München/Moers/Breda. NRW ist nicht arm an Fußballvereinen. Warum es in Moers dennoch einen Fanclub des TSV 1860 München gibt und was er am Wochenende zu feiern hatte

15 Uhr, 2 Grad minus und dichtes Schneetreiben im Stadion an der Grünwalder Straße in München. Aber Christian de Jongs Augen strahlen: „Herrlich, es war herrlich!“ Und dabei schafft er es jetzt erst zur zweiten Halbzeit auf die Tribüne seines Lieblingsvereins. Und – schlimmer noch: Wie viele Tore hat er in der ersten Hälfte gesehen? De Jong reckt den Daumen nach oben. Eins. Von dreien. Das kurz vor der Halbzeit zum 3: 0. Als die Partie schon entschieden war.

Doch die erste Viertelstunde, in der die 60er mit zwei Toren in Führung gingen, hat er verpasst. Als das ausverkaufte Stadion diese durchaus überraschend starke Anfangsphase mit Applaus und Feuerwerk feierte, faltete de Jong in den Katakomben sorgfältig die Stange und das Tuch der riesigen Fahne wieder zusammen. Vor blauen und weißen Rauten prangen die Wappen von Moers und dem Kreis Wesel – und in der Mitte natürlich ein Löwe. Und wer mit den Symbolen nichts anfangen kann, kann es immerhin lesen: „Niederrhein-Löwen Moers“ steht da. Oder besser. Stand da.

Zwei Tore verpasst, im Schnee gefroren – und dennoch glücklich

Zwei Tore verpasst, im Schneetreiben ausgeharrt und dafür neun Stunden Anreise aus Breda in den Niederlanden? „Ja“, der 38-jährige Lokführer strahlt dennoch. Vermutlich könnte es sein Glück nicht einmal mehr trüben, wenn die Spieler von 1860 München, die da unten über den halbverschneiten Rasen rutschen, die Führung verspielen würden. Und dass der einzige Niederländer im Kader, der wohl jetzt ehemalige Abwehrchef Jasper Verlaat, 90 Minuten auf der Bank frieren darf, stört ihn auch nicht.

Hup, Christan, hup: Lass den Löwen nicht im Hemdchen frieren;: Fahnenschwenker Chrstian de Jong aus Breda kurz vor seinem Einsatz
Hup, Christan, hup: Lass den Löwen nicht im Hemdchen frieren;: Fahnenschwenker Chrstian de Jong aus Breda kurz vor seinem Einsatz © Unbekannt | Paul WessA

Christian de Jong war da, wo er immer schon einmal hinwollte: auf dem heiligen Rasen, wo jetzt das Spiel der dritten Liga gegen den FSV Zwickau stattfindet: Er durfte endlich einmal die Vereinsfahne der „Niederrhein-Löwen“ in das Stadion des TSV 1860 München tragen. Durchs Schneetreiben und im kalten Wind hat er knappe zehn Minuten geschwenkt. „Mir ist warm“, sagt er und deutet auf sein Herz. Was sagen denn seine niederländischen Kollegen dazu? Auch im Land von Oranien soll es ja angeblich Fußballvereine geben? „Tja, die denken, ich bin krank“, sagt er.

Das muss wohl die Liebe zum Fußball im Allgemeinen und zu den Münchener Löwen im Besonderen sein. Mit der Liebeskrankheit hat ihn sein Vater angesteckt, der war in den 60ern (wann sonst?) mal in München bei den 60ern – und fortan Fan.

Von der Tribüne hat Harald Hau zugesehen wie „seine“ Löwenfahne vor der Nordtribüne geschwenkt wurde. Der Vorsitzende des Fanclubs der Niederrhein-Löwen hat Christian de Jong an seinem großen Tag begleitet. Muss er ja, er ist schließlich der Chef. Hat den Stammtisch der Niederrhein-Löwen vor 31 Jahren ins Leben gerufen und sechs Jahre später als Fanclub anerkennen lassen, mit Satzung und „e.V.“ und einem Treffpunkt an einem Bahnwaggon, wo es zum Spiel Haxen und Hacker-Pschorr (die Münchner halten es für Bier) gibt. Er organisiert nun das Vereinsleben von 23 Mitgliedern am Niederrhein und drei Niederländern, die mangels eines Löwen-Fanclubs im Nachbarland am Niederrhein Aufnahme fanden. Auch, wenn auf de Jongs Kutte neben hunderten anderer Aufnäher ein großer Aufkleber von den „Niederländischen Löwen-Fans, Regio Breda“ kündet. Es gibt keine anderen Regionen. Übrigens hat er da zu dem Blau-Weiß der Löwen noch einen roten Streifen gemischt, so erinnert es wenigstens ein wenig an die niederländische Fahne.

