Kleve. Ingrid van Gemmeren ist Sprecherin der Initiative, die den Nationalpark durchsetzen will. Max von Elverfeldt ist, unter anderem, Waldbauer, und dagegen.

Der Ort fürs Streitgespräch ist gut gewählt. Im Wald. Ohne Smartphone-Empfang, aber mit einem Baumstumpf, auf dem das Smartphone von NRZ-Redakteur Stephan Hermsen dieses Gespräch aufzeichnet. Und so viel vorab: Bei aller Differenz in der Sache, die ehemalige Leiterin des beruflichen Gymnasiums in Kleve, Ingrid van Gemmeren, und der Verwalter der Vittinghoff-Schellschen Güter, Max von Elverfeldt, diskutierten hart aber fair.

Warum sollte der Reichswald ein Nationalpark werden, Frau van Gemmeren?

Ingrid van Gemmeren: Als ich gehört habe, dass wir die Chance haben, uns mit unserem Reichswald als Nationalpark zu bewerben, habe ich gedacht: Das ist ja super, dass der Kreis Kleve diese Chance bekommt. Das ist gut für die Natur, die dann geschützt wird, wenn der Wald nicht mehr forstwirtschaftlich genutzt wird. Der Reichswald hat in den letzten Jahrzehnten und Jahrhunderten viel gelitten. So wird er zu einem tollen Naturerlebnis für die Menschen, die hier leben. Und es bietet auch wirtschaftliche Vorteile für den Tourismus in der Region. Ich konnte gar nicht verstehen, dass Leute dagegen sind.

Herr von Elverfeldt, das können Sie uns erklären.

Max von Elverfeldt: Mein Ansatz, warum ich mich engagiere, liegt in meiner Funktion: Ich bin Vorsitzender der Waldbauernverbandes am unteren Niederrhein. Wir vertreten die Interessen der Waldbesitzer. Ungefähr die Hälfte des Waldes in Deutschland ist in Privatbesitz. Wir haben Sorge, dass es Auswirkungen auf die Wald- und Forstwirtschaft hat, wenn hier am waldarmen Niederrhein ein weiteres großes Waldgebiet stillgelegt wird. Wir privaten Waldbauern finden kaum Dienstleister für die Holzwirtschaft. Wenn jetzt weitere 5000 Hektar aus der Nutzung gehen, wird das noch schwieriger. Wir haben entsprechend im Kreistag eine Stellungnahme abgegeben und der Kreistag hat sich ja auch gegen den Nationalpark ausgesprochen. Dann kam das Bürgerbegehren, der Kreistag hat sich erneut damit befasst und den Nationalpark erneut abgelehnt. Also gibt es jetzt den Bürgerentscheid. Und wenn sich die eine Seite engagiert, muss die andere Seite ja etwas dagegenhalten. Wir waren ja bisher nicht aktiv.

van Gemmeren: Naja, das ist eine steile These, dass Sie nicht aktiv waren.

von Elverfeldt: Die Verbände haben Stellungnahmen abgegeben, aber es gab keine öffentlichen Aktionen.

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    Wenn man jetzt hier am Niederrhein unterwegs ist, sieht man schon Plakate für beide Positionen. Der Reichswald ist aber doch kein Privatwald, sondern in Landesbesitz. Sie müssten sich doch freuen, wenn der nicht genutzt wird, dann steigen doch die Preise.

    von Elverfeldt: So kann man das nicht sehen. Es ist doch eher Zufall, dass wir jetzt hier einen Nationalpark bekommen sollen. Die Landesregierung will einen zweiten Nationalpark. Ursprünglich in der Senne. Da gab es soviel Gegenbewegung, dass man das zurückgezogen hat. Jetzt hat man fünf Regionen ausgeguckt. Davon wären die Egge und das Sauerland viel eher Regionen, die als Nationalpark taugen. Aber da diese alle abgelehnt werden, ist der Reichswald übrig geblieben und da stürzt sich jetzt alles drauf. Ich glaube, wir sind nur dritte Wahl. Der Reichswald ist nicht nationalpark-geeignet. Internationale Nationalparkregelungen sehen unter anderem eine Mindestgröße von 10.000 Hektar vor. Der Reichswald hat gerade mal 5000 Hektar. Zudem sieht das Bundesnaturschutzgesetz, einen naturschutzwürdigen Wald vor. Im Reichswald stehen gerade mal zwölf Prozent unter Naturschutz. Wenn wir das machen, können wir jeden größeren Wald in Deutschland zum Nationalpark machen.

