Essen. Emily Hehl zählt mit 23 Jahren zu den Jüngsten, die am Essener Aalto-Theater inszeniert haben. Ihr „Macbeth“ soll nicht nur stimmlich überzeugen.

So viel Neuanfang war lange nicht im Essener Musiktheater. Andrea Sanguineti dirigiert seine erste Opernpremiere als Generalmusikdirektor der Essener Philharmoniker. Sämtliche Solisten des Abends feiern ihre Rollendebüts. Und Regisseurin Emily Hehl ist mit 23 Jahren die bislang wohl jüngste Regisseurin, die in Essen eine Spielzeit eröffnet hat – mit Giuseppe Verdis nachtschwarzem „Macbeth“, dem das gleichnamige Shakespeare-Drama zugrunde liegt.

Kurz vor der Premiere am 3. September wächst die Spannung. Denn die Eröffnungspremiere wird auch so etwas wie die Visitenkarte der neuen Opern-Intendantin Merle Fahrholz sein. Nachdem in der vergangenen Spielzeit noch weitgehend Produktionen ihres Vorgängers Hein Mulders zu sehen waren, steht die neue Saison nun ganz im Zeichen ihrer neuen Spielplanpolitik.

Große Besetzung: Mit mit Giuseppe Verdis meisterhafter Choroper „Macbeth“ wird die neue Spielzeit im Essener Aalto-Theater eröffnet.
Große Besetzung: Mit mit Giuseppe Verdis meisterhafter Choroper „Macbeth“ wird die neue Spielzeit im Essener Aalto-Theater eröffnet. © Unbekannt | Alvise Predieri

Spürt man den Druck? „Es ist Wille und Anspruch, sich davon freizumachen. Aber das klappt natürlich nicht immer“, lächelt Emily Hehl, die neben Regie auch mal Jura studiert hat, weil da alles so klar strukturiert ist. „In der Kunst gibt es kein Richtig und kein Falsch.“ In der Kunst bleibt stattdessen Raum für Irrationales, für Leidenschaft und Wahnsinn, schicksalhafte Prophezeiungen und Begegnungen mit rätselhaften Unheilsvorboten. Für all das steht Verdis „Macbeth“ mit seinen surrealen Hexenwesen und Herrschaftsmenschen voller seelischer Abgründe, den dunklen Charakteren und Gesangspartien jenseits des gefälligen Schönklangs. Emily Hehl will diese Düsternis erhellen.

„Die Oper ist in vielen Dingen sehr versteift“

Aufgewachsen in einem kleinen Dorf im Allgäu, hat sie ein Besuch im Londoner Westend schon vor Jahren für das Musiktheater begeistert. „Ich habe kein Wort verstanden, aber es hat mich sofort überrannt“, erzählt die 23-Jährige, die mittlerweile in Brüssel lebt, wo sie derzeit eine intensive Zusammenarbeit mit der „Needcompany“ verbindet. Die internationale Truppe des bildenden Künstlers Jan Lauwers hat Shakespeares Werke schon mehrfach performativ verarbeitet.

Mehr Infos zum Essener „Macbeth“

Emily Hehl inszeniert in dieser Spielzeit nicht nur am Aalto-Theater. Am Dortmunder Opernhaus ist die junge Regisseurin für die Deutsche Erstaufführung von „La Montagne Noire“ (Der schwarze Berg) verantwortlich. Das lyrische Drama von Augusta Holmès hat im Januar Premiere. Die „Macbeth“-Premiere im Aalto-Theater ist am Sonntag, 3. September, 18 Uhr. Weitere Vorstellungen gibt es am 16., 20., 29. September; 21., 27. Oktober; 5., 12., 16. November; 14. Dezember 2023.Die Titelrolle übernimmt der von New York bis Mailand gefragte Sänger Massimo Cavaletti. In den weiteren Partien präsentieren sich neue Ensemblemitglieder, darunter Astrik Khanamiryan als Lady Macbeth und Sebastian Pilgrim als Banco.Um „Macbeth“ geht es auch am heutigen Freitag, 1. September, 16.30, im Aalto-Foyer im Rahmen der Reihe „It’s Teatime“.Tickets gibt es im Ticket-Center und an der Aalto-Kasse sowie telefonisch unter 0201-8122-200 und online unter www.theater-essen.de

