Essen. Unterricht beim Chefarzt: An einer Essener Gesamtschule wurden Lehrer in Wiederbelebung geschult. Ihr Wissen geben sie an die Schüler weiter.
„Prüfen, rufen, drücken, schocken“ hieß es am Mittwoch (20. September) in der Gesamtschule Bockmühle in Essen-Altendorf. Rund 20 Lehrerinnen und Lehrer aus Essener Schulen nahmen an einem Reanimationstraining der Initiative „Junge Retter“ des Elisabeth-Krankenhauses teil. Die Idee: Die entsprechend geschulten Lehrkräfte geben ihr Wissen an ihre Schüler weiter. Damit diese in einem Notfall Leben retten können.
„Train the Trainer“ heißt das Konzept, bei dem die Lehrer zu Multiplikatoren ausgebildet werden, um das nötige Wissen zur Laienreanimation vermitteln zu können. Das Elisabeth-Krankenhaus möchte mit dem Programm „Junge Retter“ helfen, den Wiederbelebungsunterricht in den Schulalltag einzubinden.
Chefarzt erlitt selbst Herzinfarkt beim Ruhrmarathon
Dr. med. Ingo Voigt ist Chefarzt der Klinik für Akut- und Notfallmedizin im Elisabeth-Krankenhaus und leitet das Reanimationstraining. Neben seinem Beruf als Arzt hat sein Engagement für das Projekt auch sehr persönliche Hintergründe: „Ich hatte mit 39 Jahren, während ich den Ruhrmarathon lief, selbst einen Herzinfarkt. Deshalb ist es mir auch so wichtig, das Umfeld zu trainieren. Wenn alle wissen, was sie im Notfall tun müssen, dann können wir viele Leben retten.“
Es sei noch viel Aufklärungsarbeit nötig, da die Laienreanimationsrate in Deutschland unter 50 Prozent liege, erklärt Voigt. „Gerade Schulen hätten das Potenzial, bereits Kinder zu Ersthelferinnen und Ersthelfern auszubilden, jedoch ist die Umsetzung nicht einfach. Es müssen Ansprechpartner gefunden werden, oftmals gibt es finanzielle Probleme bei der Anschaffung der Materialien und die Organisation ist aufwendig.“
Erste-Hilfe-Kenntnisse in den Unterricht einbauen
Gut geschulte Lehrerinnen und Lehrer, die ihr Wissen in der Schule weitergeben, seien enorm wichtig, findet Claudia Schockmann. Sie ist Biologie- und Sportlehrerin an der Franz-Dinnendahl-Realschule in Kray. Ihre Intention beim Reanimationstraining mitzumachen, sei unter anderem ein Erlebnis in ihrem Schwimmunterricht: „Ich musste vor kurzem ins Wasser springen, als ein Schüler Panik bekam, und drohte unterzugehen. Es ist nichts passiert, aber diese Situation hat mir gezeigt, wie schnell es gehen kann, dass man helfen muss. Dann ist es besser, wenn man genau weiß, was zu tun ist.“
Auch Maike Voshege ist Lehrerin und nimmt aus Überzeugung am Reanimationstraining teil. Sie unterrichtet Kunst und Sport am Leibniz-Gymnasium in Altenessen und ist sicher, dass die Schulen einen großen Beitrag leisten können, um Erste-Hilfe-Kenntnisse weiter zu verbreiten: „Ich denke, dass wir in der Schule nicht nur die Schülerinnen und Schüler erreichen, wenn wir Erste Hilfe in den Unterricht integrieren. Wir bringen das Thema so auch in die Familien. Wenn die Kinder zu Hause von der gelernten Reanimation erzählen oder es sogar mit der Familie üben, dann profitieren auch die Eltern oder die Geschwister davon.“
Wenn keiner hilft, geht wertvolle Zeit verloren
Bei der Laienreanimation gehe es vor allem darum, die Zeit zwischen einem Herzstillstand und dem Eintreffen der Rettungskräfte so zu überbrücken, dass die Überlebenschancen steigen. „Bereits nach drei Minuten Kreislaufstillstand entstehen merkbare Störungen im Gehirn. Nach zehn Minuten ohne Kreislauf ist die Wahrscheinlichkeit, lebend aus der Situation zu kommen, extrem gering“, erklärt Voigt. Anders gesagt: Wenn nichts passiert, geht in jedem Fall wertvolle Zeit verloren.
In Essen dauert es im Schnitt sechs bis sieben Minuten, bis der Rettungswagen am Einsatzort ist, doch oft komme die Hilfe trotzdem zu spät. „Der erste Schritt, nachdem man festgestellt hat, dass die Person keine Atmung mehr hat und nicht mehr auf Ansprache reagiert, ist die 112 zu wählen und einen Notruf abzusetzen“, sagt der Mediziner: „Unmittelbar danach beginnt man mit der Reanimation. Einfach machen! Das Schlimmste, was man tun kann, ist nicht zu helfen.“
Hemmschwellen überwinden, Hilfe leisten
Julia Braunsch weiß, dass viele Laien Angst haben, etwas falsch zu machen: „Viele Menschen wissen nicht, was sie in einem Notfall tun müssen und haben deshalb eine Hemmschwelle“, sagt die Jahrgangsstufen-Leiterin und Sportlehrerin an der Gesamtschule Bockmühle, an der die Schulung für die Lehrkräfte jetzt im „Rahmen der Woche der Wiederbelebung“ stattfand. Gemeinsam mit Studien- und Berufsorientierungs-Koordinator Heiko Seidel hat sie sich daher für das Training eingesetzt: „Wir hatten an unserer Schule durchaus schon Situationen, in denen wir Erste Hilfe leisten mussten. Uns ist es wichtig, dass eine mögliche Hemmschwelle durch Unwissenheit nicht dazu führt, dass man am Ende gar nichts tut, um zu helfen.“
Playlist: Bei diesen Songs klappt es mit der Herzdruckmassage
Um Unsicherheiten entgegenzuwirken, haben die Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie e. V. (DGAI) und der Berufsverband der Anästhesistinnen und Anästhesisten e. V. (BDA) jetzt eine Playlist mit dem Namen „100BPM – der Rhythmus der Herzdruckmassage“ auf der Plattform Spotify erstellt. Die Playlist enthält eine Auswahl bekannter Songs und die passende Frequenz für die optimale Herzdruckmassage. Genauso wichtig wie die richtige Geschwindigkeit sei der ausreichende Druck, sagt Voigt: „Die Bewegung mit den Händen auf dem Brustkorb muss hart, hastig und heftig sein. Man braucht keine Angst zu haben, etwas kaputtzumachen.“
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