Aachen/Bedburg-Hau. Die Flucht aus der Forensik in Bedburg-Hau endete für einen Patientin tödlich, der zweite sitzt in U-Haft. SPD beantragt Landtags-Sondersitzung.
- Zwei Insassen der LVR-Klinik in Bedburg-Hau waren nach einer Geiselnahme am Montagabend auf der Flucht
- Dabei sollen sie ein von der Klinik erhaltenes Küchenmesser genutzt haben
- Die Polizei hat die beiden Männer am Dienstagabend in Aachen festgenommen
- Bei der Festnahme fielen Schüsse, einer der flüchtigen Männer wurde tödlich verletzt
- Der zweite Ausbrecher sitzt in Untersuchungshaft
Update Donnerstag, 17.20 Uhr: Laut NRW-Sozialministerium sind Ausbrüche aus Maßregelvollzugskliniken „sehr selten“. Ein Ausbruch liege vor, wenn ein Patient die Sicherheitseinrichtungen überwinde oder durch Gewaltanwendung aus dem gesicherten Bereich gelange. Aus der Forensik in Bedburg-Hau habe es den letzten Ausbruch - vor dem aktuellen vom Montag - vor drei Jahren gegeben.
Die NRW-SPD-Fraktion sieht in dem drastischen Fall Aufklärungsbedarf und beantragte noch für diesen Freitag eine Sondersitzung im Düsseldorfer Landtag. Im Gesundheitsausschuss wird am Morgen vor Beginn des Plenums ein Bericht der Landesregierung erwartet. Ob die außerordentliche Sitzung wegen sensibler Daten nicht-öffentlich abgehalten wird, entscheidet sich einem Landtagssprecher zufolge erst sehr kurzfristig.
Update Donnerstag, 14.55 Uhr: Laut LVR-Sprecherin Karin Knöbelspies wird der geflohene Patient (43) aus der Psychiatrie aller Voraussicht nach nicht in das Forensik-Haus in Bedburg-Hau zurückkehren, aus dem er floh. Allein, um keine Informationen mit anderen Insassen auszutauschen und auch, damit der bedrohte Pfleger ihm nicht mehr begegnen muss.
Wie und warum die beiden Ausbrecher in Bedburg-Hau überhaupt in den Besitz eines Küchenmessers kamen, wird derzeit genau überprüft. Es gibt durchaus Stationen mit höherer Sicherheitsstufe, auf denen als sehr gefährlich eingestufte straffällige Patienten nur unter Aufsicht ein Messer zum Brotschmieren erhalten, bestätigt Knöbelspies auf Anfrage.
Update Donnerstag, 12.53 Uhr: Nach der dramatischen Festnahme in Aachen sitzt der geflohene Patient aus der Psychiatrie in Bedburg-Hau hinter Gittern. Der 43-jährige Straftäter sei in Untersuchungshaft genommen worden, teilte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Kleve am Donnerstag auf Anfrage mit. Ein Richter habe am Vortag Haftbefehl gegen den Mann wegen Geiselnahme und schweren Raubes erlassen.
Update Donnerstag, 11.07 Uhr: Nach der Flucht zweier Straftäter aus der Psychiatrie in Bedburg-Hau hat die SPD im Landtag eine Sondersitzung beantragt. Als Termin für die außerplanmäßige Sitzung des Gesundheitsausschusses schlug die Fraktion diesen Freitag (29. Mai) vor, wie aus einem am Donnerstag veröffentlichten Schreiben der SPD-Fraktion hervorgeht. Bei Aachen waren die 37 und 43 Jahre alten Männer dann am Dienstag von der Polizei aufgespürt worden. Als der 37-Jährige den Ermittlern zufolge eine Frau mit einem Messer bedrohte, erschoss ihn die Polizei.
Der 37-Jährige hatte wegen schweren Raubes drei Jahre und acht Monate Haft erhalten. Der 43-Jährige war wegen besonders schweren Raubes zu einer Haftstrafe von zweieinhalb Jahren verurteilt worden. Wegen Suchtproblemen waren die Männer zur Entziehung im sogenannten Maßregelvollzug untergebracht.
Bedburg-Hau: LVR will die Flucht-Ereignisse genau prüfen
Update Donnerstag, 6.46 Uhr: „Wir werden die Abläufe intensiv überprüfen“, antwortet der Kaufmännische Leiter Stephan Lahr der NRZ auf die Frage, ob sich in Bedburg-Hau nun etwas ändern werde. Das laufe „in Abstimmung mit der LVR-Verbandszentrale und dem Land“. Selbst wenn es Änderungen geben sollte, werde über solch sicherheitsrelevanten Details sicher nicht öffentlich berichtet werden können. Karin Knöbelspies als Sprecherin des LVR ergänzt: Zum Ablauf des Ausbruchs gibt es nun mit den Mitarbeitern intensive Gespräche, „die sicher auch eine psychologische Komponente“ haben. Wegen des Verlaufs der Festnahme hat die Staatsanwaltschaft Aachen übernommen.
Update Mittwoch, 19.25 Uhr: Die aus der Psychiatrie in Bedburg-Hau geflohenen Straftäter sollen bei der Geiselnahme eines Pflegers ein von der Klinik erhaltenes Küchenmesser genutzt haben. Das Messer sei dem 37-Jährigen, der später auf der Flucht erschossen wurde, für den Eigenbedarf ausgehändigt worden, sagte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft Kleve. Zuvor hatte der „Kölner Stadt-Anzeiger“ berichtet“.
