Mülheim. Rico ist ein Goldendoodle und lehrt Kinder der Mülheimer Grundschulen das Lesen. Wie ihm das gelingt, hat Besitzerin Birgit Hass erklärt.
„Sein Blick ist glaube ich das schönste an ihm, wie er mich oder aber auch die Kinder anschaut, das erweicht jedes Herz“, meint Birgit Hass und schaut dabei ihren Hund Rico liebevoll an. „Der Name kommt von meinem Lieblingskinderbuch ,Rico, Oskar und die Tiefenschatten’, geschrieben von Andreas Steinhöfel“, erklärt sie. Der sechs Jahre alte, schwarze Goldendoodle liegt eingerollt, wie eine Schnecke, in seinem Körbchen.
Als Hass seinen Namen nennt, hebt er kurz den Kopf, legt die schwarze Schnauze dann auf den Rand seines kuscheligen Hundebettes. So ruhig und ausgeruht liege er auch da, wenn ihm die Grundschulkinder die Geschichten vorlesen, sagt Hass. Rico ist nämlich ein sogenannter Lesehund. Ein Hund, der Kindern hilft, ihre Lesekompetenz zu steigern. Ohne zu korrigieren, ohne Mimik und Gestik ihres Gegenübers, lesen die Kinder Rico regelmäßig Geschichten vor. Die Kinder sollen so die Angst vor dem Vorlesen verlieren und ihre Freude am Lesen entdecken.
Idee des „Lesehund“ stammt aus Amerika
„Die Idee stammt eigentlich aus Amerika“, weiß Birgit Hass, die diese Aktion ehrenamtlich betreibt. Sie als gelernte Lesepädagogin habe dieses Projekt so begeistert, dass auch sie unbedingt einen Lesehund in ihrer ehemaligen Arbeitsstätte, der Stadtbücherei Mülheim integrieren wollte, sagt die Rentnerin.
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Noch im Welpenalter wurde Rico mit seinem Frauchen dann als sogenannter „Reading Education Assistance Dog“, also als Lesehund, ausgebildet. „Natürlich denkt man am Anfang auch: Hoffentlich ist Rico für diese Aufgabe auch geeignet. Ich hatte selbst noch keine Erfahrung und natürlich macht man sich Gedanken, ob es überhaupt funktioniert“, gibt Hass zu. Vor ihrer ersten Vorlesezeit mit Rico sei sie „natürlich aufgeregt gewesen.“ Sie habe jedoch, nachdem sie die theoretische und praktische Prüfung abgelegt hatte und offiziell einen Lesehund führen durfte, bereits mit ihren Nichten und Rico zusammen die Vorlesezeit eingeübt. „Rico ist toll. Er ist sehr freundlich, kinderlieb, stressunempfindlich und so ruhig. Spätestens da war klar, dass er ein super Lesehund sein würde“, ist sich Hass sicher.
Nach anfänglicher Zurückhaltung der meisten Kinder, „viele sitzen am Anfang am anderen Ende der Lesedecke“, verlieren sie im Laufe der Zeit immer mehr die Berührungsängste mit dem Tier. „Ich selbst bin in erster Linie nur Beobachterin und falls Schwierigkeiten auftreten, kommuniziere ich immer über den Hund und sage: Schau mal, ich glaube, Rico hat gerade mit dem Ohr gezuckt, er hat wohl etwas nicht richtig verstanden, versuche doch den Satz zu wiederholen“, erklärt Hass ihre Methode.
Kinder werden von den Mülheimer Grundschulen ausgesucht
Nach einigen Wochen merke sie bereits, dass die Kinder selbstbewusster und die Stimme beim Vorlesen fester und lauter werde. Welche Kinder Rico vorlesen dürfen, werde von den Lehrerinnen und Lehrern der einzelnen Grundschulen bestimmt. Sie würden ungefähr alle sechs Monate drei bis vier verschiedene Kinder auswählen, deren Lesekompetenz gestärkt werden solle. „Die ganzen Vorlesehefte sind in Lesestufen eingeteilt, sind immer bebildert und werden schwieriger und umfangreicher. Vielen Kindern ist es wichtig, dass auch Rico die Bilder nach dem Vorlesen sehen kann“, berichtet Birgit Hass aus ihren Erfahrungen. Es mache ihr Freude zu erleben, wie gut den Kindern die Nähe zu dem Hund tut, wie sie sehen kann, dass Lese-Hemmungen abgebaut werden und alle Misserfolge des Vorlesens zuvor vergessen sind.
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Die Pandemie habe jedoch die Fortschritte einiger Kinder enorm zunichte gemacht. „Ich hatte zuerst überlegt, die Vorlesezeit mit Rico digital anzubieten. Aber diese Form der Leseförderung besteht einfach aus dem direkten Kontakt mit den Kindern“, so Hass. Dennoch habe sie per Telefon versucht, die Bindung zu den Kindern nicht zu verlieren. Einige haben Bilder für Rico gemalt, ein Mädchen hat ihm sogar ein Gedicht geschrieben. „Das hat mich ganz besonders gefreut. Das Mädchen ist ein Flüchtlingskind und hatte am Anfang sehr starke Ängste. Nun ist sie so selbstbewusst geworden und schreibt sogar ihre eigenen Gedichte. Ricos und meine Rechnung ist aufgegangen“, resümiert Hass. Nun, da die Vorlesezeit auch wieder in Präsenz stattfinden könne, stehe bei den Kindern nicht nur das Lesen im Fokus: „Sie erzählen Rico wie sie die Pandemie erlebt haben, vertrauen ihm wirklich ihre Gefühle an. Er ist ein echter Seelentröster.“