Rees. Dr. Gert George hat die Geschäftsführung der Lebenshilfe mit Hauptsitz in Rees übernommen. Was den Unternehmensberater aus Wesel antreibt.
Für die Lebenshilfe Unterer Niederrhein ist 2024 ein besonderes Jahr. Am 27. Mai 1964 gründeten im Lutherhaus in Wesel Eltern von Kindern mit Handicap den Verein, um ihnen den Besuch von Kita und Schule sowie im Erwachsenenalter Arbeit und eigenen Wohnraum zu ermöglichen. Vor 60 Jahren war es für Menschen mit Behinderung keineswegs selbstverständlich, ein Leben außerhalb der vier Wände ihrer Eltern zu führen. Die Gründer der Lebenshilfe Unterer Niederrhein änderten dies und legten so den Grundstein für die bemerkenswerte Entwicklung einer Organisation, die mittlerweile rund 1400 Klienten betreut, mehr als 850 hauptamtliche Mitarbeiter beschäftigt und von einer Vielzahl an Ehrenamtlichen unterstützt wird.
Im laufenden Jubiläumsjahr blickt die Lebenshilfe, die ihren Verwaltungssitz bereits in den Anfangsjahren nach Rees-Groin verlegte, jedoch nicht nur zurück. Eine Personalentscheidung an der Spitze verlangt von den Verantwortlichen aktuell wichtige Weichenstellungen für die Zukunft. Denn Mike Stefan Töller, der knapp sieben Jahre als Geschäftsführer tätig war, hat im Sommer die Lebenshilfe aus persönlichen Gründen verlassen.
20 Jahre bei der Lebenshilfe
Kopflos ist das Unternehmen allerdings keinesfalls. Mit Dr. Gert George hat sich schnell ein profunder Kenner der Lebenshilfe bereit erklärt, als interimistischer Geschäftsführer zu übernehmen. Der Unternehmensberater aus Wesel hatte bereits mehr als 20 Jahre ehrenamtlich im Vorstand mitgearbeitet, ehe er von seinen Ämtern Mitte August wegen des Wechsels in die Geschäftsführung zurücktrat.
„Bis eine finale Lösung gefunden ist, möchte ich der Organisation Halt geben, damit Entscheidungen getroffen werden und wir positiv in die Zukunft gehen können“, erklärt George im Gespräch mit der NRZ seine Beweggründe. „Wenn Sie solch eine Organisation über 20 Jahre mit begleiten und dann sehen, dass etwas in eine ungewisse Richtung gehen könnte, macht man es gerne. Unsere Mitarbeitenden an allen Standorten leisten jeden Tag eine so sensationelle Arbeit mit und an den Behinderten. Deshalb ist die Verantwortung viel zu wichtig, als etwas ins Leere laufen zu lassen.“
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Anforderungsprofil für den neuen Geschäftsführer
Wie lange der 60-Jährige die Lebenshilfe interimistisch führen wird, steht noch nicht fest. „Die Zeitachse ist ungewiss“, sagt der verheiratete Vater zweier erwachsener Töchter, der die ersten Wochen in seiner neuen Position als „bereichernd“ empfunden hat. „Es wurde mir von allen Seiten leicht gemacht. Ich habe sehr schnell gespürt, dass alle an dem gleichen Strang ziehen und ihr Bestes tun, um den Menschen mit Behinderung weiterzuhelfen – ob in Wohnheimen, den Werkstätten oder den inklusiven Kindertagesstätten.“
„Ich habe sehr schnell gespürt, dass alle an dem gleichen Strang ziehen und ihr Bestes tun, um den Menschen mit Behinderung weiterzuhelfen“
Der Job im Geschäftsführerbüro in der im vergangenen Jahr neu bezogenen Zentrale an der Groiner Allee 10 ist kein austauschbares berufliches Engagement, sondern eine besondere Aufgabe. Das zeigt allein schon das Anforderungsprofil. Die neue Geschäftsführerin oder der neue Geschäftsführer müsse zum einen ein „stark kaufmännisches Verständnis“ mitbringen, zum anderen aber auch eine „hochgradig ausgeprägte Empathie – nicht nur für behinderte Menschen, sondern für alle Mitarbeitenden. Das wäre mein persönlicher Wunsch“, sagt Dr. Gert George. Wertschätzung ist für ihn ein zentraler Begriff in der Personalführung.
Angebote der Lebenshilfe
Die Lebenshilfe Unterer Niederrhein bietet drei Werkstätten in Rees (seit 1968), Alpen-Veen (seit 1993) und Wesel (seit 2003) mit mehr als 1100 Arbeitsplätzen für Menschen mit und ohne Handicap, Betreuungsplätze für rund 420 Kinder in sechs inklusiven Kitas in Rees, Wesel, Mehrhoog und Xanten sowie einen familienunterstützenden Dienst für häusliche sowie Kita- und Schulbegleitung.
Zum Angebot gehören zudem Autismusberatung und -therapie für mehr als 300 Klienten, besondere Wohnformen in Rees, Wesel und Xanten für rund 130 Menschen, drei Hausgemeinschaften in Rees, Emmerich und Wesel für Menschen mit höherem Hilfebedarf sowie Betreutes Wohnen für mehr als 230 Erwachsene mit geistigem und/oder psychischem Handicap in Rees, Emmerich, Wesel, Hamminkeln, Xanten, Alpen und Sonsbeck.
Tarifvertrag im Kampf um Fachkräfte
Die Lebenshilfe bewegt sich, wie andere Sozialverbände auch, in einem sich stetig wandelnden Umfeld. „Permanente Gesetzesänderungen, ständige Anpassungen von Refinanzierungslagen der Leistungsträger wie LVR, Kommunen, Land und Bund und ein irrsinniger administrativer Aufwand, der dahintersteht“, zählt der Geschäftsführer auf. „Wir müssen unentwegt Bälle wie ein Jongleur nach oben werfen und versuchen zu verhindern, dass zu viele davon herunterfallen.“
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Dem Thema Fachkräftemangel begegnet die Lebenshilfe Unterer Niederrhein unter anderem mit dem Wechsel von einem Haustarifvertrag auf einen Tarifvertrag in Anlehnung an den öffentlichen Dienst. Die Umstellung sei zu 99 Prozent vollzogen, stellt George fest. „Wir verspüren, dass es im vergangenen dreiviertel Jahr etwas einfacher geworden ist.“ Dass das Unternehmen zuletzt „nicht wenige Bewerbungen auch von qualifizierten Kräften“ erhalten habe, ordnet der gebürtige Unterfranke jedoch realistisch ein und führt dies unter anderem auf die Situation rund um das insolvente St. Willibrord-Spital in Emmerich zurück.
Unabhängig von diesem möglicherweise temporären Phänomen müsse sich die Lebenshilfe als attraktiver Arbeitgeber präsentieren, sagt Dr. Gert George. In diesem besonderen Jubiläumsjahr 2024 und darüber hinaus.