Essen-Borbeck. Im Don Bosco Club in Essen-Borbeck trainieren Jugendliche abseits der Straße Muskeln, Disziplin und Respekt. Wie dies psychisch Erkrankten hilft.

Sich im Leben durchzuboxen, das lernen viele Kinder aus sozial schwächeren Familien zwangsläufig auf der Straße. Gekämpft wird mit Fäusten und mit Worten, zumeist ohne Regeln und nicht selten mit üblen Fouls. Der Don Bosco Club in Essen-Borbeck engagiert sich in besonderer Weise für junge Menschen: Hausaufgabenhilfe, Freizeitangebote, persönliche Betreuung. Ein Blick in den Keller zeigt: Auch hier boxen Jugendliche – und zwar unter professionellen Bedingungen.

Patrick Traud steht im Ring, tänzelt umher, beobachtet Hassan El Haf genau und schlägt im richtigen Moment zu. El Haf trägt übergroße Handschuhe, so genannte Pratzen, auf die Patricks Schläge treffen. Zweimal mit links, dann eine rechte Gerade und noch ein Haken hinterher. So langsam gerät Patrick ins Schwitzen. Er ist konzentriert, beobachtet genau: Wohin bewegen sich die Pratzen, wo muss ich treffen?

Trainer und Betreuer Thomas Jekel lächelt. Nie hat er daran gedacht, mal eine Boxgruppe mit psychisch Erkrankten zu leiten. Doch mittlerweile sei alles „querbeet dabei“: „Ob Borderline, Magersucht, Depressionen oder Autismus, der einfachste Zugang zu diesen Menschen ist Sport. Wir kooperieren unter anderem mit dem LVR-Klinikum, und wenn man mit den Therapeuten spricht, dann sagen die: Das Ergebnis ist sensationell.“

Partnerübungen von Nico Schwarze mit Trainer und Betreuer Tom Jekel.
Partnerübungen von Nico Schwarze mit Trainer und Betreuer Tom Jekel. © Unbekannt | Schacht 11

Essen-Borbeck: „Jugendliche waren völlig respektlos“

Ursprünglich war es Jekel darum gegangen, mit sozial benachteiligten Jugendlichen zu arbeiten. „Als ich als Sozialarbeiter hierherkam, war im Don Bosco Club ordentlich Rambazamba“, erinnert er sich. „Viele Jugendliche waren völlig respektlos. Irgendwann habe ich mal erzählt, dass ich früher selbst geboxt habe, und dann war sofort der Wunsch da: Können wir hier nicht mal ein Boxtraining machen? Also habe ich mit sechs Jugendlichen angefangen. Nach zwei Monaten waren es 20, nach einem halben Jahr 50. Dann haben wir sogar Sponsoren gefunden.“

In Eigenarbeit wurde der Keller an der Wolfsbankstraße umgebaut. Im Laufe der Jahre entstanden zwei Räume mit Boxsäcken, es kamen Umkleiden und Toiletten hinzu, schließlich ein Kraftraum. Das Prunkstück des Don Bosco Clubs aber ist der Raum mit dem Boxring, der 2013 mit Hilfe der Freddy-Fischer-Stiftung und der Landessportförderung finanziert wurde.

Dass Patrick Traud psychisch beeinträchtigt ist, würde man nicht vermuten, wenn er im Boxring unterwegs ist. Doch in einer Trainingspause erzählt er frei von seiner Erkrankung und der Entwicklung in den vergangenen Jahren. „Als ich noch bei meiner Mutter gelebt habe, da hatte ich wohl einen psychischen Zusammenbruch.“ So genau kann er sich an die Situation nicht erinnern, doch er kam in ein Krankenhaus. „Dort haben sie Schizophrenie festgestellt.“ Patrick wurde medikamentös behandelt und kam in eine Wohngemeinschaft, in der er psychisch betreut wurde. „2020 habe ich angefangen mit Patrick Korte zu trainieren. Am Anfang war ich sehr nervös. Ich habe gedacht: Wie komme ich da eigentlich hin in den Don Bosco Club? Und wie wieder zurück? Aber die haben mir alle geholfen, haben mich hergebracht und wieder nach Hause. Das hat mich echt nach vorne gebracht.“

Arbeit an den Boxsäcken im Keller des Don Bosco Clubs in Essen-Borbeck: Aland Ahmad, Patrick Traud, Marc Paar und Nico Schwarze (v.l.).
Arbeit an den Boxsäcken im Keller des Don Bosco Clubs in Essen-Borbeck: Aland Ahmad, Patrick Traud, Marc Paar und Nico Schwarze (v.l.). © Unbekannt | Schacht 11

