Essen. Auch Wochen nach Schließung aller Filialen gibt der Fall des Essener Traditionsunternehmens Rätsel auf. Mitarbeiter warten seit Monaten auf ihren Lohn.
Die Wut ist groß unter den vielleicht 20 Frauen, die sich am Montag (20.1.) bei klirrender Kälte in einem unscheinbaren Gewerbegebiet in Essen-Kray versammelt haben. Der Grund hat einen Namen: „Wurst König“. Die Metzgerei-Kette mit Sitz in Essen hat mit unterschiedlichen Begründungen und zumeist Knall auf Fall in den letzten Monaten alle Filialen geschlossen, genau 16 zählt die Webseite auf. Die meisten befinden sich im Ruhrgebiet, einige im Bergischen Land, dazu Leverkusen und Siegen. Auch die zwei Essener Niederlassungen im Limbecker Platz und im Allee-Center Altenessen machten Ende Dezember ohne Vorwarnung dicht. Die Angestellten, überwiegend Verkäuferinnen, standen nicht nur plötzlich auf der Straße, auch die Löhne wurden nicht mehr ausgezahlt. Den letzten hätten sie im November erhalten.
„Man hat uns gesagt, wir sollen heute zur Firmenzentrale kommen, da würden wir unser Geld bekommen“, sagt Tina Deck, die über 24 Jahren bei Wurst König gearbeitet hat. Dann sei ohne Angabe von stichhaltigen Gründen die Einladung kurzfristig wieder abgesagt worden. Sie kamen trotzdem, schon um miteinander zu beraten, was nun geschehen soll. Was die Frauen ohnehin befürchtet hatten, ist für sie jetzt jedenfalls Gewissheit: „Wir werden nur hingehalten.“
Die Firmenzentrale von Wurst König in Kray wirkt verwaist
Ein Blick in die verwaist wirkenden Firmenräume im Gebäude mit der Adresse Hängebank 13 stützt diese Vermutung. Hier war offenkundig schon längere Zeit niemand mehr. Man erkennt aufeinander gestapelte Schreibtische, an der Eingangstür haben Paketboten, die niemanden antrafen, ihre Nachrichten hinterlassen. Nadine Brodale, die in der Filiale im Limbecker Platz gearbeitet hat, ist nach eigenen Angaben per Zufall Zeuge gewesen, wie jüngst im Hof des Unternehmens drei Firmenfahrzeuge auf einen Autotransporter mit litauischem Kennzeichen geladen wurden. Es sei offenkundig, was hier gerade vor sich gehe.
Zu all dem hätte diese Redaktion die Geschäftsführung des Unternehmens, für das bislang keine Insolvenz angemeldet wurde, gerne befragt. Doch wie oft man es auch versucht, egal ob per Mail, Telefon oder über Messenger-Dienste: Niemand ist erreichbar, niemand meldet sich zurück. Der aktuelle Geschäftsführer von Wurst König heißt laut Registereintrag seit 7. November 2024 Giuseppe Lumini, er residiert in Gela, einer Kleinstadt an der Südküste Siziliens. Auch er ist nicht erreichbar. „Niemand von uns hat ihn je gesehen“, sagen die Frauen.
Versprechungen und leise Drohungen an die Mitarbeiter
Per Whatsapp kriegen die Mitarbeiterinnen hin und wieder Nachrichten mit Durchhalteparolen. Man arbeite „mit Hochdruck daran, unsere aktuelle Situation zu meistern und Lösungen zu finden“, heißt es da etwa. Mehr oder weniger unterschwellig wird sogar mit nicht näher benannten „Konsequenzen“ gedroht, wenn jemand an die Öffentlichkeit gehe oder dem Unternehmen den Rücken kehre.
Und, wie oben erwähnt: An Versprechungen herrscht kein Mangel: „Am 20. 01. können alle Mitarbeiter mit einem gültigen Ausweis bei Hängebank 13 vorbei kommen. An diesem Tag wird das Gehalt in Bar ausgezahlt.“ Sogar das ebenfalls noch ausstehende Weihnachtsgeld wird „für den nächsten Monat“ zugesagt. Spätestens an diesem kalten Morgen, als sie weder einen leitenden Mitarbeiter geschweige denn ihr Geld sehen, haben die Frauen den Glauben an solche Beteuerungen endgültig verloren - zumal Rückfragen aller Art ihren Aussagen zufolge unbeantwortet bleiben.
„Wie geht man hier mit uns um, ich bin 40 Jahre dabei, ich fasse es einfach nicht“, schimpft Petra Moll-Kaczmarek. Sie ist Gewerkschaftsmitglied, hat dort nachgefragt. „Aber die haben uns gesagt, sie können auch nichts machen.“ Einige Frauen wandten sich an Rechtsanwälte, auch die hätten mit den Schultern gezuckt: Schwierige Sache, ein Rechtsstreit habe nur geringe Erfolgsaussichten. Ob hier nicht längst der dringende Verdacht der Insolvenzverschleppung im Raum stehe, fragen einige, die sich nun vorgenommen haben, bei der Polizei Anzeige zu erstatten.
Brand mit Millionenschaden bei einem Zulieferer in Moers
Der Fall bleibt jedenfalls rätselhaft, so rätselhaft wie jener Brand Anfang November 2024 bei einem Wurstwarenhersteller in Moers, der Zulieferer für Wurst König war. Es entstand ein Millionenschaden. Zufall oder nicht: Drei Tage nach dem Brand gab das Unternehmen die besagte neue Leitung im fernen Sizilien bekannt. Brandursache? Bisher ist dazu nichts bekannt geworden.
Verkäuferin Fatia Smahi berichtet, noch im November seien sie aufgefordert worden, bei Lieferanten soviel zu bestellen wie möglich, mehr als man voraussichtlich verkaufen könne. Sehr verwundert sei man über diese Order aus der Zentrale gewesen. „Wissen Sie wie Wurst aussieht, nach einer Woche?“, fragt Nadine Brodale rhetorisch. Man habe sehr viel Ware wegwerfen müssen, in mehreren Filialen. Fast unnötig zu erwähnen: Natürlich warten auch Lieferanten auf ihr Geld, darunter solche, die seit Jahrzehnten mit Wurst König eigentlich gute Geschäftsbeziehungen pflegten.
Der Fall eines Traditionsunternehmens: ein Mysterium, auf dessen Auflösung mittlerweile sehr viele gespannt sind.
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