Essen. Marion und Johanna Leibecke aus Mülheim wollen gemeinsame Sache machen. Was die beiden mit der Buchhandlung Proust vorhaben.
Nicht immer sind Mutter und Tochter sich so einig wie Marion und Johanna Leibecke. Die Mülheimerinnen wollten schon lange etwas zusammen auf die Beine stellen. Jetzt ergreifen sie die Gelegenheit. Als sie auf der Internetseite „nexxt-change“ entdecken, dass Beate Scherzer und Peter Kolling aus Altersgründen für das Proust eine Nachfolge suchen, sind sie schon nach dem ersten Besuch fest entschlossen: „Dieser Buchladen hat so eine tolle Atmosphäre. Er darf nicht schließen. Wir übernehmen ihn“, sagt Johanna Leibecke. „Es hat einfach gepasst“, meint Mutter Marion.
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Die Leibeckes treten im Essener Proust Anfang 2025 die Nachfolge an
Ohne zu zögern, haben sie an einem Seminar zur „Übernahme und Neugründung einer Buchhandlung“ teilgenommen, das ihnen die Inhaber nahegelegt hatten. Schließlich suchten Scherzer und Kolling bereits seit über einem Jahr nach einer Nachfolge und wollten sicher gehen, dass ein ernsthaftes Interesse besteht. Im Gegensatz zu vielen anderen sprangen die Leibeckes nicht ab. Sie verfolgen die Literaturszene, hören Podcasts, lesen viel, beschäftigen sich mit Buchhaltung, treffen in der Buchhandlung erstmals Verlagsvertreterinnen und -vertreter. Im Juni wurde der Übernahme-Vertrag unterschrieben. Anfang 2025 werden sie die Nachfolge antreten.
Beide haben keine romantischen Vorstellungen vom Buchhändlerinnen-Dasein: „Uns ist klar, dass wir nicht reich werden und viel arbeiten müssen.“ Sie stehen mitten im Leben. Marion Leibecke ist seit 35 Jahren am Flughafen Düsseldorf angestellt, davon 24 Jahre Assistentin der Geschäftsführung in der Geschäftsluftfahrt. „Administration und Organisation werden mir leicht fallen. Privat organisiere ich viele Hauskonzerte mit Singer-Songwritern, Bands aus dem Rock- und Popbereich und handgemachter Musik“, erzählt die 53-Jährige. „Und du bist unglaublich stressresistent“, weiß Tochter Johanna.
Dass sie jeden Tag die 20 Kilometer bis zur Arbeit mit dem Rad fährt, ist für sie ein Ausgleich. Und sie liest. „Bücher können so viel. Ich lerne was. Ich kann mich entspannen. Es gibt Figuren, die mich monatelang beschäftigen, mich in eine andere Welt mitnehmen“, berichtet die Geschäftsmitinhaberin in spe, für die Victoria de Grazias „Der perfekte Faschist“ ein lehrreiches Buch ist. Leidenschaftlich über Bücher reden kann auch Johanna Leibecke. „Das habe ich vom Papa. Der hat immer vom Buch als gute Sache gesprochen“, erinnert sich die junge Frau, die als Teenager die Fantasy-Reihe „Percy Jackson“ verschlungen hat.
Künftig mehr Krimis und feministische Bücher im Essener Proust
Mit dem Soziologie-Studium an der Universität Potsdam begeistern sie mehr und mehr Sachbücher neben Romanen. „Ich lese gerne Bücher über gesellschaftspolitische Themen, weil ich wissen möchte, wie es um unsere Welt bestellt ist“, sagt die derzeitige Wahlberlinerin und hat sofort „Wünschen“ von Chukwuebuka Ibeh und „Young Mungo“ von Douglas Stuart im Kopf. Aber auch Nebenjobs haben sie in ihrem Interesse bestärkt. Sie hat Öffentlichkeitsarbeit für die Frauenförderungsorganisation EAF gemacht und in einer Berliner Buchhandlung gearbeitet. Wenn sie ihr Masterstudium beendet hat, will sie nach Essen ziehen.
