Kreis Wesel. Laut einer Regionalstudie müssen dringend Wohnungen gebaut werden. Leerstände seien oft nicht nutzbar. Bauverband fordert Senkung von Standards.

Die Krise im Bausektor und der damit verbundene drastische Rückstand beim Wohnungsbau ziehen sich durch das gesamte Jahr. Erst 2025 rechnen Experten mit neuem Schwung. Dass der dringend nötig ist, möchte das Pestel-Insitut mit einer neuen Regional-Analyse belegen. Demnach braucht der Kreis Wesel bis 2028 rund 1620 neue Wohnungen – pro Jahr.

Der Neubau sei notwendig, um das bestehende Defizit abzubauen, sagt Institutsleiter Matthias Günter laut Pressemitteilung. Demnach fehlen im Kreis Wesel aktuell rund 4260 Wohnungen. Die Neubauten seien auch nötig, um abgewohnte Wohnungen in alten Häusern zu ersetzen. „Hier geht es insbesondere um Nachkriegsbauten, bei denen sich eine Sanierung nicht mehr lohnt“, so Günther.

Wohnungsmangel im Kreis Wesel: Darum gelangen viele Leerstände nicht mehr auf den Markt

Laut aktuellen Zensuszahlen stehen 6940 Wohnungen und damit rund drei Prozent des gesamten Bestandes im Kreis Wesel leer und sind ungenutzt. Das ändere aber nichts am grundsätzlichen Wohnungsbedarf, sagt das Pestel-Institut. Ein Großteil – rund 3400 Wohnungen – stehe bereits seit einem Jahr oder länger leer. Dabei gehe es häufig um Wohnungen, „die auch keiner mehr bewohnen kann. Sie müssten vorher komplett – also aufwendig und damit teuer – saniert werden“, sagt Matthias Günther. Man müsse auch davon ausgehen, dass der größte Teil des Langzeitleerstandes nicht mehr am Markt angeboten werde, so Günther auf Nachfrage.

Viele Hauseigentümer halten sich nach Beobachtungen des Pestel-Instituts mit einer Sanierung zurück, sind wegen fehlender politischer Verlässlichkeit verunsichert. „Ein Hin und Her wie beim Heizungsgesetz darf es nicht mehr geben“, sagt Matthias Günther. Außerdem hapere es bei vielen am nötigen Geld für eine Sanierung.

Neben möglichen Erbstreitigkeiten scheuten sich Eigentümer auch, einen Mieter ins eigene Haus zu holen, „mit dem sie sich am Ende vielleicht nicht verstehen“, sagt Matthias Günther. Für ihn steht deshalb fest: „Am Neubau von Wohnungen führt daher auch im Kreis Wesel kein Weg vorbei.“

Gewisser Leerstand ist notwendig

Grundsätzlich sei ein gewisser Wohnungsleerstand aber immer auch notwendig. „Rund 3 Prozent aller Wohnungen, in die sofort jemand einziehen kann, sollten frei sein. Schon allein, um einen Puffer zu haben, damit Umzüge reibungslos laufen können. Und natürlich, um Sanierungen überhaupt machen zu können. Aber es wird nur selten gelingen, Wohnungen, die lange leer stehen, wieder zu aktivieren und an den Markt zu bringen“, so das Fazit von Matthias Günther.

Der Fokus der Regional-Analyse liegt eindeutig auf Neubauten. Was daran liegen dürfte, dass die Studie im Auftrag des Bundesverbandes Deutscher Baustoff-Fachhandel (BDB) durchgeführt wurde.

Landtagsabgeordneter René Schneider: Zahlen sind erhellend, nur der Schluss ist falsch

Der Kreis Weseler SPD-Landtagsabgeordnete René Schneider nennt die Analyse sowie die Zahlen „gut und erhellend“, allerdings komme es auch auf die Schlüsse an, die man daraus ziehe. Dass viele Menschen nicht mehr bereit sind, ihre Wohnungen zu vermieten, kenne er auch aus Kamp-Lintfort. Diese Leute müsse man aber auch vom Gegenteil überzeugen können, anstatt sofort auf Neubauten in Höchstzahl zu drängen. Zu sagen, „die Leute wollen nicht vermieten, also bauen wir neu“, sei zu einfach.

Der Bundesverband Deutscher Baustoff-Fachhandel nutzt gleichwohl die Studienergebnisse, um seine Belange voranzubringen: „Es ist eine Milchmädchenrechnung, die leerstehenden Wohnungen gegen den aktuellen Bedarf an Wohnungen gegenzurechnen. Das funktioniert so nicht. Politiker, die das gerade versuchen, betreiben Augenwischerei“, sagt BDB-Präsidentin Katharina Metzger.

Um voranzukommen, fordert Metzger die Senkung von Baustandards: „Einfacher bauen – und damit günstiger bauen.“ Das gehe, ohne dass der Wohnkomfort darunter leide. Es müsse ein „starkes Abspecken“ bei Normen und Auflagen geben – im Bund, bei den Ländern und Kommunen. „Am Ende stoppen überzogene Förderkriterien, Normen und Auflagen den Neubau von Wohnungen“, sagt Metzger und nennt „hoch geschraubte Klimaschutzmaßnahmen, ohne die es keine Förderung gibt“ als Beispiel.

Mehr zum Thema

Auf Bundesebene passiere zu wenig. Im geplanten Bundeshaushalt für 2025 fehlten dringend notwendige Fördermittel – allen voran für den sozialen Wohnungsbau, so Metzger und Pestel-Institut. Demnach stellt der Bund für das kommende Jahr lediglich 3,5 Milliarden Euro dafür bereit. Benötigt würden laut Institut aber mindestens 12 Milliarden Euro pro Jahr von Bund und Ländern.

Wie schwierig die Lage für den sozialen Wohnungsbau derzeit ist, weiß auch die Kreisverwaltung. Nicht alle der Anträge kann sie demnach bewilligen, weil nicht genügend Fördergeld zur Verfügung steht. Zwar hat das Land vor rund eineinhalb Monaten angekündigt, den Fördertopf um eine Milliarde Euro auf 2,7 Milliarden aufzustocken. Auch wenn der Kreis davon profitieren dürfte, wird der Zuschuss voraussichtlich nicht reichen, um sämtliche Anträge, 22 mit einem Volumen von 276 Wohnungen waren es vor rund einem Monat, zu bewilligen.

Der soziale Wohnungsbau werde weiter auf der Strecke bleiben. „Das müssen die Menschen den heimischen Bundestagsabgeordneten im Kreis Wesel jetzt klarmachen. Nur wenn es massiven Druck vor Ort gibt, werden diese und die kommende Bundesregierung begreifen, wie ernst die Lage ist“, sagt Katharina Metzger. Die BDB-Präsidentin warnt gemeinsam mit dem Pestel-Institut vor einer „Absturz-Spirale beim Wohnungsneubau“, was wiederum zu sozialen Spannungen führen könne. „Wenn sich Menschen wochen- und monatelang um eine neue Wohnung kümmern müssen, dann braut sich da etwas zusammen. Das ist Gift für das soziale Miteinander in der Gesellschaft.“