Essen-Stadtwald. Achtsamkeit und Resilienz: Wie eine Essenerin aus zwei Schlagworten echte Anti-Stress-Erlebnisse macht. Waldbaden im Selbstversuch.

Augen schließen, Borken fühlen: Waldbaden als Erlebnisangebot liegt im Trend. Unter Anleitung eines Coaches werden Sinne und Achtsamkeit geschärft. Und das nicht nur im Urlaub, sondern einfach mal zwischendurch. Zum Beispiel im Essener Stadtwald.

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Am Joggerparkplatz im Stadtwald geht es los, der Rucksack ist gepackt: ein Sitzkissen, etwas zu trinken, eine Kleinigkeit zu essen, vielleicht noch etwas Warmes zum Anziehen – mehr braucht man gar nicht. Melanie Hundacker geht vor, der Rest der Gruppe folgt. Die Bordsteinkante ist die Grenze: Hier beginnt der Wald, erklärt die ausgebildete Mental-, Natur- und Resilienztrainerin, hier enden Stress, Arbeit und alltäglicher Wahnsinn. Ruhig und bedachtsam fordert Hundacker die Teilnehmer auf, symbolisch Ängste und Sorgen abzulegen und befreit in das Forststück hineinzugehen.

Resilienz aus dem Essener Stadtwald

Niemand spricht auf den ersten Metern. Den Weg in den Essener Stadtwald begleiten dennoch Klänge: Noch sind Autos zu hören, doch sie rücken mehr und mehr in den Hintergrund, werden ersetzt durch zwitschernde Vögel, das Rascheln vom Wind in den Blättern und das Knirschen der eigenen Schritte.

Hundacker zeigt den Teilnehmerinnen und Teilnehmern ihrer Kurse, wie man einen achtsamen Aufenthalt in der Natur genießen und damit etwas für die eigene Gesundheit tun kann. „Der Begriff Resilienz wird mittlerweile inflationär benutzt“, hat sie festgestellt. „Viele missverstehen das Wort. Ich muss stark sein, ein Fels in der Brandung, dann bin ich widerstandsfähig. Das ist damit aber gar nicht gemeint.“ Sie greift nach einem dünnen Baumstamm, biegt ihn ein wenig und lässt ihn dann wieder los. „Ich kriege Druck, den ich aushalten muss. Aber wenn der Druck nachlässt, dann komme ich wieder in meine ursprüngliche Position. Resilienz bedeutet, immer wieder in die Ausgangsposition zurückzukommen.“ Und da kann es bisweilen hilfreich sein, einfach mal raus, einfach mal „baden“ zu gehen. Ohne Badekappe, ohne Flip-Flops, versteht sich.

Wann schaut man im Wald schon mal richtig nach oben in die Baumkronen? Beim Waldbaden geht es auch um einen Perspektivwechsel.
Wann schaut man im Wald schon mal richtig nach oben in die Baumkronen? Beim Waldbaden geht es auch um einen Perspektivwechsel. © FUNKE Foto Services | Sebastian Sternemann

Menschen, die mit Hundacker waldbaden, sind häufig gestresst. Viele wollen runterkommen oder auch einfach mal Natur erleben. Und das geschieht, indem sie ihre Sinne einsetzen. Tatsächlich spüren sie schon mit den ersten Schritten im Wald eine Veränderung. Es wird kühler, die Luftfeuchtigkeit steigt, der Geruch ändert sich, es riecht „grün“. Obwohl Riechen und Schmecken ein wichtiger Teil des Waldbadens sind: Es handelt sich nicht um eine Kräuterführung. „Es geht gar nicht darum, einen Geruch zu erkennen und zuzuordnen, sondern um die Frage: Wie würdest du es benennen, wenn du ihm einen Namen geben dürftest?“

Waldbaden ist keine Wanderung, kein Sport und auch keine Runde mit dem Hund. Es ist „gesundheitsunterstützend“, sagt Hundacker. Entspannen durch Entschleunigung, Freude durch Grenzenlosigkeit, Offenheit durch Neugier. „Wir alle haben ein Naturdefizit, sind viel zu viel drinnen und unser Körper verlernt es, die Sinne auf natürlich Art und Weise zu nutzen. Waldbaden ist Zeit für dich, für absolute Ruhe, um einfach mal bei sich selbst anzukommen.“ Alle alltäglichen Themen, der Stress im Job, die anstehenden Termine, bleiben draußen.

