Mülheim. Ein Anrufer fordert seine Bankkarte samt PIN. Das machte den Herrn stutzig. Er lockt den Kriminellen in eine Falle. Vorsicht, mahnt die Polizei.

Nicht zum ersten Mal erhielt er solch einen Anruf, bei dem er gleich merkt: Hier sind Trickbetrüger am anderen Ende. Dieses Mal aber spielte Wolf-Rüdiger Deichsel das Spiel mit – solange, bis der Kriminelle in Handschellen am gusseisernen Tor hing. Von einem herausragenden Verhalten spricht die Polizei – und warnt doch vor der Nachahmung.

Jens Bergmann von der Rechtsabteilung der Sparkasse sei am Telefon, es gebe da eine Ungereimtheit mit der Rechnung einer holländischen Firma über 7000 Euro. Schon nach dem ersten Satz wittert Wolf-Rüdiger Deichsel das Ansinnen des Anrufes. „Das war eine schlecht gewählte Legende, denn bei der Sparkasse Mülheim gibt‘s gar keine Rechtsabteilung“, sagt der 80-Jährige. Doch er lässt das Gespräch laufen.

Anruf bei Mülheimer Senior: „Geben Sie Ihre Bankkarte an der Haustür ab“

Ob er von der hohen Rechnung wisse, fragt der Anrufer. Nein? Ja, dann seien wohl Kriminelle am Werk, das habe man sich bei der Sparkasse längst gedacht. Am besten ließe er die Bankkarte sperren, rät Jens Bergmann dem Senior, dazu benötige er auch die PIN - „damit alles seine Richtigkeit hat“ - lügt er frech in den Hörer. Und Wolf-Rüdiger Deichsel spielt mit, nennt eine (erfundene) Zahlenkombination und willigt ein, die Bankkarte zu Hause abholen zu lassen. Allerdings könne das erst später am Tag geschehen, denn zunächst stehe ein Arzttermin an. Ob sie das Gespräch später fortsetzen könnten, leitet der 80-Jährige den Trickbetrüger auf eine Fährte. „Ich war neugierig, wie die an mein Geld kommen wollen“, erzählt der Mülheimer.

Der Betrüger willigt ein und kündigt an, sich später wieder zu melden. Die Zwischenzeit nutzt Deichsel, um bei der Sparkasse nach einem Jens Bergmann zu fragen und die Polizei zu informieren. Beide winken ab: Bei der Sparkasse gebe es keinen Mitarbeiter mit diesem Namen und bei der Polizei meint man: „Der meldet sich eh nie wieder, den kriegen wir nie.“ Da hatten sie allerdings die Rechnung ohne Deichsel gemacht.

Kriminalhauptkommissar rät gerade Älteren zu mehr Misstrauen

Als sich der Betrüger am Nachmittag erneut meldet, heißt es, ein Praktikant – zufälligerweise gerade ganz in der Nähe - könne die Bankkarte samt PIN abholen. Für den Vorgang gebe es sogar ein Aktenzeichen. Spätestens an dieser Stelle der Schilderung muss Ralf Ruttkowski breit grinsen.

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Der Kriminalhauptkommissar ist Experte für Kriminalprävention und Opferschutz und weiß: „Mit einem Aktenzeichen kriegt man jeden Deutschen - oder mit einer Dienstnummer. Gerne geben sich die Kriminellen nämlich auch als Polizisten aus.“ Ruttkowski rät daher gerade älteren Menschen zu mehr Misstrauen. Denn: „Diese Generation hat noch Respekt vor Behörden, ist sehr arglos und zu Hilfsbereitschaft erzogen.“ Das wüssten auch die Betrüger und suchten im Telefonbuch gezielt nach altertümlich klingenden Namen. Kriminelle wie „Jens Bergmann“ hätten so leichtes Spiel.

Mülheimer nimmt Betrüger im Auto mit – bis die Polizei kommt

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„Der Jüngling also kam“, setzt Wolf-Rüdiger Deichsel seine Schilderung fort. „Dem hab ich dann ein zugeklebtes Kuvert mit einer Bankkarte übergeben. Das Konto dazu hatte ich allerdings 14 Tage vorher aufgelöst.“ An dieser Stelle könnte der Krimi zu Ende sein – ist er aber nicht. Deichsel bietet dem jungen Mann an, ihn mit in die Stadt zu nehmen. Dieser schlägt das Angebot zunächst aus, willigt dann aber doch ein - der Bus sei ihm gerade vor der Nase weggefahren. Was der Betrüger nicht ahnt: Kaum sitzt er im Auto, ruft Deichsels Frau die Polizei.

