Essen. Überall Zigaretten, wilde Müllkippen – das ist nicht nur ein Problem armer Stadtteile. Wir treffen Reiniger Michael Buckert in Essen-Werden.

In großen Müllbeuteln liegen Kabel, aus denen jemand das wertvolle Kupfer geschält hat. Dort hat jemand eine Druckerpatrone hingeworfen, hier einen Kanister – er ist zu einem Drittel mit Motoröl gefüllt. Leere Kartons stapeln sich vor den Altpapiercontainern, die noch gar nicht voll sind. „Ich kann es nicht verstehen“, sagt Eva Schohregge und schüttelt bei diesem Anblick den Kopf. Immer wieder, wenn die 61-Jährige ihr Altpapier wegbringen möchte, türmt sich der Müll vor den Containern. „Ich ärgere mich schwarz.“

Dabei lebt sie nicht in einem sogenannten Problemstadtteil. Die wilde Müllkippe befindet sich im schicken Stadtteil Essen-Werden, auf dem Parkplatz in der Nähe des Doms. „Die Containerplätze sind schwierig – sowohl im Essener Norden als auch im Süden“, sagt Michael Buckert. Er ist Reiniger bei den Essener Entsorgungsbetrieben.

Müll: Nur ein Problem in den Problemstadtteilen? Nein. Wir treffen Müllwerker Michael Buckert im schicken Essen-Werden.
Wilde Müllkippe in Essen-Werden: Reiniger Michael Buckert von der Abfallabfuhr findet Pappkartons neben leeren Containern sowie Kabel, Druckerpatrone, einen Ölkanister. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Müll, der einfach achtlos weggeworfen wird, ist ein immer größeres Problem im Ruhrgebiet. Allein die Stadt Essen gibt jedes Jahr 1,6 Millionen Euro aus, um diesen illegalen Abfall zu entsorgen. Dabei kostet das Einsammeln besonders viel. Doch das Müll-Problem ist nicht nur eine Frage der Kosten oder der Anzahl der Papierkörbe. Es ist ein gesellschaftliches Ärgernis. Die Menschen regen sich auf, wenn sie in Kaugummi treten und über Pappkartons steigen müssen, um ihr Altglas in den Container zu werfen.

Zügig entsteht eine Abstiegsspirale: Wo schon Abfall liegt, wird der Müll-Haufen schnell größer und größer – und die Lebensqualität kleiner. Michael Burkert ist einer von denjenigen, die diesem Abstieg ein Ende setzen möchten. Der 45-Jährige kennt sich aus. „Ich fahre die GKM, die Großkehrmaschine, und die KKM, die Kleinkehrmaschine“, sagt der Reiniger. Und das in ganz Essen. Wer Michael Buckert begleitet, lernt viel über den Müll – und die Gesellschaft.

Müll: E-Zigaretten werden achtlos weggeworfen

An diesem Tag ist der Reiniger zu Fuß unterwegs. Seine Handkarre rumpelt über das Kopfsteinpflaster auf der Grafenstraße in Werden. In den Lücken zwischen den Steinen klemmen die Zigarettenkippen. Einen kleinen Haufen davon wird er später an einer Bushaltestelle auffegen. Der Müll türmt sich. „Immer da, wo die Menschen warten müssen.“ Sie werfen die Kippen achtlos weg. Dabei sind die Filter giftig – und auch das Nikotin in den Zigaretten schädlich fürs Grundwasser.

