Kamp-Lintfort. 14 Jahre war Dieter Tenhaeff oberster Wirtschaftsförderer in Kamp-Lintfort. Im Interview denkt er an eine Versteigerung mit Vergnügen zurück.

Als Dieter Tenhaeff 2006 nach einer 5-jährigen Abordnung zur Wir-4-Wirtschaftsförderung als oberster Wirtschaftsförderer in seine Heimatstadt Kamp-Lintfort zurückkehrte, sagte er wenig später in einem NRZ-Interview folgende Sätze: „Mit unseren Bemühungen, Lintfort für Gewerbetreibende attraktiv zu machen und durch eine familienfreundliche Wohnungsbaupolitik werden wir der demografischen Entwicklung entgegentreten können. Ich hoffe, dass Kamp-Lintfort in zehn Jahren eine der besucherfreundlichsten Städte der Region sein wird.“ Am Montag räumt der 65-Jährige seinen Schreibtisch im Rathaus und geht in Ruhestand. Und, Herr Tenhaeff, hat es funktioniert?

Herr Tenhaeff, bitte möglichst kurz und knapp: Was genau ist Wirtschaftsförderung?

Tenhaeff: Der Dienst am Unternehmen. Das reicht vom Ansiedlungsgespräch über die Hilfe bei dem Einreichen des Bauantrages bis zur Betreuung der Firma vor Ort, wenn sie angesiedelt ist. Wenn da irgendwas ist, was die Stadt betrifft, dann ist die Wirtschaftsförderung Ansprechpartner. Bedeutet aber auch – und da ist Corona gerade aktuell ein gutes Beispiel – dass man die Wirtschaft regelmäßig darüber unterrichtet, was es zum Beispiel in der Förderlandschaft Neues gibt. Bei uns in Kamp-Lintfort gehört zum Amt für Wirtschaftsförderung noch der Tourismus, die Liegenschaften, das Projektmanagement und die Pressearbeit.

Wie sah es in Kamp-Lintfort aus, als Sie hier angefangen haben?

Ich bin nach einer fünfjährigen Zwischenstation bei der Wir4-Wirtschaftsförderung 2006 zur Stadt zurückgekehrt und zum Amtsleiter bestellt worden. Genau in dem Jahr, als es mit BenQ den Bach runterging und wir wussten, dass der Bergbau absehbar das Bergwerk West schließen würde. Kamp-Lintfort hatte den Ruf eines einfachen Kohlestandortes. Wir hatten damals den Slogan: Kamp-Lintfort, die Bergmannstadt im Grünen. Von der Werbewirksamkeit her wirklich fürchterlich. Wir hatten zwar gut florierende Gewerbegebiete, aber die Innenstadt versprühte vor allem den Charme der 60-er Jahre. Die Ansiedlung von Familien, das soziale Problem mit den Weißen Riesen – alles hinkte hinterher.

Also ein denkbar schwieriger Zeitpunkt, um einzusteigen ...

Ja, aber zugleich ein gigantisches Tätigkeitsfeld.

Das Ende ist bekannt: BenQ ging in die Insolvenz und viele Menschen in Kamp-Lintfort verloren ihren Arbeitsplatz. Was macht man da als Wirtschaftsförderer?

Am Ende nutzte der Arbeitskampf nichts. 2017 machte BenQ dicht.
Am Ende nutzte der Arbeitskampf nichts. 2017 machte BenQ dicht. © NRZ | OELKER, Peter