Auf Bewegung setzt auch die Essener Inszenierung. „Die Oper ist in vielen Dingen sehr versteift. Wir haben einen sehr physischen Zugang gefunden, sagt Hehl. Für sie sei der Körper dabei genauso relevant wie die Stimme. Neben den Aalto-Tänzern gehören deshalb auch die Schwestern Agata und Teodora Castellucci zum Produktionsteam. Mit ihrem Performancekollektiv „Dewey Dell“ sind sie seit vielen Jahren erfolgreich. Der Essener „Macbeth“ ist ihr erstes Opern-Engagement. Choreografie und Regie gehen beim Essener „Macbeth“ Hand in Hand. Entscheidend sei dabei nicht die Perfektion der Darbietung, erklärt Hehl, sondern die sinnliche Erfahrung und die „physische Energie“, die das große Personal auf der zu Anfang weitgehend leeren Bühne freisetzen soll.

„Dunkelheit ist bei uns nicht die pure Abwesenheit von Licht“

Pechschwarz ist dabei der Bühnengrund von Frank Philipp Schlößmann, wie man es von Verdis düsterstem Werk erwarten könnte. Und doch ist manches anders. Dass „Macbeth“ „das dunkelste Stück ist, das Shakespeare je geschrieben hat“, auch „das blutigste Stück, das wahrscheinlich auf einer Opernbühne gegeben wurde“ und nicht zuletzt „das leiseste Stück, das Verdi je komponiert hat“, so Hehl, führe zwar oft zu einer „sehr schwarzen, sehr blutigen Inszenierung“. Andererseits wisse man aber auch, dass Shakespeares Stücke seinerzeit bei Tageslicht aufgeführt wurden. „Da gab es keine dunklen Theater.“

Die Regisseurin hat sich deshalb mit der Frage beschäftigt, was denn eigentlich die Dunkelheit in diesem Stück bedeute. „Und was macht diesen Figuren so Angst?“ Ihre Antwort: „Es ist nicht die Nacht, sondern das Licht. Die Dinge sehen und empfinden zu müssen, sich mit den Ängsten und Fantasien auseinanderzusetzen. Deswegen ist diese Dunkelheit bei uns sehr kreatürlich, komplex und nicht die pure Abwesenheit von Licht.“

Schuld und Angst sind die Kernthemen der Inszenierung, die zwei Menschen und ihren unterschiedlichen Umgang damit zeigt. Lady Macbeth, sagt Hehl, kann verdrängen. Macbeth aber „spürt seine Ängste, er sieht und hört sie. Verdi macht die Angst hörbar.“

„Was versetzt uns psychisch und körperlich in Extremsituationen?“

Die archaische Geschichte vom schottischen König Macbeth, der getrieben von Größenwahn und den Einflüsterungen seiner ebenso ehrgeizigen wie eiskalten Gemahlin Lady Macbeth über Leichen geht, könnte man in diesen Tagen von weltumspannender Tyrannei und Willkürherrschaft dabei mühelos mit Tagesthemen-Bezug erzählen. Doch daran hat Hehl kein Interesse.

„Ich will keine Interpretation auf die Bühne stellen, die so eindeutig ist, dass das Publikum nur raten muss, was ich denke.“ Es mache das Stück klein, wenn man es nur auf tagespolitische Aspekte beziehe. Die junge Regisseurin will zeigen, „wie abgründig menschliches Handeln sein kann. Und wie wenig es braucht, um uns psychisch und körperlich in Extremsituationen zu versetzen.“