Moers/Wuhan. Aiša und Henry (17) aus Moers haben bei Gastfamilien in Wuhan gelebt. Warum sie sich oft wie Promis fühlten – und was von Corona geblieben ist.
Aiša Berilo und Henry Blanke sind sich sicher: Diese Klassenfahrt werden sie niemals vergessen. Zwei Wochen lang reisten die beiden 17-Jährigen mit einer 25-köpfigen Adolfinum-Delegation quer durch China, lebten sogar für einige Tage in Gastfamilien in der Stadt Wuhan, wo vor etwa fünf Jahren das Coronavirus seinen Ursprung hatte. Genauso lange ist es her, dass der Chinesisch-Kurs des Moerser Gymnasiums letztmals seine Partnerschule im „Reich der Mitte“ besucht hatte. Es war Zeit, die Corona-Pause zu beenden und das seit 2009 bestehende Austauschprogramm wieder aufleben zu lassen, befand Thorsten Klag. „Neben dem Spracherwerb im Unterricht können die Teilnehmer beim Austausch authentische Einblicke in das Leben und die Kultur Chinas bekommen“, erklärt der Schulleiter. Vorurteile über China gibt es schließlich reichlich. Doch nicht alle bewahrheiten sich.
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Ohne große Erwartungen oder Bedenken ist Henry Blanke in Frankfurt in den Flieger Richtung Peking gestiegen. Heute, nach seinem 14-tägigen Asien-Aufenthalt, ist der Zwölftklässler voll des Lobes: „China ist ein sehr angenehmes, willkommenheißendes Land, das vor Modernität nur so strotzt.“ Auch seine Mitschülerin Aiša Berilo würde die Reise jedem empfehlen, der die Möglichkeit hat. Und das, obwohl ihr Umfeld zunächst skeptisch war, als die Schülerin von ihrer bevorstehenden Klassenfahrt erzählte: „Viele haben ein negatives Bild von China und haben mich gefragt: ‚Bist du sicher, dass du dahin möchtest?‘“ Highlights wie der Sommerpalast in Peking mit seiner atemberaubenden Szenerie aus Seen, Gartenkunst und einer riesigen Pagode oder der Besuch einer Panda-Aufzuchtstation in Chengdu erstickten diese Zweifel schnell im Keim.
Reise nach China: Moerser Schülerin muss für viele Fotos posieren
Ebenso unbegründet waren Bedenken, als es weiter nach Wuhan ging. „Man hat die Auswirkungen von Corona schon bemerkt“, meint Henry. Der Reiseleiter habe der Moerser Schülergruppe erzählt, dass die 13-Millionen-Einwohner-Stadt vor dem Ausbruch der verheerenden Krankheit einst für Tourismus bekannt war. Andere Reisende konnten die Jugendlichen aber kaum erkennen. Für die Einheimischen war es also etwas Besonderes, mal wieder Besuch aus Europa zu bekommen. Was mitunter, sagen wir, gewöhnungsbedürftige Begleiterscheinungen hatte. „Man hat sich oft prominent gefühlt“, sagt Aiša und führt aus: „Es kam ziemlich oft vor, dass Chinesen mich ohne zu fragen fotografiert haben. Einmal hat mir eine Mutter für ein Foto sogar ihren Sohn auf den Schoß gesetzt.“ Auch Thorsten Klag musste beim Einlauf in die Partnerschule etliche High-Fives verteilen, Videos von ihm kursierten später in asiatischen sozialen Netzwerken. „Es hatte was vom Staatsempfang“, resümiert der Schulleiter lachend.
Und nicht nur für Erinnerungsfotos waren ständig Kameras auf die Moerser Reisegruppe gerichtet. Die hierzulande oftmals kritisierte staatliche Überwachung in China waren deutlich bemerkbar. „Ab einem Punkt gewöhnt man sich daran, dass man immer seinen Reisepass dabei haben muss und überall Kameras sind. Irgendwann nimmt man das gar nicht mehr wahr und fühlt sich sogar deutlich sicherer“, schildert Henry. Andere fühlen sich durch die eingeschränkte Freiheit eher gehemmt. Aber das gehört dazu. „Man muss sich eben anpassen, wenn man als Gast in ein Land kommt“, meint auch Aiša.
Adolfinum-Schüler aus Moers landet unverhofft auf chinesischer Polizeiwache
Zumindest bei einem Schüler sorgte die strenge Kontrolle der Regierung dann doch für einen mittelschweren Kulturschock, wie Aufsichtslehrerin Regine Meyering berichtet. „Plötzlich habe ich einen Anruf von einem Schüler bekommen und hörte nur: ‚Die fahren mit mir zur Polizeiwache, ist das normal?‘.“ Hinter dem besorgten Anruf steckte aber nichts schlimmes: Die Gastfamilie hatte schlicht vergessen, die Behörden über ihren Besucher aus Deutschland zu informieren. „Sie sind dazu verpflichtet, zu melden, wer sich wie lange bei ihnen aufhält“, weiß die Lehrkraft, die schon mehrere China-Fahrten mitgemacht hat.
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In ihren eigenen Gastfamilien wurden Aiša und Henry herzlich empfangen, lecker bekocht – und stellten einige große Unterschiede zum Alltag ihrer niederrheinischen Heimat fest. Einer davon liegt im Leistungsdruck: „Die Schule steht bei jungen Leuten immer an erster Stelle. Mein Austauschschüler hat den ganzen Abend nur gelernt“, sagt Henry. Auch für die Gastgeberin von Aiša drehte sich vieles ums Thema Schule. „Sie hat immer wieder angesprochen, wie froh sie ist, dass sie durch den Austausch ausnahmsweise nicht abends und am Wochenende in der Schule sitzt.“ Bezeichnend: Als Einheimische kannten sich die jungen Chinesinnen und Chinesen in ihrer Heimatstadt nicht sonderlich gut aus. „Mit mir war meine Austauschschülerin zum allersten Mal im Einkaufszentrum“, sagt die Adolfinum-Schülerin.
Die angehende Abiturientin ist froh, im etwa 130-mal kleineren Moers zu leben. Als Reiseziel würde sie die asiatische Nation aber immer wieder in Betracht ziehen. „Die Zeichen stehen gut, dass wir nächstes Jahr wieder Besuch aus Wuhan in Moers empfangen können“, stellt Thorsten Klag in Aussicht. „Dann suchen wir auch wieder Gastfamilien für unsere nächste Reise im Jahr 2026.“
Beliebte Fremdsprache
Seit dem Schuljahr 2009/2010 können Schülerinnen und Schüler am Gymnasium Adolfinum das Fach Chinesisch in der gymnasialen Oberstufe als neu einsetzende Fremdsprache wählen. Initiiert wurde dieser Schritt einst durch die Lehrerin und Muttersprachlerin Yihu Schlossarek, wie Schulleiter Thorsten Klag berichtet. Seither bestätigt die hohe Nachfrage der Schülerinnen und Schüler, dass die Sprache im weltweiten Kontext, sei es politisch oder in der Arbeitswelt immer relevanter wird. In der aktuellen Einführungsphase (Jahrgangsstufe 10) kamen am Adolfinum zwei Chinesisch-Kurse zustande. 40 der insgesamt rund 140 Schülerinnen und Schüler haben das Fach gewählt. In der zwölften Klasse können sie im Rahmen des Austauschprogramms zur Partnerschule in Wuhan reisen.