Ich hatte das Vergnügen, genau zu der Frage an dem Abend, als öffentlich wurde, dass BenQ dicht macht, dem WDR-Landesstudio in einer Live-Sendung Rede und Antwort zu stehen. Für mich damals eine Herausforderung und im Nachhinein ein tolles Erlebnis. Wir haben dann sehr eng mit der Arbeitsverwaltung und der eigens gegründeten Transfergesellschaft zusammengearbeitet. Nachdem die Forscher und Entwickler ganz schnell wieder in Arbeit kamen, blieben die Leute, die u.a. vom Bergbau kamen, oder Ungelernte, die in der Fertigung arbeiteten, zurück. Die blieben natürlich vor Ort. Allerdings kamen die Leute ja nicht alle aus Kamp-Lintfort, sondern auch aus der Region. 332 kamen aus Kamp-Lintfort, um die mussten wir uns kümmern. Das ging aber relativ geräuschlos über die Bühne. Das eine waren natürlich die Mitarbeiter, das andere aber die Immobilie – 12.000 Quadratmeter Bürofläche, die auf einmal leer standen. Wir haben dann das Glück gehabt, dass sich das KRZN für einen Gebäudeteil entschieden hat. Das haben wir gar nicht aktiv betrieben, das war eine Fruchtfolge, wie man am Niederrhein so schön sagt. Damit hatte man schon einen großen Teil dieser Fläche wieder besetzt. Jahre später dann, als klar wurde, dass die Hochschule nach Kamp-Lintfort kommt, kaufte der Dinslakener Bauunternehmer Walter Hellmich den Rest – in der Hoffnung, die Hochschule würde in dieses Gebäude ziehen. Das hat sich dann so nicht bewahrheitet. Aber heute ist alles gut und Hellmich hat an das Finanzamt vermietet. Bis auf ein paar Quadratmeter ist jetzt alles besetzt.

Hat das auch was mit einem guten Ruf von Kamp-Lintfort zu tun?

Sie haben Recht. Kamp-Lintfort hat mittlerweile einen guten Ruf. Bürgermeister Landscheidt hat es verstanden, ein unglaublich gutes Team um sich herum zu platzieren. Und mit dem Team hat er eine Menge geschafft. Wirtschaftsförderung ist ja nur ein Baustein. Es kommt auch auf die Planung, die Bauordnung oder das Tiefbauamt an, um nur einige aufzuzählen. So eine gut funktionierende Verwaltung ist wichtig, um diesen Ruf zu erlangen. Ich behaupte mal, wird bei uns ein kompletter Bauantrag eingereicht, ist das Thema in kürzester Zeit erledigt.

So holt man also Unternehmen nach Kamp-Lintfort ...

Ja. Ich wäre dankbar, wenn ich noch ein paar mehr Flächen zur Verfügung gehabt hätte. Die Nachfrage ist riesig. Aber wir sind guter Hoffnung, dass wir in kürzester Zeit wieder neue Flächen anbieten können, etwa im Bereich Nord-Kamperbruch. Allerdings ist die Fläche insgesamt gesehen nicht besonders groß – was sind heute schon 80.000 Quadratmeter?

Ist Dieprahm mit Gewerbepark und Starterzentrum für Sie eine Erfolgsgeschichte?

Starter-Zentrum Dieprahm von oben (Archivbild aus 2018).
Starter-Zentrum Dieprahm von oben (Archivbild aus 2018). © www.blossey.eu | Hans Blossey

Ja, schlechthin. Als ich 2006 zurück nach Kamp-Lintfort kam, wurde ich Geschäftsführer des Starterzentrums. Ich habe das dann zusammen mit einer Mitarbeiterin sehr professionell betrieben und aufgestellt. Ab 2008 war das Haus fast immer zu 100 Prozent belegt. Als 2009 die Hochschule kam, und sich sehr schnell zeigte, dass das Gebäude zu klein war, habe ich das Magazingebäude erworben. Eine aufreibende Zeit. Die Arbeit als Amtsleiter und zugleich noch eine alte Bergbauimmobilie, die innerhalb von einem Jahr fertiggestellt sein musste. Auf Grund der Nachfrage haben wir ein weiteres Bürogebäude im Dieprahm errichtet. Auch derzeit zu 95 Prozent vermietet. Zuletzt haben wir das 360°, ein kleines Café in der Nähe des EK3, für unser Portfolio gekauft, dazu am Bendsteg ein potenzielles Baufeld – als Investition für die Zukunft. Kürzlich wurde die Starterzentrum GmbH in die IWG (Immobilienentwicklungs- und Wohnungsbaugesellschaft Stadt Kamp-Lintfort mbH) umfirmiert, um auch andere Geschäftsfelder erschließen zu können.

Die großen Gewerbeflächen sind weg, Corona macht auch der lokalen Wirtschaft zu schaffen. Sehen Sie Kamp-Lintfort trotzdem auf einem guten Weg?

