Essen-Rüttenscheid. Karin Völlenklee half zum ersten Mal auf dem Rüttenscheider Markt, als sie 15 war. Über 50 Jahre betrieb sie ihren Stand, mit 84 gibt sie ihn auf.

Essens ältester Marktstand ist Ende Juli Geschichte. Dann werden Roland und Karin Völlenklee zum letzten Mal um zwei Uhr morgens aufstehen, den Wagen mit Obst und Gemüse vollpacken und um vier Uhr ihren Stand, den sie in dritter Generation führen, auf dem Rüttenscheider Markt aufbauen.

Es ist eigentlich ein ganz normaler Samstagmorgen auf dem Rüttenscheider Markt. Doch am Obst- und Gemüsestand der Völlenklees, gegenüber des markanten Brunnens, herrscht an diesem Juliwochenende sentimentale Abschiedsstimmung. Viele Stammkunden wissen bereits, dass das Ehepaar in den Ruhestand geht.

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Für Kundin auf dem Rüttenscheider Markt ist der Gang zu Völlenklees „fast schon ein Ritual“

„Die beiden sind ja schon  84 und 87 Jahre alt, da gönne ich es ihnen von Herzen. Aber sie werden mir trotzdem sehr fehlen“, sagt Steffi Dulisch, „denn nirgendwo ist es so herzlich und persönlich wie bei den Völlenklees“. Seit über 15 Jahren kauft die Essenerin Obst und Gemüse bei den Markthändlern, teilt mit ihnen Freud und Leid.  „Das ist wie Familie. Für mich wird diese Lücke, die sie hinterlassen, nicht zu schließen sein.“

Drei Generationen Völlenklee auf dem Rüttenscheider Markt (v.l.): Roland, Karin, Tochter Silvia und Enkelin Linda.
Drei Generationen Völlenklee auf dem Rüttenscheider Markt (v.l.): Roland, Karin, Tochter Silvia und Enkelin Linda. © FUNKE Foto Services | Dirk A. Friedrich

Wie ihr geht es vielen Kunden, die an diesem Vormittag Erdbeeren, Kirschen und Aprikosen, Auberginen und Bohnen einkaufen. „Der Gang zu Völlenklees ist für mich fast schon ein Ritual“, sagt Mona Vordermark, die seit 18 Jahren hier einkauft, „die Qualität der Ware ist immer sehr gut“. Was auch daran liegt, dass Karin Völlenklee jede Birne, jeden Apfel schon beim Einkauf auf dem Großmarkt und dann noch einmal beim Einpacken in die Papiertüte sorgfältig prüft. Auch das Ehepaar Jansen schätzt das sehr und gehört wie viele andere seit Jahrzehnten zur Stammkundschaft: „Wir bedauern, aber verstehen auch den Schritt in den Ruhestand.“

1925 gründeten die Großeltern mütterlicherseits von Karin Völlenklee den Stand auf dem Rüttenscheider Markt.
1925 gründeten die Großeltern mütterlicherseits von Karin Völlenklee den Stand auf dem Rüttenscheider Markt. © FUNKE Foto Services | Socrates Tassos

Den Stand gab es seit 1949 auf dem Rüttenscheider Markt

Ruhestand, das kann sich Karin Völlenklee im Moment noch gar nicht richtig vorstellen. „Im Garten sitzen und die Sonne genießen, ausschlafen, mal sehen, wie mir das bekommt“, sagt sie, die noch bis vor ein paar Jahren den großen Lkw mit Anhänger selbst lenkte. Die mädchenhaft wirkende Essenerin, groß geworden auf der Brigittastraße in Rüttenscheid, strahlt trotz ihrer mittlerweile 84 Jahre immer noch eine ansteckende Vitalität, ja Freude aus.

