Essen. Nach dem Aus für das Essener Modell fordert Stadtdirektor Peter Renzel, das Klinik-Bündnis neu zu beleben. Es drohe die Aufgabe von Standorten.

Es sollte ein großer Wurf werden und die Essener Krankenhaus-Landschaft zukunftsfest aufstellen: Mitte Dezember 2023 verkündeten die drei freigemeinnützigen Klinikbetreiber der Stadt, dass man eine enge Zusammenarbeit plane. Zuletzt aber war es still geworden um das von Contilia, den Alfried-Krupp-Krankenhäusern und den Evangelischen Kliniken Essen-Mitte (KEM) geplante „Essener Modell“. Nun kommt das Aus, bevor es losgeht: „Trotz intensiver Bemühungen erwiesen sich zentrale Fragestellungen als zum jetzigen Zeitpunkt zu komplex, um zu einer einheitlichen Lösung zu gelangen“, heißt es in einer am Freitag (4.10.) veröffentlichten gemeinsamen Erklärung.

Besorgt hat Stadtdirektor und Gesundheitsdezernent Peter Renzel auf die Mitteilung reagiert: „Das darf und wird aus meiner Sicht nicht das letzte Wort sein!“, schreibt er auf Facebook. Der „zukunftsweisende Weg“ müsse weiterverfolgt werden.

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Die drei Klinikträger sehen sich dazu momentan nicht in der Lage. Man habe seit Ende vergangenen Jahres „in erheblichem Umfang Ressourcen und Zeit investiert, um ein gemeinsames medizinisches Konzept zu entwickeln“, schreiben sie. Wie man hört, sollen die Klinikkonzerne einen geschätzt siebenstelligen Betrag in Beraterleistungen investiert haben, ohne deren Hilfe die kniffligen Abstimmungsprozesse nicht zu bewerkstelligen gewesen wären. Namentlich handelte es sich um kartellrechtliche Fragen, um Mitbestimmung und Altersvorsorge.

„Trotz intensiver Bemühungen erwiesen sich zentrale Fragestellungen als zum jetzigen Zeitpunkt zu komplex, um zu einer einheitlichen Lösung zu gelangen.“

Aus der Pressemitteilung zum Aus für das geplante „Essener Modell“, in dem sich drei Essener Klinikbetreiber zusammenschließen wollten.

Ursprünglich geplant war, gemeinsam zwei Versorgungsnetze auszugestalten: eins für die wohnortnahe Grund-, Regel- und die Notfallversorgung. Ein weiteres für planbare Behandlungen, die man in spezialisierten Zentren anbieten wollte. Das Vorhaben schrieb man in einem Letter of Intent (LoI), also einer formalen Absichtserklärung, fest. Seither investierte man zahllose Arbeitsstunden in eine möglichst konkrete Ausgestaltung.

Krupp-Krankenhäuser schlugen vor, die Vereinbarung zu lösen

Dabei trafen unterschiedliche Trägermodelle, eine jeweils eigene Philosophie der drei Klinikbetreiber und ein wohl auch verschieden stark ausgeprägter Reformwille aufeinander. Und so gelangte man letztlich zu keinem Ergebnis, konnte auch die schwierigen gesellschaftsrechtlichen Fragestellungen nicht lösen. „Daher hat Krupp die Contilia und die Kliniken Essen-Mitte informiert, nicht mehr am Letter of Intent festhalten zu wollen und vorgeschlagen, den LoI aufzuheben“, heißt es dazu in der Mitteilung.

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In der Folge hätten alle drei Parteien beschlossen, den „Letter of Intent“ zum 30. September aufzulösen. Das war auch deshalb nötig, weil dieser eine Exklusivitätsvereinbarung beinhaltete, die die Partner aneinander band. Nun erklären diese: „Sie gehen diesen Schritt, um jeder beteiligten Einrichtung die Möglichkeit zu geben, sich neu auszurichten und alternative Wege zu erkunden.“

Die Krise beim Krupp-Krankenhaus Steele

Ein Millionen-Defizit zwang das Alfried-Krupp-Krankenhaus Steele im Oktober 2023, sich unter den Schutzschirm zu begeben, um eine Insolvenz abzuwenden. Ende März 2024 wurde das rechtliche Verfahren erfolgreich beendet, das Haus also gerettet.