„Bua, du musst ein Sechzger werden.“

Und wie kam Harald Hau aus Moers zu den Löwen? Seine Oma kam aus München-Giesing, wuchs zu Füßen des Giesinger Bergs auf und hat zu ihm gesagt, als er selbst in Moers mit dem Fußballspiel begann: „Bua, du musst ein Sechzger werden.“ Harald Hau, mittlerweile mit 68 selbst im besten Großelternalter, hörte auf seine Großmutter. Jedenfalls nach seiner aktiven Fußballerzeit. Und da Liebe, wenn sie denn leben soll, immer auch Zeichen der Zuneigung braucht, gründete er den Fanclub für den Münchener Verein, der zwar in München die Zuneigung der Einheimischen genießt, aber natürlich in der Wahrnehmung ansonsten, nun ja, zwei Ligen unterhalb der Bayern steht.

Gut, dass es zum Start dieser zweiten Halbzeit, die um 15 Uhr begonnen hat, 3:0 steht, da hat Harald Hau Zeit zu plaudern und muss nur ab und zu mal aufs Spielfeld schauen und anfeuern, applaudieren und auf den Schiedsrichter schimpfen. „Der pfeift heute keinen Elfer“, sagt er. Obwohl die Fans mindestens vier fordern. Aber die Löwen haben nur ein Gegentor in ihren Käfig bekommen und spielen das 3:1 locker runter. Da kann er entspannt in der 60. Minute (wann sonst, bei den Sechzgern?) den Fanschal schwenken und das Löwenlied singen. Inhalt: Dass der Verein der beste ist, auch wenn Punkte und Ligen – natürlich nur zeitweise – etwas anderes sagen. Aber dafür die treuesten Fans hat. Was Fans halt so singen.

Glückauf und Grüß Gott, das geht gut zusammen: Auf Christian de Jongs Kutte haben sich dutzendee Aufnäher versammelt, aber der der Niederrhein-Löwen ist natürlich der Wichtigste.
Glückauf und Grüß Gott, das geht gut zusammen: Auf Christian de Jongs Kutte haben sich dutzendee Aufnäher versammelt, aber der der Niederrhein-Löwen ist natürlich der Wichtigste. © NRZ | Stephan Hermsen

Zurück zu den Löwen vom Niederrhein: Zwar gibt es Fanclubs der 60er in den USA und China, deutschlandweit können die Niederrhein-Löwen für sich in Anspruch nehmen, nach den Nordlöwen der am weitesten entfernte Fanclub zu sein: Jedes Spiel ein Auswärtsspiel. Weswegen sich die Mitglieder die Spiele meist gemeinsam im Fernsehen anschauen. Außer, wenn der Spielplan die Löwen in die Region treibt: nach Duisburg oder Essen, Dortmund, Osnabrück, Oldenburg, Meppen.

Harald Hau hat Zeit zu erzählen, seine Löwen sind so zahm wie der Gegner in der zweiten Hälfte. Jedenfalls meistens. Schiri Tom Bauer hat eine Löwenrudelbildung aufzulösen und ein paar Karten zu verteilen, dann pfeift er kurz vor 16 Uhr ab. Christian de Jong macht sich auf die neunstündige Heimfahrt per Zug, Harald Hau muss seine Fahne aus den Katakomben holen und den Fanbus kriegen. Zeit für ein Fazit. Warum das alles? „Ich bin im Sternzeichen Löwe geboren, meine Frau auch, da muss man halt Löwenfan werden“, sagt er. Gäbe es ein Sternzeichen Zebra, hätte es ihm womöglich weite Wege erspart.

Und wann berichten wir von Ihrer Halbzeit? Oder Ihrer Stunde?

Das „Auswärtsspiel“ unserer Serie „NRW - Rund um die Uhr“ über den Alltag in unserem Land kam auf Anregung von NRZ-Leser Harald Hau zustande. Er fand: Sein Fanclub ist eine Reporterstunde wert. Fanden wir auch. Schließlich ist es die Idee dieser Serie, neben allen Krisen und Katastrophen auch einmal den Alltag der Menschen in den Fokus zu rücken.

Nach dieser „Rent a reporter“-Folge bieten wir Ihnen nicht nur eine zweite Halbzeit, sondern noch einmal eine ganze Stunde an: Von 20 bis 21 Uhr kommen wir zu Ihnen und berichten. Von Kuhstall bis Konzert, von Geburtstagsparty bis Jahreshauptversammlung. Was dürfen wir nicht verpassen und gehört endlich mal in die Zeitung? Ihre Anregungen bitte mit dem Stichwort „Meine Stunde“ an: seite3@nrz.de