Essen. „Diskriminierend und absehbar verfassungswidrig“ nennt ein Bündnis um Pro Asyl die Bezahlkarte für Flüchtlinge. Warum Essen die Karte einführt.
Trotz des Protests von Sozialverbänden wird Essen die Bezahlkarte für Flüchtlinge einführen. Nach knapp einjährigem Vorlauf wird die „Social-Card“ seit dem 7. Januar zunächst in den landeseigenen Flüchtlingseinrichtungen ausgegeben. Ab dem zweiten Quartal 2025 – also ab April – soll die Karte auch in den kommunalen Unterkünften genutzt werden. Eine „Opt-Out-Regelung“ ermöglicht es den Städten, auf die Einführung der Karte zu verzichten. Essen wird diese Option nicht nutzen.
Oberbürgermeister warnt vor einem „Flickenteppich“ bei der Social-Card
Oberbürgermeister Thomas Kufen hatte schon im Februar 2024 vor einem „Flickenteppich“ gewarnt, wenn im dicht besiedelten Ruhrgebiet die eine Kommune die Karte einführe und die Nachbarstadt nicht. „Flüchtlinge, die auf der einen Straßenseite leben, bekommen Bargeld, die auf der anderen die Karte – solche Kleinstaaterei kann nicht vernünftig sein.“ Die Politik hofft darauf, dass mit der Karte ein Anreiz zur illegalen Migration gemindert wird. Der OB hatte deshalb schon damals klargemacht, dass Essen die Bezahlkarte in jedem Fall einführen werde.
Wann genau das passieren wird, kann der zuständige Sozialdezernent und Stadtdirektor Peter Renzel derzeit nicht sagen. Das Integrationsministerium des Landes arbeite noch an den Anwendungshinweisen für die 396 Kommunen in NRW. „Ein Datum für den Rollout ist noch nicht fixiert.“
Knapp 800 Menschen in Essen sollen eine Bezahlkarte bekommen
Das Land ermöglicht Städten, die bereits mit einer Bezahlkarte arbeiten, „an vor Ort bereits etablierten Systemen festzuhalten“. Da es in Essen noch keine Karte gibt, werde man auf das vom Land bereitgestellte System zurückgreifen. „Die Kosten zur Einführung der Bezahlkarte werden durch das Land getragen.“
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Wie Renzel mitteilt, leben in Essen aktuell 1184 Menschen, die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz erhalten. „Davon sind 797 Personen volljährig und würden bei der Einführung der Bezahlkarte eine solche ausgehändigt bekommen.“ Kinder erhalten ihre Leistungen auf der Karte von Mutter oder Vater. Für jeden Leistungsberechtigten sehe die Verordnung des Landes eine Bargeld-Zahlung von 50 Euro pro Monat vor. Bei „berechtigen Mehrbedarfen“ könne von dieser Grenze nach oben abgewichen werden.
Flüchtlinge aus der Ukraine erhalten sofort Bürgergeld
Von den Menschen, die zurzeit in Flüchtlingsunterkünften der Stadt leben, würden nur 141 die Bezahlkarte bekommen. Denn die weiteren 481 Heimbewohner stammen aus der Ukraine und haben daher in der Regel vom ersten Tag an einen Anspruch auf Leistungen nach SGB II, also Bürgergeld. „Für Empfänger und Empfängerinnen dieser Leistungen ist die Bezahlkarte nicht vorgesehen“, erklärt Renzel.
Bereits im April 2024 hatte ein breites Bündnis von Arbeiterwohlfahrt (Awo) über DGB Pro Asyl und Pax Christi bis zum Viel-Respekt-Zentrum in einem Offenen Brief gegen die Einführung der Bezahlkarte protestiert. Dieser Tage erneuerten die Unterzeichner ihre Kritik in einem Offenen Brief an OB Kufen, Stadtdirektor Renzel und den Stadtrat: Die Karte sei „diskriminierend und absehbar verfassungswidrig“.
Pro Asyl rügt den massiven Eingriff in die Handlungsfreiheit der Betroffenen
Den Kommunen bleibe eine Alternative, heißt es weiter: „Sie selbst können im Rahmen der Opt-Out-Regelung entscheiden, die Karte nicht einzuführen.“ Sozialleistungen als Kontroll- und Disziplinierungsinstrument einzusetzen, sei ein „massiver Eingriff in die Würde und Handlungsfreiheit“ der Betroffenen; zumal vielerorts nur Bargeld akzeptiert werde.
Peter Renzel weist darauf hin, dass der Kartenanbieter Visa, der die Social-Card bereitstelle, „zurzeit 1,3 Millionen Akzeptanzstellen in Deutschland“ habe. Das Integrationsministerium spricht von einem Netz, das „mehr als 15.000 Geschäfte“ umfasse. Die grüne Ministerin Josefine Paul betont, man teile bewusst auch Kindern den vollen Bar-Betrag von 50 Euro zu, damit Familien über Bargeld verfügen, „um beispielsweise Kinderkleidung auf Flohmärkten günstiger kaufen zu können“.
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