Proust lädt zum Blind Date mit Buch
Die Nachfolge ist geregelt, die Zukunft der Buchhandlung Proust gesichert. Von der treuen Kundschaft gab es dafür in den vergangenen Monaten viel Zuspruch und Aufmunterung.
Für die langjährigen Betreiber Beate Scherzer und Peter Kolling ist es deshalb an der Zeit für ein „Dankeschön!“ Am Samstag, 24. August, laden sie deshalb zwischen 10 und 16 Uhr zu einem „Blind Date mit Buch“.
Auf die Kunden warten an diesem Tag viele kostenlose Leseexemplare, als Geschenk eingepackt. Besucher dürfen sich somit überraschen lassen. Neben Kriminalromanen und Gedichtbänden, opulenten Familiengeschichten und Liebes-Schmonzetten gibt es außerdem Kaffee, selbstgebackenen Kuchen und viele Herbst-Neuerscheinungen.
Johanna und Marion Leibecke gefällt das Konzept von Proust sehr gut. „Im Wesentlichen wird es so bleiben – mit kleinen Richtungsänderungen“, bestätigen sie. Es wird mehr Krimis, mehr feministische und englischsprachige Literatur geben, Theaterbücher sowie die Musikabteilung werden nicht mehr geführt. So bleibt der Name des Geschäfts erhalten mit dem Zusatz: „Wörter und Schönes“ statt „Wörter und Töne“. Das bedeutet: „Es wird Puzzles geben – das ist eine Leidenschaft von uns – und nachhaltige Dekoartikel. Wir wollen den Laden aber nicht damit zustellen“, so Johanna Leibecke.
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Mutter und Tochter gehen angstfrei in die Selbstständigkeit. „Mir ist nichts eingefallen, was dagegen sprechen würde. Wir haben Respekt vor der Aufgabe und freuen uns auf die Herausforderung“, sagt Marion Leibecke. Dass damit lange Urlaube passé sind, stört sie überhaupt nicht. „Urlaub ist tatsächlich nicht so wichtig in meinem Leben. Wir machen überwiegend Kurzurlaube. Bevor es losgeht, fahren wir auf ein Festival nach Schweden.“ Der musikaffine Ehemann Dietmar Leibecke, selbstständiger Softwareentwickler und Organisator des „Static Roots Festival“, steht ganz auf ihrer Seite. Außerdem bleiben die Mitarbeiterinnen Sarah Jäger und Susanne Engling, um sie zu unterstützen.
Ab Herbst werden sie verstärkt den Alltag in der Buchhandlung an der Akazienallee begleiten und den treuen Kundenstamm kennenlernen, den sich das Proust mit wachsendem Renommee über die Jahre erworben hat. Mit ihrer offenen und freundlichen Art sollten dann auch die Beratungsgespräche für sie kein Problem sein. „Leser sind angenehme Zeitgenossen“, meint Johanna Leibecke. „Ich habe das Gefühl, dass man schnell zueinander findet.“
Was lesen künftige Proust-Inhaberinnen?
Marion Leibecke haben diese Bücher beeindruckt: „Die Postkarte“ (Piper Verlag, 544 S., 28 Euro) ist „Anne Berests bewegende Spurensuche nach Verwandten, die in Auschwitz ermordet wurden. Dieser Roman hat leider an Relevanz nicht verloren.“ Und Maja Lundes „Die Geschichte der Bienen“(btb Verlag, 528 S., 20 Euro). „Maja Lunde hat meinen Blick auf Umwelt und unsere Natur nachhaltig beeinflusst.“
Johanna Leibecke haben diese Bücher fasziniert: Yaa Gyasis „Heimkehren“ (Dumont, 416 S., 22 Euro) „erzählt eine Familiengeschichte, die mit dem Sklavenhandel im Ghana des 18. Jahrhunderts anfängt und sich bis in die Gegenwart zieht. Ein gewaltiges Buch. Und Gaea Schoeters „Trophäe“ (Hanser, 256 S., 24 Euro) über den Wert eines Menschenlebens: „Das Buch hat mich sofort in seinen Bann gezogen.“
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