Kreis Kleve. Vor 50 Jahren wurde die Euregio Rhein-Waal gegründet. Die Vorsitzenden Thomas Ahls und Hubert Bruls wollen eine noch engere Zusammenarbeit.
Vor 50 Jahren, am 4. Mai 1970, da war das Verhältnis zwischen Deutschland und den Niederlanden noch angespannt. Die Geschehnisse des Zweiten Weltkrieges wogen schwer und belasteten die Beziehungen. Um so mutiger war es, vor einem halben Jahrhundert die Euregio Rhein-Waal zu gründen, um das Zusammenleben im Herzen Europas zu fördern. Heute sind die Beziehungen zwischen den Ländern so gut wie noch nie. Gerade in der Corona-Pandemie wird deutlich, wie schmerzhaft die eingeführten Hürden für Grenzübertritte sind. Offen Grenzen? Für uns völlig normal.
Die NRZ startet anlässlich des Euregio-Jubiläums eine kleine Serie, die wöchentlich erscheinen wird. Den Auftakt machen wir mit einem Interview der beiden Vorsitzenden und Bürgermeistern Thomas Ahls aus Alpen und Hubert Bruls aus Nimwegen.
Herr Bruls, sind wir aktuell noch eine Euregio? Oder agieren wir wieder wie zwei Länder, in denen man aneinander vorbeilebt?
Hubert Bruls: Wir sind natürlich noch eine Region. Aber Corona hat den Nationalismus in Europa in der Tat gefördert. Da brauchen wir kein Schleifchen drum zu binden. Nach 14 Monaten können wir konstatieren: Die Grenze ist härter als je zuvor. Persönlich bin ich in der Pandemiezeit nur noch zwei oder drei Mal in Deutschland gewesen. Normalerweise bin ich drei Mal im Monat im Nachbarland. Die Pandemie hat wirklich einen Einfluss auf unser Zusammenleben. Die Krise wird national angepackt und das finde ich sehr schade. Jedes Land macht wieder seine eigenen Regelungen, das ist für Bürger sehr verwirrend.
Die Verpflichtung zum Coronatest war der Todesstoß für den grenzüberschreitenden Austausch.
Bruls: Diese Maßnahme hat die Niederländer sicherlich überfallen. Aber es gab zuvor auch schon niederländische Regelungen, die wiederum Konsequenzen für den deutschen Grenzverkehr hatten. Ich habe mittlerweile akzeptiert, dass es diese unterschiedlichen Herangehensweisen gibt. Den Haag und Düsseldorf reden sicherlich miteinander, aber dies führt leider nicht dazu, dass man die Corona-Maßnahmen aufeinander abstimmt.
Herr Ahls, sehen Sie das genauso?
Thomas Ahls: Die informellen Beziehungen funktionieren ja und die Grenze ist auch nie geschlossen worden. Das war in anderen Regionen Europas anders. Klar, die Testpflicht ist da. Aber ich sehe es jetzt mal aus deutscher Sicht: Wir haben zwischen den Bundesländern ja fast die gleichen Effekte gehabt wie mit den Niederlanden. Bei uns machen auch einige Bundesländer Alleingänge.
Wir wollen aber aus diesen Ereignissen lernen. Und wir sehen ja auch gute Strukturen, etwa unsere Grenz-Infopunkte, die die Arbeitnehmer und Arbeitgeber mit wichtigen Informationen versorgen. Denn auch ohne Infopunkt hätten wir ja Grenzpendler.
Welchen Beitrag kann die Euregio für ein besseres Europa-Image leisten?
Bruls: Nun, das machen wir bereits seit vielen Jahren. Europa ist das Europa von Brüssel und den mitwirkenden Mitgliedstaaten. Aber Europa ist auch das Europa von Bürgern, die in der Region zusammenarbeiten. Und diese Zusammenarbeit ist viel stärker als noch vor 50 Jahren. Es hat bis zu den 70er Jahren gedauert, um sich überhaupt anzunähern. Ein Blick in die Geschichte ist da immer sinnvoll: Vor 76 Jahren befanden wir uns noch in einem völlig zerstörten Europa. Mit großem Hass auf beiden Seiten. Und wo stehen wir jetzt?