Aggressionen abbauen und Regeln lernen

Dabei ist Boxen hier nicht einmal die einzige Sportart, die angeboten wird. „Wir haben Tanzen, Boxen, Gymnastik, Fußball und Judo,“ erklärt Susanne Bier, die den Jugendclub leitet. Aber Boxen sticht dann halt doch heraus – schon aufgrund der Tatsache, dass der Club vom Salesianer-Orden betrieben wird. Ein christlicher Orden, der Kampfsport lehrt? Bier: „Ich glaube, das ist ein falsches Bild vom Boxen. Die Kinder und Jugendlichen hauen sich nicht einfach gegenseitig auf die Birne. Boxen hilft ihnen dabei, ein strukturiertes Leben zu führen. Dahinter steckt ganz viel Disziplin, Körpererfahrung und Stärkung des Selbstbewusstseins. Wir machen das jetzt schon seit vielen Jahren, und wir haben immer wieder die Erfahrung gemacht, dass es Kindern und Jugendlichen unendlich guttut.“ Und Jekel fügt hinzu: „Hier können die sie Aggressionen abbauen und gleichzeitig lernen, Regeln einzuhalten.“

Zum Konzept gehört auch, dass die Topsportler aus den Leistungsgruppen, die aus dem Borbecker Keller hervorgegangen sind und jetzt beim Boxteam Essen der DJK Eintracht Borbeck kämpfen, immer mal wieder herkommen und als Gäste mittrainieren. „Das ist für alle wichtig“, sagt Jekel. „Hier sind alle auf Augenhöhe, jeder wird respektiert. Ob hier der Deutsche Meister sitzt oder ein Boxanfänger, das ist völlig wurscht.“

Essener Box-Profi Patrick Korte trainiert mit Jugendlichen

Auch das Engagement des Essener Box-Profis Patrick Korte hat Jugendliche dazu gebracht, sich dem Angebot anzuschließen. Das gilt etwa für den 26-jährigen Nico Schwarze, der gerade einen Boxsack bearbeitet. „Ich boxe hier schon seit zehn oder elf Jahren“, erinnert er sich. „Als ich gehört habe, Patrick Korte kommt zu uns in die Einrichtung und trainiert mit uns, da war ich total begeistert. Ich war immer etwas übergewichtig, aber jetzt bin ich auf einer Schiene, wo ich wieder intensiver trainiere.“ Auch Nico weiß genau, warum er hier ist: „Wir machen das nicht, um jemandem ein blaues Auge zu verpassen. Das Training ist gut für meine Psyche. Wenn man psychische Probleme hat, dann wird man durch den Sport stabiler und kriegt Selbstvertrauen. Ich war früher viel angespannter.“

Don Bosco Club Borbeck

Der Don Bosco Club in Essen-Borbeck am Wolfsbankring 13 engagiert sich seit den 70er-Jahren für junge Menschen, die hier von engagierten und auch ehrenamtlichen Mitarbeitern mit zahlreichen Angeboten im Bereich Freizeit, Sport und Kreativität begleitet werden.Giovanni Don Bosco (1815 - 1888) setzte mit seiner pädagogisch-pastoralen Arbeit Maßstäbe. Er war überzeugt davon, dass in jedem jungen Menschen ein guter Kern steckt. Revolutionär zur damaligen Zeit war sein Erziehungsstil, der auf Liebenswürdigkeit, Einsicht, Glaube und Prävention setzte statt auf harte Strafen.Informationen zum Angebot des Don Bosco Clubs gibt es online unter www.donboscoclub.de

Erfolgsgeschichten wie diese schreibt der Don Bosco Club am Fließband. Mittlerweile gibt es Wartelisten, die Nachfrage ist größer als die räumlichen und personellen Möglichkeiten. Und nicht nur Jungs begeistern sich fürs Boxen. Jekel erinnert sich an ein Mädchen, das aus der LVR-Klinik in den Club kam. „Sie war total verschlossen, hatte während der Therapie im Klinikum immer die Jacke geschlossen und die Kapuze auf.“ Dort habe sie aber erzählt, dass sie früher mal geboxt habe. Jekel: „Wir sind mit ihr in den Keller gegangen, und sie hat am Sandsack gearbeitet. Ich wusste nichts von ihrer Krankheit, bin einfach rübergegangen und habe gesagt: Schwitzt du nicht? Setz doch mal deine Kapuze ab. Und das hat sie gemacht, ist dann später sogar in den Ring gegangen zum Sparring. Ihre Betreuer konnten das kaum glauben. Sie hat sich später total geöffnet. Das Boxen war für sie so eine Art Dosenöffner.“

Mittlerweile ist der Don Bosco Club gut vernetzt, arbeitet mit Schulen und dem Jugendamt zusammen, erhält Unterstützung unter anderem von der Prof. Dr. Eggers-Stiftung für psychisch kranke Jugendliche und junge Erwachsene. Um zu erkennen, dass Sport bei psychischen Beeinträchtigungen helfen kann, muss man nur einmal Patrick Traud zuhören: „Durch das Training bin ich viel ruhiger geworden, ich bin selbstbewusster und habe sogar die Chance neue Leute kennenzulernen. Ich werde immer noch betreut, aber mittlerweile wohne ich nicht mehr in einer WG, sondern alleine in meiner eigenen Wohnung. Ich habe es bis hierhin geschafft, und ich schaffe es auch noch weiter.“