„Erst kam ein Polizeiwagen, dann der zweite, da waren wir umzingelt.“ Als der junge Mann – nach Angaben der Polizei 19 Jahre alt – schließlich mit Handschellen am Gartentor festgekettet ist, habe er sich regelrecht bei ihm bedankt, erinnert sich der Senior. „Er war froh, raus aus den kriminellen Machenschaften zu sein, er sei erpresst worden, habe deshalb mitgemacht.“ Dass nun eine ganze Betrügerbande der organisierten Kriminalität auffliegt, weil Deichsel den jungen Boten überlistet hat, glaubt Experte Ruttkowski indes nicht: „Die einzelnen kennen immer nur den nächsten über ihnen in der langen Kette. Jemand, der am Ende verloren geht wie der Bote, ist schnell ersetzt.“

Polizei-Experte: 10.000 bis 30.000 Euro erbeuteten Trickbetrüger im Durchschnitt

Wolf-Rüdiger Deichsel (r.) aus Mülheim berichtet Kriminalhauptkommissar Ralf Ruttkowski, der bei der Polizei Essen/Mülheim für Seniorenprävention und Opferschutz zuständig ist, wie er einen Betrüger ausgetrickst hat.
Wolf-Rüdiger Deichsel (r.) aus Mülheim berichtet Kriminalhauptkommissar Ralf Ruttkowski, der bei der Polizei Essen/Mülheim für Seniorenprävention und Opferschutz zuständig ist, wie er einen Betrüger ausgetrickst hat. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

So weit zu gehen wie der Mülheimer, den Kriminellen sogar im Auto mitzunehmen, davor warnt der Polizeibeamte ausdrücklich und sagt zu Deichsel: „Sie hätten auch als Geisel enden können.“ Überhaupt sei „Otto-Normal-Rentner“ mit solch einer Situation sicherlich überfordert. Der 80-Jährige aber sei „ein Fuchs. Nicht jeder ist so geschickt, von daher raten wir immer dazu, so einen Anruf abzubrechen und sich nicht in Gefahr zu bringen.“ Was den 80-Jährigen befähigte, so gewieft mit dem Betrüger umzugehen: Er war Jahrzehnte als Soldat tätig, „in einer der Sicherheit dienenden Funktion“, zudem als Schöffe bei Gericht tätig.

10.000 bis 30.000 Euro erbeuteten Trickbetrüger wie „Jens Bergmann von der Sparkasse“ – im Durchschnitt, macht Ruttkowski deutlich. Hinzu komme die Dunkelziffer der Fälle, die der Polizei verborgen bleiben – nicht selten aus Scham. Gerade die Masche mit Schockanrufen – „Ihr Enkel hatte einen schlimmen Unfall“ – spiele mit Emotionen und treibe die Opfer in die Kopflosigkeit. „Die Betrüger sind rhetorisch brillant und reagieren geschickt auf jede Regung ihres Gegenübers. Erst versuchen sie es als Charmebolzen, dann bauen sie Druck auf.“

Der Experte für Seniorenprävention betont: „Hochdramatische Ereignisse wie den tödlichen Unfall eines Angehörigen teilt die Polizei niemals am Telefon mit. Außerdem ruft die Polizei nie mit der Nummer 110 an, fragt nicht nach dem Kontostand oder ob man viel Schmuck im Haus habe und fordert nie, Wertsachen oder Geld herauszugeben.“ Jens Bergmann und sein Handlanger zumindest sind in diesem Fall leer ausgegangen. Aber Ralf Ruttkowski mahnt zur Wachsamkeit: „Wir haben jeden Tag solche Fälle. Wer bis jetzt nicht Opfer geworden ist, hat schlicht Glück gehabt.“

Wer einen Trickbetrug erlebt hat - ob nur versucht oder gar vollendet - soll sich immer mit der Polizei in Verbindung setzen unter 110.

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