Kreis Kleve. Eine Ausbildungsbörse am Berufskolleg Kleve setzt auf ein neues Konzept: Workshops und Gespräche statt Stände mit Flyern.
Marlene Gerritzen hört und sieht eigentlich sehr gut. Jetzt gerade aber nicht. Sie hat Kopfhörer auf, die Taubheit simulieren, und eine Brille, die sich anfühlt, als hätte man Grauen Star. So wird klar, wie kompliziert es für einen alten Mensch sein kann, zu kommunizieren und sich zurechtzufinden.
Die Simulation ist Teil eines Workshops für Schüler, die sich für den Pflegeberuf interessieren. 42 Berufe-Räume hat das Berufskolleg Kleve eingerichtet, in denen sich insgesamt 670 Jugendliche über 55 Berufe informieren können. Wobei informieren hier eben nicht heißt: an einem Messestand vorbeischlendern, Kugelschreiber einstecken und nett lächeln. „Wir wollen die Hürde überspringen zwischen zufälligen Gesprächen, wie sie bei einer Ausbildungsmesse passieren, und konkreten Gesprächen mit Ausbildungsbetrieben“, erläutert Schulleiter Peter Wolters. 110 Betriebe machen mit.
Hintergrund ist natürlich der Fachkräftemangel. Landrätin Silke Gorißen befürchtet: „Der Fachkräftemangel wird in Zukunft noch zunehmen.“ Sie vermutet, dass viele junge Leute in einem Ausbildungsberuf glücklicher wären als im halbherzigen Studium: „Es wäre allen viel mehr geholfen, wenn die Schülerinnen und Schüler individuell betrachten würde.“ Und im Kreis Kleve müssten alle selber Sorge dafür tragen, den Fachkräftenachwuchs auszubilden.
Viele freie Ausbildungsplätze
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„Die Zahlen gehen ja seit zwei, drei Jahren leider zurück, offenbar sind viele junge Leute unentschlossen, was sie machen sollen“, hat Hans-Josef Kuypers beobachtet, der Geschäftsführer der Kreiswirtschaftsförderung. Ein Blick auf die offiziellen Listen lohnt sich. Gleich 1056 Ausbildungsplätze mit sehr guten Bewerbungschancen listet das Arbeitsamt für den Agenturbezirk Wesel auf.
Kraftfahrzeugmechatroniker, Bäckereifachverkäufer, Systemgastronomie, Bankkaufmann – jede Menge Ausbildungsplätze sind frei. Allein in Goch gibt es 16 Ausbildungsplätze für Elektroniker Energie- und Gebäudetechnik, in Kleve hat man für den Beruf Landwirt die Wahl zwischen elf Plätzen, in Emmerich für den Kaufmann im Einzelhandel zwischen zehn Ausbildungsstellen. Die Steuerverwaltung sucht im kompletten Agenturbezirk 140 junge Leute, die Hörgeräteakustiker-Branche 115. Und so geht es munter weiter. Reinhard Verholen, Vorsitzender der Steuerberatungskammer Düsseldorf: „Die Auszubildenden werden sich in Zukunft ihre Betriebe aussuchen können.“
Lehrer boten Workshops an
Um so wichtiger ist es für die Betriebe, an die Schüler heranzukommen. Merve Heynen, Personalreferentin bei Spectro Analytics, ist gleich mit drei Ausbildungsberufen an der Ausbildungsbörse vertreten und zeigt sich vom neuen Konzept überzeugt: „Wir waren erst skeptisch, aber dadurch, dass unsere Azubis hier mit den Schülern sprechen, gibt es sofort einen Teamgeist.“ Die Workshops, die die Lehrer des Berufskollegs anbieten, dienen dabei zugleich als Eisbrecher wie als Einblick ins Berufsbild. Heynen: „Das könnten wir an einem Messestand ja gar nicht leisten.“
Annette Vogt, stellvertretende Schulleiterin am Berufskolleg Kleve, ergänzt: „Bei Ausbildungsmessen reden häufig die Eltern, während wir hier für eine niederschwellige Kontaktaufnahme sorgen.“ Die Schüler, die zu etwa 85 Prozent vom Berufskolleg Kleve selber kommen, konnten sich freiwillig für die Workshops anmelden.
Landrätin hofft auf Fortsetzung
„Das ist eine Riesenmöglichkeit für uns, unseren Fachbereich individueller vorzustellen“, freut sich Frederik Koenen, Leiter der Pflegeschule der LVR-Klinik Bedburg-Hau. Landrätin Silke Gorißen jedenfalls findet, man solle das neue Format auch in den nächsten Jahren fortsetzen: „Es wäre toll, wenn man auch bei anderen Schulen Interesse dafür wecken könnte. Hier wäre innerhalb der Schullandschaft eine tolle Zusammenarbeit wünschenswert.“