Kreis Kleve. „Von Blühwiesen wird kein Mensch satt“, so der Chef der Kreisbauernschaft – welche Regelungen weg sollen

Die neue Ministerin war noch keine 24 Stunden im Amt, da wussten die Landwirte im Kreis Kleve schon, was sie sich von Silke Gorißen, der gestern vereidigten Ministerin für Landwirtschaft und Verbraucherschutz erhoffen. „Es ist gut, dass die Landrätin zur Ministerin aufgestiegen ist, weil sie den ländlichen Raum kennt“, sagt Michael Seegers, Landwirt aus Kalkar und Vorsitzender der Kreisbauernschaft.

Landwirte wollen weiter Spritzmittel nutzen dürfen

Michael Seegers ist als Kreislandwirt Sprecher für die Bauern im Kreis Kleve. Er sieht viele Betriebe in ihrer Existenz bedroht. 
Michael Seegers ist als Kreislandwirt Sprecher für die Bauern im Kreis Kleve. Er sieht viele Betriebe in ihrer Existenz bedroht.  © NRZ | Andreas Gebbink

Seegers kennt Silke Gorißen aus ihren anderthalb Jahren als Landrätin von mehreren gemeinsam absolvierten Terminen, auf denen die Bauern des Kreises ihre Sorgen und Nöte artikulierten. Seegers: „Sie hat gesagt, dass sie uns zur Seite steht. Ich hoffe, dass sie als Ministerin was machen kann.“

Aber was?

Seegers kommt ohne sich zu verhaspeln ein Wort mit elf Silben über die Lippen: Pflanzenschutzmittelanwendungsverordnung. Sie gilt eigentlich schon, aber erst im nächsten Jahr soll damit ernst gemacht werden. Das heißt: Im Kreis Kleve dürfen zusätzliche 1300 Hektar Landwirtschaftsflächen, die in Naturschutzgebieten liegen, nicht mehr oder nur noch stark reglementiert mit Pestiziden oder Herbiziden behandelt werden.

„Von Blühwiesen wird kein Mensch satt“

„Das sind für den Kreis Kleve beachtliche Flächen“, weiß Seegers. „Wenn das wie geplant umgesetzt wird, bedeutet das für ganz viele Betriebe den Tod.“ Er hofft, dass die Ministerin sich für weitergehende Ausnahmen stark machen kann.

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Ein zweites Thema, das den Landwirten unter den Nägeln brennt, sind zusätzliche Naturschutzflächen. Rund 300 Hektar sollen dazu kommen, eine Entwicklung, die Seegers ebenfalls Sorge bereitet. Er sagt: „Die Menschen sehen doch die leeren Regale in den Supermärkten. Von Blühwiesen wird kein Mensch satt.“

Naturschutz mit Augenmaß

Auch die immer stärker reglementierte Tierhaltung ist nach Ansicht des Kreisbauernchefs ein Thema, um das sich Silke Gorißen kümmern muss. Seegers: „Jeder Stall, der jetzt leer wird, bleibt auch leer.“ Er wünscht sich für sich und seine Kollegen „endlich wieder Planungssicherheit“.

Seegers sagt, dass er für Naturschutz sei, allerdings fordert er Augenmaß ein. Auch Hubert Reyers, als Wetterbauer bekannter Landwirt aus Kleve, der zugleich in der Fridays-for-Future-Bewegung aktiv ist, erhofft sich, dass die Interessen von Ökonomie und Ökologie unter einen Hut gebracht werden können. Er ist allerdings der Ansicht, dass der Weg zu einer ökologischer orientierten Bewirtschaftung des Landes grundsätzlich bereits eingeschlagen sei. Darauf müssten sich die Landwirte langfristig einstellen. Allerdings erwartete er auch von den Verbrauchern Verständnis dafür, dass auch produziert werden müsse. Am Ende des Tages will schließlich jeder etwas auf dem Teller haben.

Gorißen muss erklären, warum Lebensmittel teurer werden

Das, was auf den Teller kommt, dürfte allerdings in Zukunft deutlich teurer werden. Reyers: „Der Naturschutz und die Landwirtschaft müssen miteinander klarkommen.“ Gefordert sieht Hubert Reyers Silke Gorißen insofern auch in ihrer Funktion als Ministerin für Verbraucherschutz. „Den Verbrauchern muss erklärt werden, warum die Lebensmittel teurer werden“, so Reyers. „Denn es ist nicht so, dass die Bauern sich die Taschen vollschlagen. Die Anforderungen an die Betriebe durch strengere Vorschriften werden immer größer.“ Wenn beispielsweise keine Pflanzenschutzmittel aufgebracht werden dürfen, muss das Unkraut mechanisch beseitigt werden – was natürlich ungleich aufwändiger ist.

Hubert Reyers, Hobbymeteorologe aus Kleve-Kellen.
Hubert Reyers, Hobbymeteorologe aus Kleve-Kellen. © NRZ | Andreas Gebbink

Gefordert sieht Reyers die neue Ministerin auch bei den neuen Flächen, die unter Naturschutz stehen. Wenn es zu schwierig ist, diese zu bewirtschaften, werden die Landwirte diese vermutlich brachliegen lassen. Aber ist das in den heutigen Zeiten noch zu verantworten? Reyers ist der Ansicht, dass man sich das nicht leisten kann. „Es müssen Anreize geschaffen werden, diese Flächen weiter zu nutzen“, so seine Meinung.

Nabu möchte das Thema Biodiversität hochhalten

Als Verbraucherministerin solle sich Gorißen zudem um die Kennzeichnung der Tierhaltungsstufen kümmern. Reyers: „Das ist den Verbrauchern doch viel zu kompliziert, oder weiß jemand, was Haltungsstufe D5 bedeutet?!“

Dr. Heide Naderer, NABU Landesvorsitzende.
Dr. Heide Naderer, NABU Landesvorsitzende. © Bernd Schaller | Bernd Schaller

Für viele Landwirte am Niederrhein ist der Naturschutzbund Nabu seit vielen Jahren der gefühlte Erzfeind Nr. 1. Dessen nordrhein-westfälische Landesvorsitzende Dr. Heide Naderer wohnt am Niederrhein, und sie gratulierte der neuen Ministerin gleich am Tag der Vereidigung mit einem persönlichen Brief – der natürlich nicht nur Glückwünsche, sondern auch Wünsche enthielt.

Naderer: „Der Nabu hofft, dass das Thema Biodiversität, Natur- und Artenschutz auch in den Bereichen Land- und Forstwirtschaft und Verbraucherschutz weiterhin eine wichtige Rolle spielen werden. Von den unterschiedlichen Perspektiven aus gilt es zusammen zu kommen, um die biologische Vielfalt als eine Lebensgrundlage für uns alle – nicht nur Landwirte und Naturliebhaber – zu erhalten.“