Mülheim. Der jahrelange Disput um die alte VHS kocht neu auf. Die Stadt Mülheim soll wegen Verletzung der Organtreue verklagt werden. Wie geht es weiter?
Es ist die nächste Eskalationsstufe, vielleicht sogar die ultima ratio - in einem Streit, der schon Jahre fortwährt und eigentlich keiner mehr ist, zuletzt zumindest. Um sich zu streiten, braucht es zwei Parteien, die diskutieren und sich austauschen. Zuletzt wirkte es mehr wie eine Einbahnstraße, etwa als die VHS-Initiative Oberbürgermeister Marc Buchholz vor der Ratssitzung im April eine Stellungnahme überreichte. Damals hieß es, man wolle weiter im Gespräch bleiben, sobald es einen erkennbaren Lösungsansatz gibt. Der jedoch blieb aus. Grund genug für die Initiative, rechtliche Schritte einzuleiten.
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Erich Bocklenberg und Inge Ketzer stehen vor dem Bauzaun, der die Heinrich-Thöne-Volkshochschule in der Müga säumt. Sie wirken entschlossen. Vor einigen Wochen, kurz vor den Sommerferien, so erzählen sie, konsultieren sie einen Anwalt. Stellvertretend für die Initiative, deren Vertretungsberechtigte sie sind, wenden sie sich an Robert Hotstegs. Der Düsseldorfer Anwalt ist auf Verwaltungsrecht spezialisiert, genauer gesagt sogar auf Bürgerbegehren. „Es geht uns um die Frage, was so ein Bürgerbegehren überhaupt noch wert ist“, sagt Erich Bocklenberg.
Mülheimer VHS: Vergleichbare Fälle gibt es kaum
Den Bürgerentscheid, der am 6. Oktober 2019 zugunsten der Bürgerinitiative ausging, sehen die beiden VHS-Verfechter ignoriert. Damals hatten 18.022 Bürgerinnen und Bürger und damit knapp 66 Prozent aller Beteiligten auf die Frage „Sollen VHS-Grundstück und -Gebäude in der Müga im Eigentum und Besitz der Stadt Mülheim bleiben und der VHS-Betrieb dort wieder aufgenommen werden?“ mit „Ja“ geantwortet. Seitdem jedoch ist dem Entscheid nicht entsprochen worden.
Präzedenzfälle gibt es keine, erklärt Jurist Robert Hotstegs. „Keine andere Kommune hat ihre Untätigkeit nach einem Bürgerbegehren jemals so ausgesessen. Dieser Fall wird Rechtsgeschichte schreiben müssen.“ Eine Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts NRW aus dem Jahr 2007 besagt: „Es spricht vieles dafür, dass die Vertreter eines zu einem erfolgreichen Bürgerentscheid führenden Bürgerbegehrens einen verfahrensrechtlichen Anspruch auf Durchführung des Bürgerentscheids haben.“ Derzeit arbeite Hotstegs an der Klageschrift, wolle sie möglichst zeitnah beim zuständigen Verwaltungsgericht in Düsseldorf einreichen. „Wenn alles nach Plan läuft, rechnen wir 2025 mit dem Prozess, vielleicht schon im Frühjahr.“
„Wir haben viele Unterstützer und einiges an Spenden gesammelt.“
Da die Bürgerinitiative keine Rechtsform oder ein Verein ist, kann sie nicht im Gesamten als Klägerin auftreten - dafür aber ihre Vertretungsberechtigten Erich Bocklenberg und Inge Ketzer. Das bedeutet, dass die Anwaltsrechnungen und im Falle eines Prozessausgangs zugunsten der Stadt auch die Prozesskosten von den beiden als Privatpersonen getragen werden müssen. „Wir haben viele Unterstützer und einiges an Spenden gesammelt“, so Inge Ketzer. Auf lange Sicht werde man aber auch weiterhin auf Spenden angewiesen sein.
Mülheimer Kläger müssen die Kosten im Zweifel selbst tragen
Was der Prozess letztlich kosten wird, hängt auch davon ab, durch wie viele Instanzen der Fall gehen wird. „Wir sind aber bereit, weiterzugehen“, sagt Robert Hotstegs. Er könne nur grob schätzen, in welchem Bereich sich die Kosten bewegen werden. „Der Streitwert, der als Orientierung dient, liegt bei Bürgerbegehren, die vor Gericht landen, bei 15.000 Euro“, so der Jurist. Davon ausgehend müsse man zunächst mit einem mittleren, vierstelligen Betrag rechnen. Aller Vorhersehbarkeit zum Trotz, ein Kosten-Risiko bliebe.
„Das, was die Stadt macht, ist Versagen, so gesehen Organversagen.“
Wie hoch die Chancen auf einen Sieg Bocklenberg/Ketzer vor Gericht stehen, vermag derzeit niemand sicher zu beurteilen. Grundlage für die Klage soll §26 der Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen bilden. Der besagt unter anderem: „Der Bürgerentscheid hat die Wirkung eines Ratsbeschlusses“, und „Der Bürgermeister [...] führt diese Beschlüsse [...] unter der Kontrolle des Rates und in Verantwortung ihm gegenüber durch.“ Für Robert Hotstegs ein ganz klarer Fall. „Dieser Verpflichtung sind Rat und Oberbürgermeister bislang nicht nachgekommen.“ Aus juristischer Sicht liege darin die Verletzung der sogenannten Organtreue begründet. „Das, was die Stadt macht, ist Versagen, so gesehen Organversagen.“
Konfrontiert mit dem Vorhaben der Bürgerinitiative, eine Klage einzureichen, teilt die Stadt mit: „Zur VHS gibt es keinen neuen Sachstand.“ Darüber hinaus werde man sich aktuell nicht äußern. „Für uns steigt die Frustration immer weiter“, sagt Erich Bocklenberg. „Reaktionen von der Stadt kriegen wir kaum noch, so kommen wir nicht voran. Das Instrument Bürgerbegehren muss ein scharfes Schwert sein und dafür werden wir kämpfen.“
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