    Der Wald, das Projekt, die Entscheidung

    Im Bürgerhaus Rees (Markt 1), gibt es eine Podiumsdiskussion am Mittwoch, 20. November um 19 Uhr. Ausgerichtet von den Befürwortern des Nationalparks. Auf dem Podium sitzen neben NRW-Umweltminister Oliver Krischer (Grüne) aber mit Max von Elverfeldt und einem Vertreter der Kreisbauernschaft auch ausgewiesene Gegner der Nationalpark-Idee. Dazu, unter anderem: Forstexperten und Dehoga-Vertreter. 

    Der Reichswald ist der größte Staatsforst des Landes NRW und weist mit dem 95 Meter hohen Rupenberg für den Niederrhein quasi alpine Züge auf. Im Zweiten Weltkrieg wurde er zum Schlachtfeld, der größte Soldatenfriedhof der Briten in Deutschland erinnert daran.
    Nach dem Krieg wurden Teile des Waldes für Neuansiedlungen Vertriebener gerodet.

    Die schwarz-grüne Landesregierung, zu deren politisches Ziel ein zweiter Nationalpark zählt, hatte fünf Gebiete im Land ausgeguckt. In vieren ist der Versuch politisch gescheitert. Auch in Kleve hat der Kreistag in Kleve gegen einen Nationalpark votiert. Die durch Bürgerbegehren erzwungene zweite Entscheidung fiel wieder ablehnend aus.

    Jetzt kommt es im Kreis zum Bürgerentscheid. 265.000 Wahlberechtigte stimmen ab, knapp 40.000 Ja-Stimmen sind nötig. Vorausgesetzt, dass es nicht mehr Nein-Voten gibt. Ausgezählt wird am 11. Dezember.


    van Gemmeren: Naja, unter Naturschutz stehen gerade 600 Hektar von 5000 Hektar. Ich finde es problematisch zu behaupten, der Reichswald sei eine Notlösung. Er stand von Beginn an auf der Liste des Landes mit den fünf Regionen, die in Frage kommen. Dass nur der Reichswald übrig ist, liegt daran, dass im Kreis Kleve relativ spät entschieden wurde. Und der Reichswald hat schon ein Alleinstellungsmerkmal. Es ist der einzige Buchenwald auf Sand-Löß-Boden in Deutschland. Es ist ein uralter Wald, die Gene des Waldes sind seit Jahrtausenden erhalten. Auch wenn er im Zweiten Weltkrieg zerstört wurde und seit Jahrhunderten als Forst genutzt wird: Es ist das letzte große, zusammenhängende Waldgebiet in der nordwestdeutschen Tiefebene, das noch nicht unserem Flächenfraß zum Opfer gefallen wäre. Was die Größe angeht: Der Park könnte ja auch auf der niederländischen Seite weiter wachsen.

    von Elverfeldt: 60 Prozent des Waldes hier sind Kiefernbestände. Der Wald ist im Krieg schwer zerstört worden und wurde mit Nadelhölzern aufgeforstet. Erst seit rund 30 Jahren geht man wieder mehr zu Laubbäumen über.

    Mehr als 5000 Hektar groß ist der Reichswald, der sich als Staatsforst komplett in Landesbesitz befindet. Rund 600 Hektar sind bereits Naturschutzgebiet. Für niederrheinische Verhältnisse ist er zudem eine Gebirgslandschaft. Die höchste Erhebung ragt rund 90 Meter in die Lüfte. Mit Baum drauf noch mehr.
    Mehr als 5000 Hektar groß ist der Reichswald, der sich als Staatsforst komplett in Landesbesitz befindet. Rund 600 Hektar sind bereits Naturschutzgebiet. Für niederrheinische Verhältnisse ist er zudem eine Gebirgslandschaft. Die höchste Erhebung ragt rund 90 Meter in die Lüfte. Mit Baum drauf noch mehr. © FUNKE Foto Services