verschiedene Grüntöne des Essener Stadtwalds

An einer schönen Stelle mitten im Wald hält die Gruppe an, jeder sucht sich einen „Baumfreund“ oder geht einfach auf Erkundungstour. Manche setzen sich, andere liegen sogar, wiederum andere haben sogar eine Hängematte mitgebracht. Dann geht es allein um die Sinne: Wie riecht der Wald, wie schmeckt er, wie fühlt er sich an, welche Grüntöne sind in den Baumkronen zu finden? Wer möchte, kann auch barfuß laufen, um den Waldboden richtig zu spüren. „Nicht jeder mag das“, weiß Hundacker, „deshalb sage ich immer: Ihr könnt auch die Socken anlassen. Hauptsache, da ist keine Gummisohle im Weg.“

Einfach mal anfassen und den Wald mit allen Sinnen erleben.
Einfach mal anfassen und den Wald mit allen Sinnen erleben. © FUNKE Foto Services | Sebastian Sternemann

Einfach mal bewusst die Füße aufsetzen – zunächst nur die Zehen, dann auch die Ferse. Langsam gehen, das Gewicht verlagern. Wer nicht auf den Weg achten muss, hat Zeit zu gucken. Hundacker: „Setz dich auf einen Stamm oder gehe langsam spazieren, schaue dabei nach oben und unten, fasse Moos an und rieche die Rinde. Bäume enthalten ätherische Öle. Atme tief ein und aus und stärke dein Immunsystem. So kannst du auch deinen Puls senken, Kraft tanken und bekommst ganz von selbst gute Laune.“ Es gehe nicht darum (Achtung Klischee!), Bäume zu umarmen. „Aber anfassen sollte man sie schon.“ Ein trockener Baum fühlt sich anders an als ein halbzerfallener moosiger Stamm, in den man mit den Fingern tief hineingreifen kann. Auch das muss man allerdings wollen.

Stärkung des Immunsystems

Viel ist zu lesen über die medizinischen Effekte des Waldbadens. Von der Stärkung des Immunsystems durch die Terpene, die Duft- und Botenstoffe der Bäume. Von der Produktion von Anti-Stress-Hormonen und Anti-Krebs-Zellen, von der Stimulierung der Produktion des Herzhormons DHEA, das den Alterungsprozess positiv beeinflusst. Es sei sowohl für die Psyche als auch die physische Gesundheit von Vorteil, für das Immunsystem und das vegetative Nervensystem. Blutdruck und Blutzucker sollen sinken. Das erste vorsichtige Fazit nach einer Stunde Selbsttest zumindest lautet: Hat schon was, wenn man sich drauf einlässt.

„Grün ist die Farbe, die uns sagt: Hier bist du zu Hause“, sagt Hundacker. „Vor 1000 Jahren hat der Mensch noch in der Natur gelebt, und im Winter hat er sich ausgeruht. Das machen wir heute gar nicht. Spätestens seit der Industrialisierung müssen wir immer funktionieren. Und unser Köper sagt irgendwann: Ich habe Rücken, ich habe Migräne, ich habe Magen-Darm. Der Wald sagt uns: Hier bin ich sicher, hier kann ich zur Ruhe kommen.“

Schlendern, entdecken, staunen, durchatmen – nach drei Stunden nähert sich die Gruppe wieder dem Waldrand. Das ist die Zeit, die der Körper anscheinend braucht, um wirklich runterzukommen. Der Puls ist ruhig, der Körper wirkt entspannt und trotz der zurückgelegten Strecke nicht müde. Die Füße kribbeln vom Barfußlaufen. Ganz weg ist er nicht der Stress. Aber schon deutlich weniger als zu Beginn des kleinen Bade-Urlaubs. In hektischen Zeiten wie diesen ist das ja auch schon mal was.

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