Am Niederrhein. Die Infektionszahlen steigen. Ist eine nächtliche Ausgangssperre der richtige Weg? Die Bürgermeister sehen Effekte, äußern aber auch Zweifel.
Die Infektionszahlen steigen schnell. 223 Menschen sind zuletzt binnen eines Tages Tages in den Kreisen Wesel und Kleve mit dem Coronavirus neu infiziert worden. Kann eine nächtliche Ausgangssperre, wie sie die Bundesregierung vorschlägt, dazu beitragen, die Pandemie einzudämmen? Die hiesigen Bürgermeister geben darauf unterschiedliche Antworten.
Für den Moerser Bürgermeister Christoph Fleischhauer steht fest, dass bei politischen Entscheidungen zur Bekämpfung der Pandemie alle Möglichkeiten ausgelotet werden müssen. Ausgangssperren seien eine gute Lösung, den privaten Raum mittelbar zu kontrollieren: „Die Unverletzlichkeit der Wohnung bliebe erhalten, aber unerlaubte private Treffen könnten zum Teil geahndet werden, wenn Personen sich auf dem Weg dahin oder nach Hause befinden.“ Ob aber Inzidenzzahlen als Parameter für eine Grundrechtseinschränkung wie die Ausgangssperre der alleinige Maßstab sein dürfen, halte er für fraglich. Hier müssten zumindest ergänzend die Sterberate und die freie Zahl von Intensivbetten als Grundlage mit herangezogen werden, merkt Fleischhauer an.
Als Ordnungsbehörde würde die Kontrolle der Ausgangssperre die Stadt vor große personelle Herausforderungen stellen, so der Bürgermeister weiter: „Wir müssten ein Schichtsystem einrichten oder in Kauf nehmen, dass der Ordnungsdienst tagsüber dünner besetzt ist.“ Auch auf die Polizei kämen zusätzliche Aufgaben zu, da sie Autos oder Personen im Rahmen der nächtlichen Streifen kontrollieren müsste.
Kamp-Lintforts Bürgermeister äußert Zweifel
Zweifel äußert Kamp-Lintforts Bürgermeister Christoph Landscheidt. Er hält eine generelle Ausgangssperre für rechtlich äußerst problematisch und im Ergebnis für nicht sinnvoll: „Ein solch massiver Eingriff kann nur das allerletzte Mittel und müsste erforderlich und verhältnismäßig sein. Ich bin gespannt, welche Voraussetzungen der Gesetzgeber dazu formulieren wird.“ Was überhaupt kontrollierbar ist, hänge ja gerade von den Voraussetzungen einer möglichen Ausgangssperre ab. Tatsächlich gefährliche „Partys“ an milden Abenden im Freien unter Verstoß gegen Corona-Auflagen kontrolliere die Stadt bereits im Rahmen ihrer personellen Möglichkeiten und unter Einsatz privater Sicherheitsdienste.
„Den einsamen nächtlichen Spaziergänger oder Jogger werden wir wohl ebenso wenig kontrollieren können wie den Jugendlichen, der um 21.15 vom Besuch seiner Freundin oder Oma zurückkehrt“, sagt Landscheidt.
Neukirchen-Vluyns Bürgermeister sieht eine große Disziplin
Auch der Neukirchen-Vluyner Bürgermeister Ralf Köpke verweist auf die unterschiedlichen Beurteilungen der Maßnahme. „Für den Bereich Neukirchen-Vluyn haben wir in den letzten Monaten festgestellt, dass es wenig Verstöße gegen die Corona-Schutz-Verordnung gegeben hat und die Akzeptanz und Disziplin sehr hoch war. Ich bin davon überzeugt, dass neben der Einschätzung, was solch eine Maßnahme aus epidemiologischer Sicht erreichen könnte, der Blick auf die Verfassungsmäßigkeit ebenso wichtig ist“, sagt Köpke: „Ein solcher starker Eingriff in die Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger muss verfassungsrechtlich zulässig sein.“ Hier gebe es inzwischen vermehrte ernstzunehmende Stimmen, dass starke verfassungsrechtliche Bedenken bestünden.
