Essen. Ein Mann und eine Frau aus Essen haben Grundeinkommen gewonnen: Ein Jahr lang erhielten sie jeden Monat 1000 Euro. Hat das ihr Leben verändert?

Als die E-Mail kam, hielt Maren* sie zunächst für Scam, eine Betrugsmasche im Internet: „Ziemlich gut gemacht“, habe sie gedacht, erzählt die 32-Jährige. Gewonnen habe sie, hieß es, und zwar ein bedingungsloses Grundeinkommen in Höhe von 1000 Euro monatlich, ein Jahr lang. Nachgeschaut hat sie dann doch, schließlich hatte sie tatsächlich an den Verlosungen des Berliner Vereins „Mein Grundeinkommen“ teilgenommen: „Nicht regelmäßig, aber immer mal wieder“ – und zwar schon seit sieben oder acht Jahren. Und tatsächlich: Die Mitteilung in der Mail war echt. „So richtig geglaubt habe ich es trotzdem erst, als die erste Überweisung kam.“

Ähnlich hat es auch Jonas* erlebt. Im März 2023 saß er als Letzter noch im Büro, als die Gewinnbenachrichtigung auf seinem Handy einging. Auch bei ihm der Gedanke: Spam? Ein Scherz? „Insgesamt 12.000 Euro, das ist schließlich nicht gerade wenig“, sagt der 30-Jährige. „Man macht zwar mit bei der Verlosung, weil es nichts kostet, aber man glaubt ja nicht dran, dass man wirklich gewinnen könnte.“

Essenerin kann dank Grundeinkommen die Ausgaben für ihr Studium finanzieren

Er habe Feierabend gemacht und erst einmal seine Verlobte angerufen, erzählt Jonas weiter. Doch die habe noch zurückhaltender reagiert: „Erstmal abwarten, ob da wirklich Geld kommt. Warum sollte einem das jemand einfach schenken?“

Doch genau das tut der Verein „Mein Grundeinkommen“: Er sammelt Spenden, um sich selbst zu finanzieren, und monatlich mittlerweile 25 Grundeinkommen zu verlosen. In Essen habe es seit Beginn der Verlosungen im Jahr 2014 elf Gewinner und Gewinnerinnen gegeben, in ganz Nordrhein-Westfalen seien es 318 gewesen, sagt Christina Strohm, die gemeinsam mit ihrer Kollegin Marike Seusing für den Verein die Gewinner begleitet, ihnen als Ansprechpartnerin zur Verfügung steht und auch ihre Erfahrungen abfragt. „Wir wollen herausfinden, ob und wie das Grundeinkommen den gesellschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit begegnen kann. Was passiert, wenn man die finanzielle Freiheit und Sicherheit des Einzelnen stärkt?“

Mittlerweile nehmen laut Christina Strohm monatlich etwa eine Million Menschen an den Verlosungen teil, besonders viele davon kommen aus Berlin, wo der Verein seinen Sitz hat, und aus NRW. Die 25 monatlich verfügbaren Grundeinkommen teilen sich auf in 20 sogenannte utopische und fünf realistische. Letztere sind einkommensabhängig und werden drei Jahre lang ausbezahlt. Bei den utopischen Grundeinkommen, die Jonas und Maren erhalten haben, gibt es 12 Monate lang 1000 Euro zusätzlich zu dem, was man ohnehin verdient.

„Man macht zwar mit bei der Verlosung, weil es nichts kostet, aber man glaubt ja nicht dran, dass man wirklich gewinnen könnte.“

Essener Grundeinkommen-Gewinner

Bei den beiden Essenern war das nicht sonderlich viel: Kunststudentin Maren hatte ohne das Grundeinkommen etwa 1000 Euro monatlich zur Verfügung, Mediengestalter Jonas etwa 1700 Euro.

Für beide bedeutete das geschenkte Geld vor allem: weniger Sorgen, erzählen sie. „Vorher musste ich extrem aufs Geld achten“, sagt Maren. „Jetzt konnte ich auch mal Leute einladen und die Rechnung übernehmen.“ Doch was eigentlich noch viel wichtiger war: Das Grundeinkommen habe ihr Studium erleichtert. „Man muss für die Kunstprojekte viel ausprobieren, viel Material und Werkzeug kaufen“, erklärt sie. Das sei ihr vorher nicht ohne weiteres möglich gewesen, oft habe sie Werkzeuge erst ausleihen müssen und auf manchen Versuch aus Kostengründen dann doch verzichtet. Einen anderen Studiengang hatte Maren, die auch eine abgeschlossene Ausbildung hat, abbrechen müssen, weil das Geld zu knapp war.