Ende März trennte sich „Krupp“ auch von Geschäftsführer Dr. med. Günther Flämig, der seit 2011 die beiden Häuser in Rüttenscheid und Steele geführt hatte. Ihm folgten Juristin Susanne Diefenthal, die zuvor bei der „München Klinik gGmbH“ tätig war, und Diplom-Kauffrau Dr. Michaela Lemm, Geschäftsführerin der „hcb GmbH“ in Essen. Lemm wurde interimistisch engagiert, „um den Sanierungsprozess des Krankenhauses in Steele und die Restrukturierungsmaßnahmen für beide Krankenhäuser voranzutreiben“.

Dr. Günther Flämig ist seit Ende September neuer Geschäftsführer des Rotkreuzklinikums München, wie das Fachmagazin „kma-online“ berichtet. Bereits seit Juni 2024 sei er bei der Hospital Management Group (HMG) beschäftigt, für die er jetzt auch im Rahmen eines Managementvertrages in München angetreten sei.

Leicht dürfte das nicht sein, da es in Essen mit der Universitätsmedizin nur noch einen ungleich größeren und völlig anders verfassten Klinikbetreiber gibt. Und: Hätte sich ein Bündnis zwischen zwei der drei anderen Träger aufgedrängt, hätte man das „Essener Modell“ ja nicht abwickeln müssen, sondern zu zweit weiterverhandeln können. Nun könnte es zunächst wohl auf kleinteiligere Kooperationen unter den diversen Akteuren im Gesundheits- und Pflegebereich hinauslaufen – statt des großen Wurfs. Stadtdirektor Peter Renzel wirbt für eine Zusammenarbeit mit der Universitätsmedizin in „einzelnen Leistungsgruppen“ und setzt darauf, „dass sich die Träger wieder zusammenfinden und ggf. auch einzelne Zwischenschritte“ der Zusammenarbeit vereinbaren.

Bleibt abzuwarten, wie groß die Bereitschaft dazu ist. Spätestens seit dem Frühjahr, als die Krupp-Krankenhäuser die drohende Insolvenz ihres Hauses in Steele abwendeten und sich von ihrem langjährigen Geschäftsführer Dr. med. Günther Flämig trennten, dürfte das „Essener Modell“ in schweres Fahrwasser geraten sein: Die beiden anderen Parteien verloren mit Flämig ihren vertrauten Ansprechpartner; und unter der neuen Doppelspitze in der Krupp-Geschäftsführung verschoben sich die Prioritäten erkennbar.

Stadtspitze hatte sich die Zusammenarbeit der Kliniken gewünscht

Schon im August beantworteten alle drei Träger Fragen zum „Essener Modell“ mit Zurückhaltung. „Abschließende Erkenntnisse liegen bei vielen Aspekten noch nicht vor“, hieß es etwa bei der Contilia. Daher hätten sie alle bei der Krankenhaus-Planung des Landes „ausschließlich trägerspezifische Anträge gestellt“. Sprich: Schon da trat jeder aus dem Trio alleine an.

Fest steht, dass mit dem Aus für das „Essener Modell“, auch ein Projekt gescheitert ist, dass sich die Stadtspitze ausdrücklich gewünscht hatte. „Wir brauchen eine strategische Allianz der Träger der Gesundheitsversorgung in Essen“, hatte Oberbürgermeister Thomas Kufen im Oktober vor einem Jahr gefordert. Die Stadt wie auch die Belegschaften der betroffenen Krankenhäuser wurden jetzt über das Scheitern des Essener Modells informiert.

Der Druck ist derweil nicht kleiner geworden: Die Krankenhausreformen von Land und Bund zielen auf eine stärkere Spezialisierung ab: Kliniken, die schwächer aufgestellt sind oder zu geringe Fallzahlen haben, sollen Bereiche zugunsten starker Standorte abgeben. Manche Krankenhäuser werden ganz vom Netz gehen.