    Wird das gestoppt, wenn der Wald Nationalpark würde?

    von Elverfeldt: Ziel eines Nationalparkes ist, den Wald sich selbst zu überlassen. Der Wald verschwindet aber nicht, wenn es kein Nationalpark wird. Im Gegenteil, hier im Reichswald wird weniger Holz entnommen als nachwächst. Perfekter geht es gar nicht.

    van Gemmeren: Doch, wenn man den Wald einfach Wald sein lässt. Und man darf auch in einem Nationalpark noch 30 Jahre Waldentwicklung machen in 25 Prozent des Gebietes. Der Unterschied ist aber, dass man keine Bäume mehr in ihrem blühenden Teenageralter fällen darf, sondern dass die Bäume ihr natürliches Alter erreichen dürfen. Und das ist ökologisch bedeutsam.

    Die Südkante des Reichswaldes bei Goch.
    Die Südkante des Reichswaldes bei Goch. © FUNKE Foto Services | Ralf Rottmann


    Was bedeutet denn ein Nationalpark für die Besucherinnen und Besucher des Waldes?

    van Gemmeren: Fußgänger, Radfahrer, Reiter, Hundebesitzer dürfen weiter in den Wald. Der Schutz ist ein Prozessschutz: 75 Prozent dürfen nicht bewirtschaftet werden, aber betreten werden. Erholung und Naturbildung sind wichtig und bleiben. Es gibt lediglich eine Leinenpflicht für Hunde und die Pflicht, den Wald nur auf den Wegen zu betreten. Die sind dann aber nicht mehr von schweren Maschinen zerpflügt und zermatscht und man sieht auch keine Stapel mit gefällten Bäumen mehr.

    Herr von Elverfeldt, wäre ein Nationalpark denn nicht eine Chance für den Tourismus?

    von Elverfeldt: Wir alle lieben unseren Reichswald, aber ich bezweifle, dass der Nationalpark ein touristischer Magnet würde. Selbst der Nationalpark Schwarzwald hat nicht die erwarteten Besucherzahlen. Vielleicht macht das ein oder andere Café mehr auf. Der Vergleich mit der Eifel hinkt. In die Eifel fahren die Menschen wegen der Eifel. Nicht wegen des Nationalparks. Das rechtfertigt die Kosten nicht. Und eine Nationalparkbehörde nähme uns hier in Kleve das Heft des Handelns aus der Hand. Mit Sicherheit werden viele Wege geschlossen. Und es gibt doch schon Naturwaldzellen hier im Wald.

    van Gemmeren: Ja, etwa 600 der 5000 Hektar sind seit 1970 sich selbst überlassen. Das sind auch wirklich schöne Stellen im Wald. Die vielen geraden Waldstraßen, von den Preußen angelegt, dienen ja nur der Forstwirtschaft, die werden von Spaziergängern oder Radfahrer ja gar nicht genutzt. Die Reiter müssen quasi auf diesen sehr festen Waldautobahnen unterwegs sein. Die Wege würden weniger, aber schöner, wir würden mehr Arten schützen und einen natürlicheren Wald bekommen. Und wir brauchen den Nationalpark auch, damit hier keine Windräder hinkommen. Es gibt genug Flächen dafür außerhalb des Waldes.


    Das ist ja eine spannende Diskussion hier am Niederrhein, dass Windkraftbefürworter gleichzeitig Nationalparkgegner sind.

    von Elverfeldt: Der Kreistag hat sich gegen die Ausweisung der Gebiete ausgesprochen. Da muss jetzt die Bezirksregierung entscheiden über rund 80 Hektar am Kartenspielerweg. Da wären ungefähr für zwölf Windräder Platz.

    van Gemmeren: Für Windkraft  sollte hier am Niederrhein eigentlich kein Wald gerodet werden, aber das hat der Kreis nicht mehr in der Hand. Außer, wenn wir Nationalpark werden.