Studie zur Wirkung von Grundeinkommen

Zusammen mit dem Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung hat der Verein „Mein Grundeinkommen“ eine Studie zum Grundeinkommen durchgeführt. Im Rahmen von „Pilotprojekt Grundeinkommen“ sollte untersucht werden, wie sich ein Grundeinkommen, ausgezahlt über eine Laufzeit von drei Jahren, auf das Leben der Menschen auswirkt. Ergebnisse sollen im Januar 2025 bekannt gegeben werden. Mehr dazu auf: www.pilotprojekt-grundeinkommen.de

Die Grundeinkommen werden über Spenden finanziert: Nicht über Großspenden, wie Christina Strohm erklärt, sondern über Beträge von etwa vier Euro im Schnitt. Allerdings würden jeden Monat etwa 200.000 Menschen spenden.

Die nächste Verlosung findet am 21. August statt. Teilnahme auf: www.mein-grundeinkommen.de/verlosung

„1000 Euro monatlich extra – das gibt schon eine gewisse Sicherheit“, sagt auch Jonas. Etwa die Hälfte der Summe habe er gespart: „Es ist schön, wenn man plötzlich schnell eine gewisse Rücklage bilden kann, für was auch immer.“ Außerdem habe es ihm Freude gemacht, „außer der Reihe mal ein Geschenk zu machen, einfach so“ oder am Wochenende spontan essen zu gehen, ohne zu überlegen, ob man sich diese Ausgabe nicht besser verkneife.

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Der Gewinn ließ ihn auch einen beruflichen Tiefschlag etwas gelassener sehen: Aus betriebswirtschaftlichen Gründen sei sein Arbeitsvertrag nicht verlängert worden. Mittlerweile hat er einen neuen Job, und außerdem ein Nebengewerbe begonnen, was er zuvor wegen der damit verbundenen Kosten gescheut hätte, wie er sagt.

Manche Grundeinkommen-Gewinner beginnen eine neue Berufsausbildung

Dank des Grundeinkommens konnte Maren sich einen Traum erfüllen: Sie kaufte eine Bahncard für drei Monate, um zu reisen und an ihrem beruflichen Netzwerk zu arbeiten.
Dank des Grundeinkommens konnte Maren sich einen Traum erfüllen: Sie kaufte eine Bahncard für drei Monate, um zu reisen und an ihrem beruflichen Netzwerk zu arbeiten. © Redaktion

Christina Strohm hat in vielen Gesprächen mit Gewinnern gemerkt: „Die Bedingungslosigkeit der Zahlung löst bei den Menschen etwas aus – dass ihnen jemand zutraut, selbst am besten zu wissen, was mit dem Geld anzufangen ist.“ Viele würden ihr davon berichten, dass sie besser schlafen, dass sie sich eine Mitgliedschaft im Sportclub gönnen, dass sie sich selbst als geduldiger mit Familie und Angehörigen erleben würden, dass sie sich mit den eigenen Träumen anders auseinandersetzen. Manche würden eine zusätzliche Aus- oder Weiterbildung machen, oder sogar den Job wechseln. Und Maren und Jonas?

Kurz bevor die 12 Monate Grundeinkommen ausliefen, machte Maren ihren Studienabschluss und kaufte sich eine Bahncard 100 für drei Monate: Das sei schon immer ihr Traum gewesen, sagt sie. Kostenpunkt: 1359 Euro. Marens Plan: Drei Monate neben ihren Jobs in Deutschland herumfahren: „zum Netzwerken und um Ausstellungen zu machen“. Eine Investition in ihre berufliche Zukunft als Künstlerin, die sie sich ohne das Grundeinkommen nicht hätte leisten können, wie sie sagt. Von unterwegs meldet sie sich noch einmal: Eine große Nachwirkung ihrer Zeit mit dem Grundeinkommen sei diese Reise. Es laufe tatsächlich gerade ganz gut für sie.

Hinweis: Die beiden Gewinner sind der Redaktion bekannt, auf ihren Wunsch hin werden ihre richtigen Namen nicht genannt.

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