Moers.. In der Pflege stoßen immer mehr Kräfte an ihre Belastungsgrenze. Nicht nur im Awo-Seniorenzentrum Schwafheim bleibt wenig Zeit für die Bewohner.
8000 zusätzliche Pflegekräfte, und zwar sofort: Das ist die Ansage der großen Koalition in Berlin. Im Seniorenzentrum der Arbeiterwohlfahrt (Awo) im Moerser Stadtteil Schwafheim wissen sie genau, was sie davon zu halten haben.
188 von 192 Plätzen in der größten Awo-Einrichtung dieser Art am linken Niederrhein sind belegt. Die Betreuung entspricht den gesetzlichen Vorschriften, wird allerdings zeitweise durch Mitarbeiter von Personaldienstleistern unterstützt. Die Einschätzung des Einrichtungsleiters Rolf Gabriel: „Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wollen ihr Bestes leisten und tun das bei schlechten Rahmenbedingungen.“
Bei einem Gang durch das Haus im Erholungsgebiet Schwafheim fällt auf, wie unterschiedlich die Bewohner sind. Es gibt Senioren, die weitgehend selbstständig sind und wenig Unterstützung brauchen, es gibt aber auch viele, die mehrfach am Tag auf Hilfe angewiesen sind. In einem Bereich für Menschen, bei denen Demenz stark fortgeschritten ist, ist intensivste Betreuung gefragt. In den Räumen gibt es großflächige Naturmotive an den Wänden, in einem für diese Zwecke angeschafften Liegesessel fühlen sich die Dementen besonders wohl. Altenpflegerinnen und Altenpfleger sorgen zum Beispiel dafür, dass die Erkrankten in diesen Sessel gelegt werden und auch wieder daraus aufstehen können.
Es klafft eine Lücke
Diejenigen, die für ihren letzten Lebensabschnitt einen Platz in einem Seniorenheim wählen, möchten vor allem zwei Dinge: sich wohlfühlen und gut versorgt sein. Um diese Ziele zu erreichen, kümmern sich in Deutschland seit Jahrzehnten dafür ausgebildete Frauen und Männer um die Menschen, die Unterstützung und Hilfe benötigen. Doch schon seit Jahren klafft eine Lücke zwischen dem, was das Fachpersonal gerne leisten möchte und dem, was es leisten kann. Das Awo-Seniorenheim in Schwafheim steht hier also nur stellvertretend für viele ähnliche Einrichtungen in Deutschland.
„Wie kann es sein, dass Nordrhein-Westfalen einen schlechteren Personalschlüssel hat als andere Bundesländer?“, fragt sich Rolf Gabriel. Und selbst wenn es denn zusätzliche Stellen gäbe, ist er sich sicher: „Es fehlen Fachkräfte auf dem Markt. Man müsste Schulabgänger von der Altenpflege begeistern.“
Zum soll man zuerst gehen?
Das mit der Begeisterung dürfte sich in Grenzen halten, wenn interessierte Nachwuchskräfte sehen, wie die tägliche Arbeit aussieht. Edeltraud Altenschmidt arbeitet seit vielen Jahren in der Altenpflege, sie sagt: „Bereits wenn man zum Dienst kommt, gehen die Klingeln auf den Zimmern. Man weiß oft nicht, wo man zuerst hingehen soll.“ Dazu kämen die vielen Telefonate mit Ärzten und die Dokumentation der Arbeit. Viel Zeit für den Bewohner bliebe da nicht.
Altenpflegerin Mila Fioretti: „Es ist einfach zu wenig Personal da. Es wird zwölf Tage gearbeitet. Dann gibt es zwei freie Tage, aber auch nur dann, wenn du nicht für jemand anderen einspringen musst. Für eine Unterhaltung mit den Bewohnern bleibt da keine Zeit.“
Der Moerser SPD-Ratsherr Jürgen Schneider kennt die Probleme in der Altenpflege. Er ist Gesamtbetriebsratsvorsitzender der Awo-Seniorendienste am Niederrhein: „In einer privaten Einrichtung wusste eine junge Frau, eine ehemalige Azubi bei uns, bis kurz vor Weihnachten nicht, ob sie an den Feiertagen arbeiten musste. Die Freizeit der Mitarbeiter wird durch den Dienstplan gestaltet.“
Grundsatzfehler in der Berechnungsgrundlage
In der geltenden Berechnungsgrundlage für Seniorenheime sieht er einen grundsätzlichen Fehler: „Menschen mit Pflegegrad 1 und 2 kommen gar nicht in die stationäre Pflege, die Personalwerte fließen aber trotzdem mit ein, wenn es um die Zuweisungen für Seniorenheime geht. Wir haben heute weniger Personal als vor der Umsetzung der Pflegereform. Die Politik in Land und Bund muss endlich handeln und die Personalschlüssel in allen Funktionsbereichen von der Pflege bis zur Verwaltung der Realität anpassen.“
Auf die Ankündigung aus Berlin, 8000 zusätzliche Stelle in der Pflege zu schaffen, blicken Gabriel und Schneider skeptisch. Der Sozialverband VdK hat ausgerechnet, dass das 0,6 Planstellen mehr pro Einrichtung ergeben würde. Rolf Gabriel: „Wir haben sechs Wohnbereiche, das wäre also 0,1 Planstelle pro Wohnbereich. Umgerechnet auf den Tag liegen wir bei rund einer Minute pro Bewohner und Tag, die ein Mitarbeiter mehr Zeit für seine Arbeit hat.“