Kleve. Katrin Jungclaus ist die erste Präsidentin in der 201-jährigen Geschichte des Landgerichts Kleve. Sie fühlt sich wohl in der Stadt.
Das letzte Buch, das Katrin Jungclaus aus der Hand gelegt hat, war der Roman „Über Menschen“ von Juli Zeh. Darin wird geschildert, wie eine Frau aus der Metropole Berlin in die brandenburgische Provinz zieht und zu der Erkenntnis gelangt, wie es in einer Rezension hieß, „dass die Dörfler nicht verrückter sind als die Städter“.
Wer weiß, womöglich kann Katrin Jungclaus am Ende ihrer beruflichen Laufbahn einen ähnlichen Roman schreiben und hoffentlich zur gleichen Erkenntnis gelangen. Seit Anfang August ist die 53 Jahre alte Juristin die Präsidentin des Landgerichts Kleve, die erste Frau in der 201 Jahre langen Geschichte der Einrichtung.
Zuletzt war Katrin Jungclaus Vizepräsidentin des Landgerichts Düsseldorf
Natürlich ist der Posten in der niederrheinischen Provinz eine berufliche Herausforderung, aber eine, die sie wegbefördert hat von den Großstädten am Rhein, in denen sie beruflich tätig war und wohnte: In Düsseldorf war sie zuletzt Vizepräsidentin des Landgerichts, davor arbeitete sie am Oberlandesgericht, und davor im Justizministerium. Mit ihrem Mann lebt sie in Köln. Die Millionenstadt bleibt zwar als Wohnsitz erhalten, aber zugleich hat Jungclaus nun auch eine Bleibe in der Klever Innenstadt – so nah an der Schwanenburg, dass sie dorthin laufen kann. Dass es schwierig ist, in Kleve eine Wohnung zu bekommen, hatte Jungclaus gehört, und so begann die Suche schon früh, streng genommen sogar schon, bevor es überhaupt feststand, dass sie nach Kleve wechseln würde. „Ich habe Glück gehabt“, ist sie mit Blick auf die Wohnungssituation überzeugt.
Seit wenigen Tagen ist sie im Amt, und, vielleicht auch dank des überwiegend freundlichen Wetters, hat sich ihr die Stadt von der besten Seite gezeigt: „Kleve gefällt mir außerordentlich gut“, sagt sie, wobei das im Augenblick nur für die Innenstadt gilt. Allerdings ist der Plan gefasst, das Kennenlernen in den nächsten Wochen deutlich auszuweiten, insbesondere ins Umland.
Ein Ziel: Die Digitalisierung der Justiz vorantreiben
Doch einen Großteil ihrer Zeit wird sie zunächst in ihrem Amtszimmer am Schreibtisch verbringen, hinter einem großen, abstrakten Wandbild, das sie als Leihgabe von ihrem Vorgänger Gerd Waldhausen übernommen hat. Waldhausen ist nach sieben Jahren in den Ruhestand gewechselt. Zu den Aufgaben, die auf die neue Präsidentin warten, zählt die Überführung des Justizwesens ins digitale Zeitalter – angesichts der immer noch existierenden Aktenberge, die sich in vielen Prozessen auftürmeb, eine monumentale Herausforderung. „Wichtig ist es, alle Bediensteten mitzunehmen“, so Jungclaus.
Die zweite Herausforderung, die sie als neue Präsidentin begleiten wird, ist im Grunde so alt wie das Landgericht selbst. Wie holt man neue Leute an die Schwanenburg, sowohl Richter als auch andere Bedienstete? „Nachwuchsgewinnung ist insgesamt ein Problem für die Justiz“, sagt Jungclaus, „aber im ländlichen Raum ist dies noch verschärft, weil dort die Studierenden nicht sozialisiert sind, anders als in den Großstädten.“
Justiz muss einer vielfältigeren Gesellschaft gerecht werden – und das Gesetz durchsetzen
Man kann auch nicht sagen, dass der Beruf des Richters einfacher geworden ist. Aus Sicht von Jungclaus stellt sich das dar als das Problem einer immer vielfältiger werdenden Gesellschaft mit verschiedenen Lebensentwürfen und verschiedenen Familienbildern, denen die Justiz gerecht werden muss – „und trotzdem müssen wir eben unsere Leitlinien – das Gesetz – durchsetzen, und dies auch noch der Öffentlichkeit verständlich machen“.
Dabei ist der neuen Präsidentin bewusst, dass Urteile unter Umständen tief in die Schicksale von Menschen eingreifen. Jungclaus: „Das gilt nicht nur für Strafrichter, sondern auch für Zivilrichter, wenn es beispielsweise um ein altes Familienunternehmen geht, über das entschieden werden muss und dessen Fortbestand möglicherweise davon abhängt.“
Als Au-Pair in die USA, dann das Studium in Hamburg
Zu entscheiden, das steht für die neue Präsidentin im Zentrum des Richterberufs: „Man hat die Möglichkeit zu entscheiden, man hat die Fähigkeit zu entscheiden, und dann muss man noch dazu stehen.“ Sie weiß noch gut, als sie das erste Mal selbst ein Urteil unterschreiben musste. „Dann fängt man an zu begreifen, was diese Entscheidungsgewalt ist, und wie schwer dies manchmal ist.“
Dass sie Juristin werden würde, war für Katrin Jungclaus insofern vorgezeichnet, als dass sie aus einer Bielefelder Juristenfamilie stammt. Gleichwohl ging sie nach dem Abitur erst einmal für ein Jahr in die USA und arbeitete dort als Au-Pair-Mädchen. „Eine Findungsphase“, sagt sie rückblickend. Dann begann sie ihr Studium in Hamburg, und dort kristallisierte sich schnell heraus, dass ihr der Richterberuf lag. „Die Justiz ist ein Pfeiler unseres Staates“, so Jungclaus.
Vorbild für andere Frauen
Lange war dieser Pfeiler einer, in dem Männer das Sagen hatten. Das hat sich zum Glück geändert: „Wir sind im Richterbereich fast paritätisch besetzt“, berichtet Jungclaus. „Dass ich hier nach 201 Jahren die erste Frau an der Spitze bin, freut mich natürlich besonders.“ Wichtig sei dies vor allem, weil man so Vorbild für andere Frauen werde. Frauen in Führungspositionen, das sei eben immer noch nicht selbstverständlich.
All diese Erwägungen aber kann sie in ihrer Freizeit hinter sich lassen, wenn sie zum Beispiel ins Theater geht oder aber mit ihrem Mann lange Wanderungen unternimmt. In diesem Jahr lagen die Ziele pandemiebedingt in Deutschland (Mosel, Siegerland), am liebsten aber durchwandert das Paar die endlosen Weiten Lapplands.