Noch mehr sorgt sich Buckert jedoch über die E-Zigaretten, die genauso gedankenlos auf die Straße geworfen werden. „Ich sehe jeden Tag 20 bis 30 weggeworfene Vapes.“ Die gehörten nicht mal in den normalen Abfalleimer, das sei Elektromüll. Ein Fall für den Recyclinghof. Denn in den E-Zigaretten befinden sich kleine Akkus. „Da fahren Autos drüber und beschädigen die Akkus.“ Landet dieser Müll in der Abfallsammlung, warnt Buckert, kann er in Flammen aufgehen – und sogar den Müllwagen in Brand setzen. „Es ist super-gefährlich!“

Müll: Nur ein Problem in den Problemstadtteilen? Nein. Wir treffen Müllwerker Michael Buckert im schicken Essen-Werden.
 „Ich ärgere mich schwarz“, sagt Eva Schohregge über den ganzen Müll, den andere achtlos neben noch leeren Containern in Essen-Werden werfen. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Zu wenige Papierkörbe für den Müll? Oder sind die Leute zu faul?

Die Pappbehälter sind ein weiteres Problem. Sie werden nicht unbedingt weggeworfen, aber abgestellt: Buckert pickt kopfschüttelnd einen mit der Zange von einem Stromkasten. Wären mehr Mülleimer eine Lösung? „Nein“, sagt Buckert. „Ich denke, es sind genügend Papierkörbe vorhanden. Die Leute sind nur zu bequem, fünf Meter weiter bis zum Papierkorb zu gehen. Es würde sich auch nichts ändern, wenn man alle zwei Meter einen aufstellen würde.“

An der Bushaltestelle „Werden Brücke“ gibt es sogar zwei Abfalleimer – und trotzdem liegen Bonbonpapier, Schokoriegelfolie und Brötchentüte auf dem Boden.

Müll: Nur ein Problem in den Problemstadtteilen? Nein. Wir treffen Müllwerker Michael Buckert im schicken Essen-Werden.
Nicht achtlos weggeworfen, aber was hat ein Kaffeebecher auf einem Stromkasten zu suchen? Straßenreiniger Michael Buckert: „Die Leute sind nur zu bequem, fünf Meter weiter bis zum Papierkorb zu gehen.“ © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Noch ein Ärgernis: „Von halbstarken Jugendlichen abgetretene Papierkörbe.“ Da verteilt sich dann der ganze Abfall auf dem Gehweg. Buckert: „Das passiert auch in Werden.“

Lösung des Müll-Problems? In Japan nehmen die Leute ihren Abfall mit nach Hause

Zu Fuß geht der Reiniger oder einer seiner Kollegen einmal in der Woche durch den Stadtteil, leert die Mülleimer. „Wobei die Flitzer auch noch durchfahren und die Körbe leeren“, sagt Buckert. Flitzer, das sind die Pritschenwagen der Müllabfuhr. „Ohne uns würde der Müll in Werden in ein paar Wochen knöchelhoch stehen.“

Müll: Nur ein Problem in den Problemstadtteilen? Nein. Wir treffen Müllwerker Michael Buckert im schicken Essen-Werden.
Kippen im Kopfsteinpflaster: Michael Buckert räumt in schicken Essen-Werden den Müll weg. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Die Tür des Salons „Schneidewerk“ öffnet sich, der Friseurmeister Bernd Schulte-Schnitker fragt freundlich: „Könnten Sie bitte den Müll da vorne auch mitnehmen?“ Der 57-Jährige zeigt auf ein Mäuerchen, auf dem Zettel, Taschentücher, Schnapsfläschchen liegen. „Ja, klar“, sagt Buckert und nimmt die Zange.

„Freunde waren in Japan, da liegt nichts herum“, erzählt Schulte-Schnitker immer noch staunend. Dabei gebe es dort kaum Abfallkörbe. Die Leute würden ihren Müll wieder mit nach Hause nehmen. Weil sie es so gelernt haben. Sauberkeit ist auch eine Mentalitätsfrage. „Die Freunde sind zurückgekommen und haben gesagt, wie dreckig das hier ist.“

Ob man die Menschen nicht auch im Ruhrgebiet dazu bewegen könnte, ihren Müll nicht achtlos wegzuwerfen? Der „Mängelmelder“, eine App, mit der man in Essen auf verdreckte Stellen, Graffiti, oder defekte Laternen aufmerksam machen kann, werde in Werden rege genutzt, so Buckert. Es stören sich also viele Leute am Müll.