Ahls: Viele Dinge werden heute selbstverständlich solidarisch angegangen. Nehmen sie die Impfstoffverteilung. Europa hat dies gemeinsam gelöst und wir verbuchen jetzt auch schnelle Erfolge. Das hat vielleicht etwas länger gedauert, aber was wäre gewesen, wenn jedes Land für sich den Impfstoff besorgt hätte?
Lassen Sie uns auf die Euregio zurückkommen. Vieles hat sich in 50 Jahren verbessert, wo sehen Sie denn noch Handlungsfelder?
Bruls: In der Euregio müssen wir dafür kämpfen, dass wir viele Dinge weiter vereinfachen. Und wo das aufgrund der nationalen Gesetzgebung nicht möglich ist, müssen wir schauen wo wir investieren können: Wir haben jetzt die Grenz-Infopunkte, um den Arbeitsmarkt zu stärken. Können wir das noch erweitern und einen echten euregionalen Arbeitsmarkt aufbauen? Das wird dann mehr Geld kosten. Auf diesem Feld sehe ich noch Möglichkeiten für Verbesserungen. Denn wir nutzen immer noch nicht alle Wirtschaftskapazitäten unserer Region.
Ahls: Der grenzüberschreitende Arbeitsmarkt ist eine riesige Aufgabe. Unseren Unternehmern ist immer noch nicht klar, wie man in den Niederlanden Fuß fassen kann und wo man geeignete Ansprechpartner findet. Da müssen wir weiter dran arbeiten. Im Bereich Klimaschutz werden wir neue Handlungsfelder erschließen.
Bruls: Wir sehen, dass wir die wirtschaftliche Zusammenarbeit in der Euregio seit den 90er Jahren sehr verbessert haben. Früher beschäftigten sich unsere Projekte vor allem mit sozio-kulturellen Programmen. Die Interreg-Programme haben da einen enormen Schwung gegeben.
Aber was wir benötigen, ist eine euregionale Mentalität. Ein praktisches Beispiel: In den Niederlanden wird für alles Mögliche eine Statistik erstellt, wir sind gut im Analysieren. Aber all das endet an der Grenze. Für den Arbeitsmarkt verfügen wir über wunderbare Zahlen für die Region Arnheim oder Nimwegen, aber wir koppeln dies nicht mit den deutschen Zahlen. Und dies hat zur Folge, dass wir den Bürgern immer vorgaukeln, dass man in Nimwegen nur halb so große Chancen auf einen Arbeitsplatz hat als etwa in Utrecht. Und das ist irreführend. Denn in der Grenzregion hat man vielleicht sogar größere Chancen auf einen Arbeitsplatz, wenn man den Blick gen Deutschland wagt. Wir leben hier mitten in Europa und das Ruhrgebiet ist gerade mal eine Autostunde entfernt.
Welche Restriktionen gibt es für Unternehmer, sich im Nachbarland zu engagieren? Wenn Sie hier in Lent riesige Baugebiete erstellen, fällt auf, dass kaum deutsche Bauunternehmen beteiligt sind.
Bruls: Richtig, aber das hat wahrscheinlich auch mit Kulturunterschieden zu tun. Bei Ausschreibungen wird meistens scharf kalkuliert und wenn man aus dem Ausland mithalten möchte, muss man erst ordentlich in Wissen investieren. Das kostet viel Geld und man hat keine Gewähr, dass man den Zuschlag erhält.
Aber gibt es überhaupt ein Interesse daran, ausländische Unternehmen zum Zuge kommen zu lassen? Die Regionen wollen doch gerne, dass ihre Unternehmen den Auftrag erhalten.
Bruls: Erstens ist dies nach europäischem Recht verboten und zweitens ist das auch nicht sinnvoll, weil der Wettbewerb eingeschränkt wird. Vor 30, 40 Jahren war das in der Tat noch anders. Da war es ganz normal, dass man Absprachen mit Unternehmen traf. Diesbezüglich hat Europa echte Fortschritte gebracht.
Müssen wir das Wissen in der Euregio nicht noch viel stärker vernetzen? Der Klimawandel zwingt uns zu enormen Veränderungen. In Deutschland wollen wir mehr fürs Fahrradfahren tun, in den Niederlanden gibt es bereits prima Lösungen. Von diesen Erfahrungen könnte man profitieren.