Die Kliniken Essen-Mitte setzen schon lange auf Spezialisierung statt auf Breite

Die Ev. Kliniken Essen-Mitte mit dem Huyssensstift in Huttrop (Bild) verfolgen schon lange einen strikten Spezialisierungs-Kurs.
Die Ev. Kliniken Essen-Mitte mit dem Huyssensstift in Huttrop (Bild) verfolgen schon lange einen strikten Spezialisierungs-Kurs. © FUNKE Foto Services | Ulrich von Born

Das „Essener Modell“ wollte kein Rationalisierungsvorhaben sein, es hätte aber die Chance geboten, die unausweichliche Flurbereinigung vor Ort selbst zu organisieren. Die KEM wäre wohl bereit gewesen, mit dem Ev. Krankenhaus in Werden einen ihrer drei Standorte preiszugeben. Der evangelische Klinikbetreiber verfolgt schon lange eine konsequente Spezialisierung – mit Leuchttürmen wie dem Brustzentrum oder der Onkologie – auf Kosten der Breite; früh gab man Disziplinen ab. Man sieht sich damit als ausgemachter Gewinner der anstehenden Reformen und brannte auch für das „Essener Modell“.

Krupp-Krankenhaus wendet Insolvenz ab und installiert neue Führung

Sorgenkind: Das Alfried-Krupp-Krankenhaus in Steele stand im vergangenen Jahr vor der Insolvenz.
Sorgenkind: Das Alfried-Krupp-Krankenhaus in Steele stand im vergangenen Jahr vor der Insolvenz. © FUNKE Foto Services | Christof Köpsel

Bei Krupp hingegen scheint etwa die Idee, das Krankenhaus in Steele schlanker und profilierter als reine Fachklinik aufzustellen, auf wenig Gegenliebe gestoßen zu sein. Ausgesprochene Partikularinteressen soll es bei der Contilia geben, unter deren Dach etliche Kliniken und Pflegeheime firmieren, nicht nur in Essen. Eine radikale Spezialisierungsstrategie passt nicht zu dem „Vollsortimenter“, dessen Angebot von Geburt bis Geriatrie reicht.

Auch leidet die Contilia wohl noch unter dem Trauma der schlecht gemanagten Abwicklung von Marienhospital Altenessen und St. Vincenz-Krankenhaus Stoppenberg. Beim größten der drei Partner bestreitet man indes, notwendige Schritte aus Furcht vor öffentlicher Empörung zu unterlassen: Bundesweit stehe der Zuschnitt der Krankenhäuser auf dem Prüfstand, und man werde weiter den Weg verfolgen, diesen Prozess selbst in die Hand zu nehmen.

Contilia hängen schlecht gemanagte Klinik-Schließungen nach

Das Essener Elisabeth-Krankenhaus ist als größte Geburtsklinik der Stadt ist einer der Leuchttürme von Klinikbetreiber Contillia.
Das Essener Elisabeth-Krankenhaus ist als größte Geburtsklinik der Stadt ist einer der Leuchttürme von Klinikbetreiber Contillia. © FUNKE Foto Services | Christof Köpsel

Die Bereitschaft zu schmerzlichen Schritten sei keineswegs bei allen Partnern gleichermaßen ausgeprägt gewesen, heißt es indes von spürbar enttäuschten Fans des „Essener Modells“. Vielleicht habe man „zu viel, zu früh“ gewollt. Aber: Die Grundidee sei richtig gewesen, aus dem begonnen Prozess könne man lernen. Auch Gesundheitsdezernent Peter Renzel nennt einen Zusammenschluss der drei Träger zukunftsweisend; er bedürfe aber wohl „mehr Entwicklungszeit“, als man zunächst angenommen habe. „Manchmal ist für große Entwicklungsschritte eben doch auch eine Atempause nötig.“ Die Stadt werde den weiteren Prozess „im Rahmen der bescheidenen kommunalen Möglichkeiten begleiten und unterstützen“.

Reine Besitzstandswahrung wird man sich nicht leisten können

Den Weg der Spezialisierung und Zentralisierung im Gesundheitswesen hält Renzel für richtig. Klar sei auch, dass dieser „in den nächsten Jahren sicher noch zur Aufgabe von weiteren einzelnen Standorten auch in Essen führen wird“. Dass man sich auf Dauer reine Besitzstandswahrung nicht wird leisten können, ist auch den drei Partnern des Essener Modells klar. Ihre Erklärung schließt: „Den Parteien ist bewusst, dass im Kontext der bevorstehenden Krankenhausreform in NRW und auf Bundesebene die Gesundheitsversorgung in Essen nicht ohne nachhaltige Veränderungen zu sichern und weiterzuentwickeln ist.“ Bereits bestehende Kooperationen laufen weiter, ein Beteiligter formuliert: „Und wir sind auch keine Feinde.“

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