    von Elverfeldt: Sie wollen 5000 Hektar Wald zum Nationalpark machen, um 80 Hektar zu schützen? In 70 Prozent der Diskussionen um den Nationalpark geht es nur um die Windräder. Das ist Unfug. Nachher wird womöglich die Windkraftzone genauso aus dem Nationalpark ausgenommen wie hier der Soldatenfriedhof und dann ist nichts gewonnen. Die Landwirte fürchten zudem, dass künftig die Schutzzonen noch weiter ausgeweitet werden.

    van Gemmeren: Wir wollen einen Nationalpark auf 5000 Hektar und der ist nicht ohne Grund komplett auf Landeseigentum, weil das Land gar kein Geld hätte, zusätzliche Flächen für eine Erweiterung anzukaufen. Wenn überhaupt, wird es eher Gespräche mit den Niederlanden geben für eine internationale Ausweitung. Die Landwirtschaft ist nicht betroffen.

    Werbung für Nein zum Nationalpark
    MIt Plakaten und Kinospots kämpfen Befürworter und Gegner der Nationalpark-Idee derzeit um Stimmen. Bis zum 11. Dezember können die Menschen im Kreis Kleve per Briefwahl abstimmen. © NRZ | Johannes Kruck


    Wir hören im Hintergrund immer Schüsse. Was bedeutet ein Nationalpark eigentlich für die Jäger?

    von Elverfeldt: Es gäbe ein Jagdmanagement durch die Nationalparkbehörde. Dann wird anders gejagt, vor allem deutlich weniger. Im Umfeld des Nationalparks Eifel ist der Wilddruck deutlich gestiegen. Diese Sorge besteht durchaus. Wir haben Rot- und Schwarzwild im Reichswald und noch gibt es einen Zaun.

    van Gemmeren: Der Zaun wird ja bleiben, das hat der Landesumweltminister ja schon gesagt. Die Landwirtschaft hat ein berechtigtes Interesse, dass ihre Flächen nicht durch Wildschweine zerwühlt werden. Der Wald ist offen nur in Richtung Niederlande. Auch die beiden Straßen, die den Wald durchschneiden, werden bleiben und nicht auf landwirtschaftliche Flächen umgelegt werden. Hier sind es zum Glück ja nur zwei.

    von Elverfeldt: Was da im Hintergrund knallt, ist der Schießstand und die Betreiber haben natürlich schon Sorge, dass das nicht so bleiben kann.

    van Gemmeren: In der Nationalparkverwaltung können ja alle Verbände und Kommunen mitreden. Ich war in der Eifel und hatte den Eindruck, dass dort gemeinsam konstruktiv Problem gelöst werden.

    Bis zum 11.12.2024 können die 265.000 Wahlberechtigten im Kreis Kleve per Briefwahl abstimmen, ob der Reichswald Nationalpark werden soll. Der Kreistag hatte sich dagegen ausgesprochen. Für einen Erfolg braucht es eine Zustimmung von 15 Prozent der Stimmen. Knapp 40.000 Ja-Stimmen also. Und mehr als Nein-Stimmen natürlich auch.
    Bis zum 11.12.2024 können die 265.000 Wahlberechtigten im Kreis Kleve per Briefwahl abstimmen, ob der Reichswald Nationalpark werden soll. Der Kreistag hatte sich dagegen ausgesprochen. Für einen Erfolg braucht es eine Zustimmung von 15 Prozent der Stimmen. Knapp 40.000 Ja-Stimmen also. Und mehr als Nein-Stimmen natürlich auch. © FUNKE Foto Services | Thorsten Lindekamp


    Abschlussfrage: Mit welchem Ergebnis rechnen Sie im Bürgerentscheid?

    van Gemmeren: Wir sind optimistisch. Wir sind nur eine kleine Initiative mit gerade mal 20 Leuten. Wir versuchen, mit unserer Begeisterung für die Natur die Menschen zu überzeugen. Ich wünsche uns, dem Wald, der Artenvielfalt und den Menschen den Erfolg.

    von Elverfeldt: Ich gehe davon aus, dass wir gewinnen. Nicht weil es nicht die Mindestzahl an Stimmen gibt, sondern weil die Mehrheit mit Nein abstimmen wird. Zumal ja der ganze Kreis abstimmen darf, auch wenn viele Kommunen weit weg sind vom Reichswald.