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Köpke: „Die Kommunen, auch wir in Neukirchen-Vluyn, sind nicht in der Lage, die Einhaltung im öffentlichen Raum zwischen 21 und 5 Uhr grundsätzlich und flächendeckend zu überwachen.“ Eine Verschiebung in den nächtlichen Überwachungsdienst hätte das Fehlen der Kräfte am Tag zu Folge. Ihm lägen auch keine Informationen vor, ob die Aufgaben durch die Polizei durchgeführt werden sollen, die Überprüfung der privaten Räume dürfe nach geltenden Regelungen nicht von den Kommunen wahrgenommen werden.
Köpke: Ein Lockdown wäre sinnvoll gewesen
„Das eigentliche Dilemma ist, dass eigentlich jeder weiß oder wissen müsste, dass jeglicher nicht zwingend notwendige Kontakt vermieden werden muss, um die 3. Welle zu brechen, es aber ohne einheitliche Regelungen nicht wirksam umgesetzt werden kann“, sagt Köpke weiter. „Dass dabei eine Ausgangssperre in der Hauptstoßrichtung zur Vermeidung von Kontakten in Privaträumen dienen soll, ist den Menschen nur schwer zu vermitteln, da es auch all diejenigen treffen würde, die sich zwar im Freien aufhalten, aber alle Regeln befolgen.“
Die aktuellen Probleme mit sehr stark steigenden Inzidenzzahlen sind laut Bürgermeister Ralf Köpke dem Umstand geschuldet, dass versäumt worden sei, einen mindestens vierwöchigen harten Lockdown einzuführen.
Die Tankstellen bleiben offen
Selbst wenn tatsächlich von 21 bis 5 Uhr „dicht“ gemacht werden sollte, dürften Supermärkte und Tankstellen wohl geöffnet bleiben. Es würde ja keine komplette Ausgangssperre, man dürfte nur nicht „zum Vergnügen“ raus, wie Klaus Janczyk, Sprecher der Stadt Moers, formuliert. Heißt: Wer abends zur Arbeit muss, sollte dann tanken können. Auch das Verlassen der Wohnung für die Grundversorgung werde wohl erlaubt bleiben.
Die Niag bleibt beim Fahrplan
Die Niag plant für den Fall der Fälle keine Veränderungen am Fahrplan. Berufspendler müssten ja weiter ihren Arbeitsplatz und ihr Zuhause erreichen können, erklärt ein Sprecher. Dazu gehörten nicht zuletzt Beschäftigte in systemrelevanten Berufen, die im Schichtdienst arbeiten, etwa Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Krankenhäusern oder von Energie- und Wasserversorgern.
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„Der Gesetzentwurf befindet sich bis kommende Woche im parlamentarischen Verfahren und es gilt zunächst, die Anhörung und etwaige Änderungen abzuwarten“, erklärt die CDU-Bundestagsabgeordnete für den Wahlkreis Moers, Neukirchen-Vluyn und Krefeld, Kerstin Radomski, auf NRZ-Anfrage. „Die Bundeskanzlerin hat am Freitag im Deutschen Bundestag betont, dass hinsichtlich der Ausgangsbeschränkungen aus ihrer Sicht die Vorteile die Nachteile überwiegen. Es gehe ihr darum, abendliche Besuchsbewegungen zu reduzieren - etwa auch in öffentlichen Verkehrsmitteln“, sagt Radomski weiter. Eine Verschärfung des Infektionsschutzgesetzes werde wohl nicht vor Ende nächster Woche in Kraft treten.
Das Land NRW könne eigenständig über die Inhalte der Schutzverordnung in NRW beraten, beispielsweise, dass für Kreise mit vielen Neuinfektionen verschärfte Maßnahmen gelten. Radomski: „Es kommt in den kommenden Tagen aber auch auf die Städte und Kreise an: So wird etwa die Stadt Düsseldorf die bald auslaufende Testmodell-Option wegen der gestiegenen Sieben-Tage-Inzidenz und der hohen Auslastung der Intensivstationen nicht verlängern.“