Bruls: Ich teile die Einschätzung, dass auf diesem Gebiet noch stärker zusammengearbeitet werden kann. Denn gerade beim Fahrradverkehr hatten wir vor Corona große Pläne in der Schublade für euregionale Fahrradrouten. Ich hoffe, dass wir diesen Ball wieder aufnehmen.
Wir müssen die Chancen der euregionalen Zusammenarbeit stärker betonen und dabei kann die Euregio eine große Rolle einnehmen. So könnten Mitarbeiter von Rathäusern sich häufiger austauschen.
Ahls: Der Kern unserer Zusammenarbeit ist ja der Wissensaustausch. Die Universitäten beiderseits der Grenze arbeiten viel mehr zusammen als früher. Das gilt auch für den Gesundheitsbereich oder das Agrobusiness.
Was sind die Ziele der Euregio für die nächsten Jahre?
Bruls: Persönlich finde ich das Thema „euregionale Identität“ eine schöne Aufgabe. Das ist natürlich etwas Abstraktes, aber andererseits auch sehr wichtig. Diese Identität ist die Basis für unsere wirtschaftlichen, kulturellen oder sozialen Aktivitäten. Wenn man das Gefühl hat, dass man gemeinsam eine Region formt, dann wird man auch gemeinsam auftreten und sich entwickeln.
Wie macht man dies konkret erfahrbar?
Bruls: Letztlich kommt es darauf an, dass Menschen sich begegnen und ein Gefühl für die Euregio erhalten. Daher sind die kleineren Euregio-Projekte auch so enorm wichtig.
Ahls: Wir müssen mehr junge Leute ansprechen. Denn wir merken bei den jüngeren Leuten eine deutlich größere Distanz zum Nachbarland. Wir brauchen mehr Sprachunterricht, Praktika und gemeinsame Projekte.
Werden wir mal konkret: Braucht die Euregio eine grenzüberschreitende Polizeistation, wie jüngst von CDU-Bundestagsabgeordneten gefordert?
Ahls: Wir haben uns als Euregio dazu positioniert und finden das gut. Insgesamt funktioniert die grenzüberschreitende Zusammenarbeit. Als deutscher Polizeibeamter kennt man eine Telefonnummer von einem niederländischen Kollegen, den man im Zweifel anrufen kann. Aber insgesamt ist das alles noch sehr starr. Von daher wäre ein Vorstoß gut. In Bad Bentheim haben wir gute Erfahrungen mit mobilen Teams gemacht.
Bruls: Aber sollen dann deutsche Polizisten in den Niederlanden arbeiten? Es ist nicht sehr sinnvoll, niederländische Polizisten in Kleve zu platzieren. Denn nach niederländischem Recht gibt es in Kleve keine niederländischen Kriminelle. Gemeinsame Streifendienste sind etwas anderes.
Was muss sich beim ÖPNV in der Region noch verbessern?
Bruls: Beim Busverkehr haben wir Fortschritte gemacht: Es gibt eine halbstündige Verbindung bis zum Campus der Universität. Aktuell läuft eine Untersuchung, die von der Euregio in Auftrag gegeben wurde, sich die euregionale Mobilität insgesamt anzusehen.
Es ist richtig, dass es traditionell nicht viele Ost-West-Verbindungen gibt. Aber wir haben uns jetzt als Region in Den Haag für eine große Investition in die Strecke Arnheim-Ruhrgebiet stark gemacht. Ich hoffe, dass wir hier größere Fortschritte erzielen können. Und endlich die Diskussion über das Spoorlijntje beenden.
Denn die Reaktivierung Kleve-Nimwegen ist aussichtslos?
Bruls: Nichts ist jemals vorbei. Wir wissen nicht, was in 50 Jahren geschieht. Aber Groesbeek wird kurzfristig nicht mitmachen und daher bin ich auch froh, dass wir die Mobilitätsuntersuchung in Auftrag gegeben haben, um den Fokus zu verlegen. Damit haben wir Alternativen und kommen weg von der Bahn-Diskussion, die bereits seit Jahrzehnten im Sand stecken bleibt.