Müll: Nur ein Problem in den Problemstadtteilen? Nein. Wir treffen Müllwerker Michael Buckert im schicken Essen-Werden.
Reines Laub könnte man wunderbar kompostieren. Doch zu viel Abfall versteckt sich zwischen den Blättern. Daher wird das Laub von Gehwegen in Essen verbrannt. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Auf dem Gehweg liegt ein Hundehäufchen. Mit Taschentuch und Müllzange versucht Buckert, es abzukratzen. „Tretminen sind ein Problem, aber nicht mehr so stark wie früher.“ Da habe es ein Umdenken gegeben. „Viele heben die Häufchen mit den Tüten auf.“ Die Leute können sich also doch ändern? „Ja, wenn es ans Portemonnaie geht“, meint Buckert.

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Dabei kann es nicht allein am Geld liegen, dass die Menschen beim Hundehäufchen achtsamer geworden sind, den Kaffeebecher aber weiterhin gedankenlos wegwerfen. Denn die Höhe des Bußgelds unterscheidet sich quasi nicht: Für Tierkot auf dem Bürgersteig muss man in Essen seit 2019 ein Bußgeld von 100 Euro zahlen, auf Liege-, Spielflächen und Kinderspielplätzen sind es 125 Euro. Wer zum Beispiel einen Pappbecher, eine Bananenschale oder eine Zigarettenschachtel achtlos wegschmeißt, kann ebenfalls mit 100 Euro zur Kasse gebeten werden.

Bei größeren Mengen sind bis zu 510 Euro fällig. Für Altöl in Behältnissen sind je nach Menge sogar zwischen 500 und 5100 Euro zu berappen. Vorausgesetzt, man wird beim Wegwerfen auf frischer Tat ertappt. Das macht die Verfolgung dieser Fälle so schwierig. Videoüberwachung wird deswegen in verschiedenen Städten diskutiert – und aus datenschutzrechtlichen Gründen wieder verworfen.

Müll: Nur ein Problem in den Problemstadtteilen? Nein. Wir treffen Müllwerker Michael Buckert im schicken Essen-Werden.
Reiniger Michael Buckert zeigt einen Kanister mit Öl fürs Auto, der neben Altpapiercontainern stand. Dort hat dieser Abfall nichts zu suchen. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

„Entschuldigung, du hast da etwas verloren“, weist Buckert einen Jungen auf einen Zettel hin, der ihm gerade aus der Tasche gefallen ist. Der Junge sagt schuldbewusst: „Tschuldigung.“ Und hebt das Papier auf. Doch nicht alle reagierten so verständnisvoll, sagt Buckert. Andere schüttelten einfach den Kopf und gingen weiter. „Es gibt immer solche und solche.“

Altpapiercontainer-Plätze verwandeln sich schnell in wilde Müllkippen

Wenn einmal jemand einen Karton vor dem noch leeren Altpapiercontainer abgelegt hat, ist die Hemmschwelle gering, noch etwas dazuzulegen. Und schon entsteht die nächste wilde Müllkippe, wie die auf dem Parkplatz am Dom in Werden. Die muss täglich geräumt werden, so Buckert. Per Handy fordert er einen „Flitzer“ an, denn bei den Massen kommt er mit seiner Handkarre nicht weiter.

„Allen Leuten geht es um Umweltschutz, um Müllvermeidung – und dann kommt so etwas“, sagt Anwohnerin Eva Schohregge. Sie ärgert sich über den Widerspruch: Die Menschen wünschen sich mehr Sauberkeit, aber der achtlos weggeworfene Müll wird trotzdem nicht weniger. „Es ist ein Kampf gegen Windmühlen“, sagt der Reiniger Michael Buckert. Aber anders ginge es nicht bei den wilden Müllkippen. „Sonst würde der Müll hier nach kurzer Zeit schulterhoch stehen“.

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