Das Amt heißt ja Wirtschaftsförderung und Stadtmarketing. Man muss den Einzelhandel vor Ort im Auge behalten. Das ist schwierig. Die Menschen verhalten sich ganz anders als vor Corona, auch das Einkaufsverhalten hat sich geändert. Die Innenstadt – da muss man kämpfen. Wir als Stadt unterstützen das, so weit wir das können. Die Einzelhändler müssen eine bittere Zeit überstehen, das tut mir in der Seele weh. Aber so richtig habe ich jetzt kein Erfolgsrezept für den Einzelnen.

Wie wichtig war es, dass die Hochschule nach Kamp-Lintfort gekommen ist?

Ich glaube, der Erfolg von Kamp-Lintfort, den wir in den letzten Jahren hatten, hängt direkt damit zusammen. Der Bewerbungsprozess war unglaublich aufreibend. Anders als in Kleve haben wir die Bewerbung selbst geschrieben. Es war von Erfolg gekrönt. Dass wir dann am Ende der Zweitstandort wurden, damit hatten wir nicht gerechnet. Aber letztlich ist es trotzdem eine unglaubliche Erfolgsgeschichte für Kamp-Lintfort

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Worauf sind Sie in Ihrem langen Berufsleben besonders stolz?

Da standen sie noch, die Bunten Riesen.
Da standen sie noch, die Bunten Riesen. © FUNKE Foto Services | Volker Herold

Auf jeden Fall auf die Hochschule und den Abriss der drei Weißen Riesen. Aber auch die Innenstadt mit C&A, die IWG und zuletzt ja auch noch der Abriss der Bunten Riesen. Ich hatte tatsächlich das Vergnügen, die zu ersteigern – mit einer Menge Geld in der Tasche. Letztlich blieben im vollen Gerichtssaal ein Strohmann und ich übrig, der leider auch Geld in der Tasche hatte. Ich habe dann immer 1000 Euro mehr geboten als er. Der sagte dann: „Wenn das so weitergeht, sitzen wir noch morgen früh hier.“ Meine Antwort: „Ja, das ist mir bewusst, aber ich bin im Dienst.“ Der ganze Saal hat gelacht.

Und was ärgert Sie bis heute?

Also, ehrlich gesagt – so eine richtige Sache, über die ich mich ärgere, eine verpasste Gelegenheit oder so - das gibt es tatsächlich nicht. Mir hat Wirtschaftsförderung mit diesem Team, auch mit der Unterstützung durch die Politik, immer Spaß gemacht.

Was macht Wirtschaftsförderung 2020 und in den nächsten Jahren aus?

Früher lag der Fokus der Wirtschaftsförderer und der Politik darin, möglichst viele gute Firmen an den Ort zu bekommen. Das ist durch die Flächenknappheit und durch die sich verändernde Marktsituation etwas anders geworden. In Kamp-Lintfort liegt unser Fokus auch deutlich auf Bauen und Wohnen. Wir werden uns weiterhin damit beschäftigen müssen, Grundstücke anzubieten, Familien nach Kamp-Lintfort zu holen. Denn ein Standort lebt von dem, was die Einwohner mitbringen. Wichtig ist aber auch die Bestandspflege der Firmen unter sich derzeit stark verändernden Bedingungen. Corona hat uns ja gezeigt, wie schnell das gehen kann. Ob das althergebrachte Modell der Firmen mit großem Standort und vielen Mitarbeitern vor Ort noch so weitergedacht wird, weiß ich nicht. Das wird sich jetzt zeigen. Wirtschaftsförderung wird sich verändern. Aber der Grundgedanke, ein Dienstleister zu sein, der wird bleiben.

Was fangen Sie jetzt mit Ihrer Freizeit an?

Ich bin noch gar nicht ganz weg. Ich bin ja noch für ein Jahr Geschäftsführer der IWG. Dann mache ich also „Pension light“ – zwei Tage die Woche bin ich dann noch da. Dann haben wir zuhause einen kleinen Hund, ein Motorrad, eine alte Vespa, ein Wohnmobil, ein Haus mit Garten – also ich kann mir vorstellen, dass ich mich ein bisschen damit beschäftige. Ich bin ein Mensch, der sich gerne bewegt. Ich fahre Fahrrad, halte mich fit. Und meine neue Stereoanlage wird auch merken, dass ich wieder öfter zuhause bin.