Roland Völlenklee mit Kundin Steffi Dulisch auf dem Rüttenscheider Markt. Über seinen Abschied sagt sie: „Mir kommen jetzt schon die Tränen wenn ich nur daran denke.“
Roland Völlenklee mit Kundin Steffi Dulisch auf dem Rüttenscheider Markt. Über seinen Abschied sagt sie: „Mir kommen jetzt schon die Tränen wenn ich nur daran denke.“ © FUNKE Foto Services | Dirk A. Friedrich

Dabei steht sie seit ihrem 15. Lebensjahr hinter dem Stand, den ihre Großeltern mütterlicherseits 1925 gründeten und den ihre Eltern 1949 übernahmen. „Früher kamen die Händler noch mit Pferdewagen, wurden ausschließlich regionale Produkte verkauft. Ich sehe noch die großen Fässer mit Weintrauben und Sauerkraut vor mir“, erzählt sie. Gut besucht sei der Rüttenscheider Markt schon damals gewesen, ein Magnet im Stadtteil.

Roland Völlenklee stieg mit der Heirat in Geschäft auf dem Rüttenscheider Markt ein

Die Markttradition setzte sie gemeinsam mit ihrem Mann Roland fort. Der 87-Jährige ist mit der Heirat ins Geschäft eingestiegen – und geblieben. „Meinen Mann habe ich 1965 aus dem schönen Südtirol in den Ruhrpott entführt. Er war mein Skilehrer.“

Kirschen gehören zum Angebot des Markstandes der Familie Völlenklee in Essen.
Kirschen gehören zum Angebot des Markstandes der Familie Völlenklee in Essen. © FUNKE Foto Services | Dirk A. Friedrich

Den Schnee und die Berge sah Roland Völlenklee von da an nur noch in den kurzen Winterferien. Und statt auf die Piste ging es jahrzehntelang in aller Herrgottsfrühe auf den Großmarkt. „Unser Arbeitstag hieß eigentlich Arbeitsnacht“, sagt der 87-Jährige schmunzelnd. Den Ruhestand sehnt er inzwischen herbei, „denn meine Gesundheit macht nicht mehr so mit“.

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Verabschiedung auf dem Rüttenscheider Markt am 27. Juli

Das sehen auch die beiden Kinder, Schwiegerkinder und Enkel, die ihre Eltern und Großeltern auf dem Markt unterstützen. Aber die Tradition weiterführen, den Marktstand übernehmen, das kann sich keiner von ihnen vorstellen. Trotzdem fällt ihnen, wie den vielen Stammkunden, der Abschied schwer. „Seit ich klein bin, helfe ich auf dem Markt mit“, sagt Enkelin Linda (31).„Ich kann mir gar nicht vorstellen, nicht mehr hier zu sein.“

1949 übernahmen Karin Völlenklees Eltern den Stand auf dem Rüttenscheider Markt.
1949 übernahmen Karin Völlenklees Eltern den Stand auf dem Rüttenscheider Markt. © FUNKE Foto Services | Socrates Tassos

Die Erzieherin liebt den Kontakt zu den Kunden, die persönlichen, netten Gespräche. Auch ihre Mutter Sylvia, inzwischen 60 Jahre alt, ist zwischen Orangen und Salat aufgewachsen. „Als unsere Eltern älter wurden, hat die ganze Familie selbstverständlich mit angepackt. Das tun wir auch noch bis zum Schluss.“

Einer der ältesten Märkte in Essen

Der Rüttenscheider Markt ist einer der größten und ältesten Wochenmärkte in Essen. Er fand 1906 auf dem extra dafür erbauten Platz an der Klarastraße zum ersten Mal statt.

Der markante Brunnen wurde 1910 eingeweiht, darüber hinaus wurden eine Wartehalle für die damals noch junge Straßenbahn und eine Toilette gebaut.

Die Auswahl an den ca. 60-80 Marktständen ist groß: Fleisch, Fisch und Geflügel, Obst und Gemüse, Eier, Gewürze und Blumen, Textilien, aber auch frischen Kaffee, Reibekuchen, Obstsäfte und Backwaren gibt es hier.

Marktzeiten: Mittwoch 8 bis 13 Uhr, Samstag 8 bis 14 Uhr.

Und der rückt näher: Am 27. Juli werden sich die Völlenklees von ihren Kunden und natürlich auch von den anderen Markthändlern endgültig verabschieden – mit Sekt („den bringt ein treuer Kunde mit“) und einem Erinnerungsbuch, in das sich alle, die möchten, eintragen können.  „Mir kommen jetzt schon die Tränen wenn ich nur daran denke“, sagt Steffi Dulisch.

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