geldwäsche und beim Aufspüren schmutziger Gelder hätte werden können. „Die Zusammenarbeit war wirklich ein Desaster“, so Mülheims Bundestagsabgeordneter.
Grünen-Politikerin aus Mülheim vermisste Verlässlichkeit beim Koalitionspartner FDP
Angefasst reagiert Mülheims Bundestagsabgeordnete Franziska Krumwiede-Steiner (Grüne): Man habe es sich „anders gewünscht“. Angesichts der weltpolitischen Lage und der Sorgen vieler Bürgerinnen und Bürger hätte sie sich mehr Verlässlichkeit vom Koalitionspartner FDP gewünscht. „In den letzten drei Jahren haben wir gemeinsam viel für unser Land erreicht – vom Ausbau erneuerbarer Energien über den sozialen Zusammenhalt bis hin zur Stärkung der wirtschaftlichen Stabilität. Leider ist eine Fortsetzung dieser Arbeit nicht möglich, da Arbeitsverweigerung und Egoismen, insbesondere seitens des Finanzministers Christian Lindner, eine Einigung verhindert haben“, so die bitterböse Bilanz von Krumwiede-Steiner.
„„In den letzten drei Jahren haben wir gemeinsam viel für unser Land erreicht – vom Ausbau erneuerbarer Energien über den sozialen Zusammenhalt bis hin zur Stärkung der wirtschaftlichen Stabilität. Leider ist eine Fortsetzung dieser Arbeit nicht möglich, da Arbeitsverweigerung und Egoismen, insbesondere seitens des Finanzministers Christian Lindner, eine Einigung verhindert haben.“
Gerade in diesen schwierigen Zeiten hätten die Menschen im Land eine handlungsfähige Regierung verdient. „Ich persönlich hätte gerne mindestens den Digitalpakt 2.0, die Familienstartzeit, den gestaffelten Mutterschutz und die Migrationsberatung in der Ampel abgeschlossen. Es gibt noch viel zu tun“, so die Grünen-Politikerin.
Mülheims FDP-Kreisvorsitzende: Liberale bleiben ihren Prinzipien treu
„Lindner beweist, dass er ein echter Überzeugungstäter ist, der nicht bereit ist, unsere Werte selbst bei Erpressung zu opfern.“
Ganz anders bewertet die FDP-Kreisvorsitzende Alondra von Groddeck die Lage. „Mit klarem Bekenntnis zu unseren Prinzipien und unserer Verantwortung für das Land hat Christian Lindner sich standhaft geweigert, die Schuldenbremse aufzuweichen – selbst auf die Gefahr hin, seinen Posten zu verlieren. Lindner beweist, dass er ein echter Überzeugungstäter ist, der nicht bereit ist, unsere Werte selbst bei Erpressung zu opfern“, sagte sie.
Zweifellos habe die politische Lage 2021 die Ampel unausweichlich gemacht, sagte sie. Dennoch gelte, damals wie heute: „Lieber nicht regieren, als falsch zu regieren.“ Die FDP habe jetzt Vorschläge für eine Wirtschaftswende gemacht, die SPD und Grüne nicht zustande brächten. Ihr Ergebnis seien Schulden für kommende Generationen, ein überregulierter Staatsapparat, überhöhte Steuern und Abgaben sowie zu viele Sozialleistungen. Das belaste die Wirtschaft, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. „Unser Land steht nun vor einer Richtungsentscheidung: Aufbruch oder Abstieg“, so von Groddeck.
Mülheims CDU-Bundstagsabgeordnete: Ampel hat historisch schlechte wirtschaftliche Lage zu verantworten
Bleibt die in Umfragen aufblühende CDU. Für sie äußerte sich Astrid Timmermann-Fechter, die aktuell noch auf den harten Oppositionsbänken im Berliner Bundestag sitzt. „Die Ampelregierung ist gescheitert. Nach drei Jahren Regierungszeit hinterlässt sie eine historisch schlechte wirtschaftliche Lage und eine Bevölkerung, die das Vertrauen in die Politik und den Staat verloren hat. Massiv gestiegen sind dagegen die Staatsschulden und die Bürokratie.“
„Wir benötigen baldmöglichst klare Verhältnisse.“
Deutschland brauche dringend eine handlungsfähige, stabile Regierung, die die vielfältigen aktuellen Herausforderungen entschlossen anpacke. „Wir benötigen daher baldmöglichst klare Verhältnisse“, fordert Timmermann-Fechter schnelle Neuwahlen. „Es gibt keinen Grund, diese weiter herauszuzögern.“ Alles andere sei Parteitaktik, das könne sich das Land in der aktuellen wirtschaftlichen und außenpolitischen Lage nicht leisten. Die CDU stehe bereit, Verantwortung zu übernehmen.
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