Demnach hatten der 37-Jährige und sein Komplize im Alter von 43 Jahren am Montagabend den Pfleger mit dem Messer bedroht und ihn gezwungen, den Pförtner unter falschem Vorwand die Schleuse öffnen zu lassen. Den Angaben nach musste der Pfleger an der Pforte anrufen und ankündigen, er werde mit zwei Patienten den Müll vor der Station entsorgen. Beim Gang aus der Psychiatrie sei dem Pfleger dann das Messer in den Rücken gehalten worden, sagte der Sprecher.
„Einschätzbare“ Patienten könnten Messer gegen Unterschrift für den Zeitraum der Zubereitung von Speisen ausleihen, hatte zuvor eine Ministeriumssprecherin die Regeln in der Klinik erläutert. Für den Maßregelvollzug sei „eine größtmögliche Annäherung der Unterbringung an allgemeine Lebens- und Arbeitsverhältnisse“ vorgeschrieben.
Der 37-Jährige war am Dienstagabend in Aachen von Polizeischüssen getroffen worden, als er nach Ermittlerangaben auf der Flucht vor den Beamten einer Frau ein Messer an den Hals hielt. Ob es sich dabei um dasselbe Messer handelte, war zunächst unklar. Der 43-Jährige wurde festgenommen.
Flüchtige Straftäter hatten Suchterkrankungen
Update Mittwoch, 13.10 Uhr: Die beiden geflohenen Straftäter waren wegen einer Suchterkrankung in der forensischen Klinik Bedburg-Hau untergebracht. Das sagte eine Sprecherin des kommunalen Landschaftsverbandes Rheinland (LVR), der die Klinik nahe Kleve betreibt. Die Männer, die hatten Raubdelikte begangen und waren im Oktober und Dezember 2019 in den Maßregelvollzug gekommen. Beide galten als gewaltbereit und waren der Sprecherin zufolge daher in einer gesicherten Station untergebracht - im Gegensatz zu Patienten, die Ausgang erhalten und damit auf ihre Entlassung vorbereitet werden.
Einer der Männer war von der Polizei erschossen worden, als er einen Tag nach der Flucht am Dienstag in Aachen eine Frau mit einem Messer bedrohte. Der ältere der beiden, ein 43-Jähriger, sei nach ihrem Kenntnisstand bisher nicht nach Bedburg-Hau zurückgebracht worden, schilderte die LVR-Sprecherin in Köln.
„Sie können sicher sei, dass man dort jetzt alle Sicherheitsabläufe ganz genau überprüft und dass Maßnahmen eingeleitet würden, falls sich Lücken zeigen.“ Es handele sich um den dritten gravierenden Fall in Bedburg-Hau.
Update Mittwoch, 11.58 Uhr: Bei den tödlichen Schüssen auf einen geflohenen Psychiatrie-Patienten in Aachen hat der 37-Jährige nach Angaben der Staatsanwaltschaft einer Geisel ein Messer an den Hals gehalten. Der Mann habe auf einem belebten Spielplatz am Dienstagabend eine Mutter von hinten mit dem Messer bedroht, sagte Sprecherin Katja Schlenkermann-Pitts. Mit vorgehaltenen Waffen hätten die Polizisten den Mann mehrfach aufgefordert, von der Frau abzulassen und auch den Schusswaffengebrauch angedroht.
Schüsse der Polizisten "klare Nothilfelage"
Als der Mann dem nicht nachkam, hätten zwei Polizisten geschossen „in einer klaren Nothilfelage“. Der Straftäter sei mehrfachen Aufforderungen nicht nachgekommen, das Messer fallen zu lassen. „Gegen die Polizeibeamten besteht kein Anfangsverdacht einer Straftat“, erklärte die Sprecherin.
Der Straftäter sei von beiden Kugeln getroffen worden. Welche tödlich war, sei noch nicht klar. „Der 37 Jahre alte Mann ist in Folge der Schussverletzungen gestorben“, sagte Oberstaatsanwältin Schlenkermann-Pitts. Der zweite 43-jährige ausgebrochene Patient habe sich dann problemlos festnehmen lassen.
Die 38- und 43 Jahre alten Patienten hatten am Montagabend im etwa 150 Kilometer von Aachen entfernten Bedburg-Hau bei Kleve einen Pfleger in der geschlossenen Abteilung der Klinik mit einem Messer bedroht. Anschließend zwangen sie ihn, die Außentür unter einem Vorwand öffnen zu lassen und sollen dann im Auto des Pflegers geflüchtet sein.
In der forensischen Klinik sind 400 Menschen untergebracht
Seit Oktober beziehungsweise Dezember 2019 waren sie in der forensischen Klinik in Bedburg-Hau. Dort werden im sogenannten Maßregelvollzug unter hohen Sicherheitsmaßnahmen psychisch kranke und suchtkranke Straftäter untergebracht, die schuldunfähig oder vermindert schuldfähig sind.
Träger der forensischen Klinik ist der Landschaftsverband Rheinland. Nach Angaben einer Sprecherin sind dort rund 400 Menschen untergebracht - auf eigentlich nur 382 Plätzen. In die Schlagzeilen war die Klinik zuletzt im November 2018 gekommen, als nach einem vereitelten Ausbruchsversuch mehrerer Patienten Tumulte auf einer Station ausbrachen. Im Mai 2017 war einem Psychiatrie-Gefangenen mit einer Geiselnahme der Ausbruch zeitweise gelungen.
Im Maßregelvollzug gibt es in NRW nach Angaben des Gesundheitsministeriums 14 spezialisierte Einrichtungen, in denen rund 3000 Patientinnen und Patienten behandelt werden. (mit dpa)