Kleve. Vier Jahre lang pflegt Sandra van de Loo-Diel auf ihrem Grundstück traumatisierte Minischweine – bis sie plötzlich einen Brief der Stadt erhält.
„Wir sind am Boden zerstört, fassungslos und einfach nur unendlich traurig.“ Mit diesen emotionalen Worten wenden sich Sandra van de Loo-Diel und ihr Ehemann Christoph Diel in einer Online-Petition an die Öffentlichkeit. Das Klever Ehepaar weiß nicht mehr weiter. „Es ist eine Frechheit“, sagt van de Loo-Diel im Gespräch mit der NRZ. Die 1. Vorsitzende des Vereins Tierfreiheit fühlt sich von der Stadt ungerecht behandelt, spricht von „Behördenwillkür“. Ihre große Sorge: der Verlust ihrer geliebten Göttinger Minischweine. Dabei fing vor vier Jahren alles so gut an.
Rückblick: „Im Mai 2018 haben wir von einer Tierschutz-Freundin eine Anfrage erhalten, ob wir fünf Minischweine aufnehmen können“, erinnert sich die 55-Jährige. Die scheuen Tiere kommen aus einem Versuchslabor, sind teilweise völlig verängstigt. Vor allem Sau „Rosi“ fällt es anfangs schwer, in ihrem neuen Zuhause Fuß zu fassen. „Es hat bestimmt zwei Jahre gedauert, bis sie uns vertraut hat“, erzählt van de Loo-Diel. „Sie hat im Versuchslabor all ihre Ferkel verloren. Das hat zu einem großen Trauma geführt.“ Das Ehepaar nimmt die Tiere bei sich auf, ist rund um die Uhr für sie da.
Dass die Schweine auf dem eigenen Grundstück mal zum Problem werden könnten, ahnen die beiden zu diesem Zeitpunkt nicht - bis 2019 ein neuer Nachbar einzieht und das Ehepaar plötzlich Post von der Stadt Kleve erhält. „Er hat sich damals über illegale Tierhaltung beschwert und behauptet, wir würden Pferde, Schafe und Ziegen bei uns halten“, so van de Loo-Diel. Ein Mitarbeiter der Stadt rückt aus, schaut sich das Grundstück an. Kurz darauf sei die Beschwerde fallen gelassen worden. Die 55-Jährige und ihr Mann atmen auf. „Wir dachten, das käme einer Genehmigung gleich.“
Ehepaar erhält Brief: Binnen vier Wochen müssen die Schweine weg
Ohnehin hätten die beiden bereits vor der Beschwerde alles in ihrer Macht Stehende getan, um die Tiere ordnungsgemäß anzumelden. „Ich habe mich damals überall erkundigt“, sagt van de Loo-Diel. Das Ehepaar habe sich vom Veterinärsamt extra eine Tierheimgenehmigung eingeholt. „Auch bei der Stadt habe ich angerufen. Dort hat man mir damals telefonisch die Zusage gemacht, dass wir die Schweine bei uns halten dürfen.“ Als dann 2019 auch noch die Beschwerde des Nachbarn wirkungslos bleibt, wähnen sich die beiden Tierfreunde auf der sicheren Seite.
Zwei Jahre verstreichen. Dann, im Sommer 2021, erhält das Paar einen weiteren Brief der Stadt. Wieder geht es um die Minischweine. Und wieder ist der verärgerte Nachbar der Auslöser. Sein Vorwurf: Geruchs- und Lärmbelästigung. „Er hat behauptet, unsere Schweine würden Ratten anlocken“, sagt van de Loo-Diel. Die Kleverin glaubt an Schikane, will dem Schreiben keine größere Bedeutung beimessen. Vor einigen Tagen dann der Schock: Erneut meldet sich die Stadt. Diesmal aber mit einer Frist. Binnen vier Wochen müssen die Schweine vom Grundstück verschwinden.
Was die 55-Jährige besonders verärgert, ist die Argumentation der Stadt. Nicht etwa Geruchs- oder Lärmbelästigung seien der Grund für das plötzliche Verbot. „Eine Schweinehaltung gehört nicht zu der in einem reinen/allgemeinen Wohngebiet zulässigen Kleintierhaltung“, schreibt die Klever Stadtverwaltung auf NRZ-Anfrage. Bedeutet: Das Ehepaar hätte die Schweine niemals bei sich aufnehmen dürfen. Doch wieso fällt das den Verantwortlichen erst nach fast vier Jahren auf? Und warum blieb die erste Beschwerde des Nachbarn 2019 erfolglos?
Van de Loo-Diel: „Habe gefragt, ob die noch alle Latten am Zaun haben“
Die Stadt Kleve hält sich auf Anfrage bedeckt: „Nähere Informationen können aufgrund des anhängigen ordnungsbehördlichen Verfahrens nicht mitgeteilt werden“, so ein Sprecher. Zur Verärgerung von van de Loo-Diel: „Ich habe Ende vergangener Woche bei der Stadt angerufen und gefragt, ob die noch alle Latten am Zaun haben.“ Ein Mitarbeiter habe ihr angeboten, die Frist um acht Wochen zu verlängern. Der Entschluss steht aber fest: Die Minischweine müssen weg.
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Das Ehepaar hat noch ein zweites Grundstück in Keeken. Dort leben andere Schweine. Könnten Rosi und die vier anderen Minischweine nicht einfach dort untergebracht werden? „Nein“, sagt die Vorsitzende des Vereins Tierfreiheit. „Schweine zu vergesellschaften ist immer eine Katastrophe. Deshalb sind Tiere in Mastbetrieben auch ständig voller Wunden.“ Vor allem für die stark traumatisierten Minischweine sei ein Umzug in eine neue Umgebung Stress pur. Van de Loo-Diel befürchtet, dass einzelne Tiere bei einer Zusammenführung getötet werden könnten.
Umso verzweifelter hofft die 55-Jährige auf eine Alternativlösung. Sogar dem Bürgermeister habe sie bereits geschrieben. „Ich habe ihn eingeladen, uns näher kennenzulernen.“ Bis heute warte die Kleverin auf eine Antwort. Dabei sei Van de Loo-Diel offen für Gespräche: „Ich wäre bereit, nie wieder Schweine auf meinem Grundstück zu halten – solange meine Tiere bis zu ihrem Lebensende bei uns bleiben dürfen.“ Die Zeit drängt. Und mit jedem Tag rückt die größte Sorge des Ehepaares einen Schritt näher: Der Verlust der geliebten Göttinger Minischweine.
Freundin startet Online-Petition: Bereits über 17.500 Unterstützer
Vergangene Woche habe eine Tierschutz-Kollegin von van de Loo-Diel auf „change.org“ eine Petition gestartet. Bis Freitagmorgen unterzeichneten 17.513 Personen den Antrag auf ein Bleiberecht für die fünf Minischweine. „Ich habe nicht mal mit 1.000 gerechnet“, so die 55-Jährige. „In der ganzen Tragödie ist es eine schöne Erfahrung, dass so viele Leute hinter uns stehen.“ Den Link zur Online-Petition finden Sie hier.