Essen. Draußen lautstarker Protest, drinnen dröge Partei-Materie: Das Essener AfD-Treffen profitierte vom Widerstand vor der Grugahalle als Lebenselixier.
Es gibt auf Parteitagen eigentlich nicht viel zu lachen. Schon gar nicht, wenn sich wie bei der „Alternative für Deutschland“ ein Gutteil des politischen Einsatzes aus Zorn und Wut und Frust zu speisen scheint. Aber dann kommt der Versammlungsleiter an diesem Parteitags-Samstag in der Grugahalle auf die Idee, man sollte doch mal kurz die elektronischen Abstimmungsgeräte testen, bevor es an die Wahlen geht; am besten mit einem simplen Ja-Nein-Enthaltungs-Ding zum Warmwerden. Also prangt da wenig später auf vier riesigen Leinwänden folgende Frage: „Hatten Sie eine gute Anreise?“
Umfrage im Saal: Knapp 62 Prozent beteuern, sie hätten eine „gute Anreise“ gehabt
Das Protokoll wird an dieser Stelle allgemeine Heiterkeit vermerken und dieses Ergebnis: Unter 520 abgegebenen Stimmen drücken 291 „Ja“, das sind 61,8 Prozent, 180 melden „Nein“, 49 enthalten sich der Stimme und werden damit bei der Quote ebensowenig mitgezählt wie jene, die noch irgendwo in einer Blockade feststecken, in einem Bäckerei-Imbiss, dem Hotel – oder in ihrer Angst, dieser AfD-Parteitag würde in einem Chaos aus Gewalt enden.
Nein, so war‘s dann doch nicht. Dank der mit großem Besteck aufgefahrenen Staatsgewalt, dank dreier hintereinandergeschalteter Zugangskontrollen von Polizei und Security mit Ladungsschreiben-, Personalausweis- und Taschenkontrollen entpuppte sich für all jene, die es in die Grugahalle geschafft hatten, der klassische Parteitags-Koller als das größte Problem: gnadenlose Langeweile mit schier endlosen Kandidaten-Vorstellungen und Wahlprozeduren.
Dass es „ein Verwaltungsgericht braucht, um (...) Parteien Demokratie zu erklären, ist unwürdig“
Denn das heikle Thema Abschaffung der Doppelspitze war früh abgeräumt, die beiden Bundessprecher Tino Chrupalla (83 %) und Alice Weidel (80 %) ohne Gegenkandidaten flugs wiedergewählt. Als Motivationshilfe kam der Protest auf den Straßen gerade recht: „Was sich da draußen abspielt, hat mit Demokratie nichts zu tun“, meinte etwa Bundessprecherin Alice Weidel: Ausgerechnet ein CDU-Oberbürgermeister habe versucht, gegen den Parteitag vorzugehen, „das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen“. Dass es „dazu ein Verwaltungsgericht braucht, um ihnen und den angeblich so demokratischen Parteien Demokratie zu erklären, ist unwürdig“.
Kein Wort zu der geforderten strafbewehrten Selbstverpflichtung, kein Wort von Entgleisungen, wie sie der Essener Stadtrat befürchtet und als Anlass genommen hatte, den Mietvertrag mit der Grugahalle aufzukündigen. Tatsächlich fraß sich der Parteitag so langatmig durch einen Wust von Formalien und Abstimmungsprozeduren, dass gar kein Platz schien für jene strafbaren Äußerungen, die eine Expertise in Aussicht gestellt hatte. Selbst Demo-Reizfigur Nr. 1 Björn Höcke zeigte sich im Sender Phoenix staatstragend. Kein böses Wort, nirgends.
AfD-Vize Brandner sieht Essens Oberbürgermeister „Hand in Hand mit Straßenterroristen“
Nur hin und wieder blitzt Aggressivität auf, beim Parteitag wie auch beim vorgeschalteten Presseempfang. Wenn etwa AfD-Vize Stephan Brandner beklagt, „dass ein CDU-Oberbürgermeister mit Prügelantifanten und Straßenterroristen Hand in Hand geht“, wenn Delegierte aus Sachsen-Anhalt den Frühausteher-Slogan umdichten und sich ein „Land der Frühabschieber“ wünschen, wenn im Grugahallen-Foyer T-Shirts für das „Team Remigration“ werben und Aufkleber für die Devise „Schwarz Rot Gold ist bunt genug!“
Dass die Demo-Welt da draußen mit der AfD-Welt hier drinnen irgendwie nicht zusammenzubringen ist – Nico macht sich da keine Illusionen. Er ist 21, Handwerker und Delegierter aus der Nähe von Köln und „kein Nazi“, wie er beteuert, denn: „Das relativiert ja dann die schrecklichen Taten von 33 bis 45.“ Ob Höcke Nazi ist, wie es auf zahllosen Demo-Plakaten heißt? „Würde ich nicht sagen“, meint Nico, und es klingt nicht, als könnte man mit ihm darüber diskutieren. Und nein, kein Foto, „sonst kriege ich vielleicht Probleme in meiner Firma“.
Gesicht zeigen. Damit gibt es für und gegen die AfD erkennbar Probleme. Drinnen wie draußen.
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