Kreis Kleve. In der Corona-Pandemie rufen mehr Menschen bei der Telefonseelsorge an. Besonders Senioren leiden unter der Einsamkeit.
Wenn bei Heinz H.* das Telefon klingelt, beginnt für ihn jedes Mal ein kleines Abenteuer. Denn er weiß nie, wer am anderen Ende auf ihn wartet und wie das Gespräch verlaufen wird. Heinz H. arbeitet seit 15 Jahren bei der Telefonseelsorge Niederrhein/Westmünsterland, kennt also die ehrenamtliche Arbeit sehr gut. In den vergangenen Monaten aber hat er eine Veränderung beobachten können: „Die Anzahl der Gespräche hat zugenommen.“
Grund dafür ist die aktuelle Pandemie, der Verlust des gesellschaftlichen Lebens. Und damit einhergehend für viele eine bedrückende Einsamkeit. Das kann auch Karin Hante, stellvertretende Leiterin der Telefonseelsorge Niederrhein/Westmünsterland, bestätigen: „Die Einsamkeit hat stark zugenommen in der Pandemie. In jedem fünften Gespräch ist das ein Thema.“ Für viele Menschen sei ein Anruf bei der Telefonseelsorge ein kleines Fenster in die große Welt, ein heller Lichtblick im trostlosen Alltag.
Regelmäßige Supervisionen
Das Leben anderer Menschen bereichern – das war auch seine Intention, als sich Heinz H. nach seiner Pensionierung für das Ehrenamt in der Telefonseelsorge entschied. „Ich habe selbst sehr schwierige Situationen erlebt und es gab immer wieder Menschen, die mich unterstützt haben“, erzählt er. Die positiven Erfahrungen möchte er der Gesellschaft zurückgeben. Und weil er bereits während seiner aktiven Arbeitszeit viel mit Menschen kommuniziert hat, nutzt er seine Talent auch weiterhin.
Ganz so einfach ist ihm aber die ehrenamtliche Arbeit gerade am Anfang nicht gefallen, erinnert sich Heinz H.: „Ich habe mich sehr angestrengt, bei dem anderen zu sein und gleichzeitig mich nicht selbst zu verlieren.“ Dieser Spagat ist ihm jedoch im Laufe der Jahre auch mithilfe der regelmäßigen Supervisionen immer besser gelungen. Heute eröffnet er jedes Mal ein Telefonat mit dem Selbstvertrauen, dass das Gespräch gut verlaufen wird.
Ungewöhnliche Gespräche
Dabei ist jedes Telefonat anders, so wie jeder Mensch eine andere Geschichte mit sich bringt. Mal bitten die Anrufer nach einem konkreten Rat. Mal wünschen sie sich einfach jemanden, der ihnen zuhört. „Ich vermittele ihnen, dass ich Zeit für sie habe“, betont Heinz H. Genug Zeit, um auch etwas ungewöhnlichere Gespräche zu führen. „Ein Mann hat mich gefragt, ob er mir seine Lieblingsmusik vorspielen darf“, erzählt er. Gemeinsam lauschten sie dann den Klängen und sprachen am Ende darüber.
Bei einem anderen Telefon erzählte ihm eine Frau von ihrer Antriebslosigkeit. „Ich habe sie dann gefragt, was sie gerne machen würde, wenn sie genug Energie hätte“, erzählt Heinz H. Die Antwort: „Die Küche fegen.“ Weil er immer konkret auf die Bedürfnisse eingeht, schlug er ihr daraufhin vor: „Ich mache mir einen Kaffee und sie fegen die Küche. Dann rufe ich sie wieder in zehn Minuten an.“ Am Ende schaffte es die Frau tatsächlich, die kleine Aufgabe zu bewältigen.
Alltägliche Sorgen in der Pandemie
Vor allem letzteres Beispiel zeigt, dass in der Pandemie die alltäglichen Sorgen vieler Menschen zugenommen haben. Heinz H. hat mit Müttern gesprochen, die mit Homeschooling überfordert sind. Oder auch mit Senioren, deren Stützpfeiler des alltäglichen Lebens weggebrochen sind. Oder mit Menschen in finanzieller Not, die nicht wissen, wie sie den Monat überstehen sollen. Oder mit psychisch Erkrankten, die nach dem Sinn des Lebens fragen.
Es sind keine leichten Gespräche, doch die lebensbejahende Einstellung behält Heinz H. währenddessen immer bei. Er versucht ihnen ein „Fünkchen Lebensfreude“ zu geben, wie er selbst sagt. Und bekommt dafür am Ende eines Gespräches häufig große Dankbarkeit zu spüren. „Wenn sich schwerbelastete Menschen bei mir bedanken und mir für mein Leben alles Gute wünschen, berührt mich das sehr“, sagt er. Da können auch schon mal Tränen kullern. Aber das gehört zur Telefonseelsorge eben dazu: „Ich kann mit den Menschen lachen, weinen oder auch singen.“
*Name von der Redaktion geändert
>> Ehrenamtlich tätig werden bei der Telefonseelsorge
Die Telefonseelsorge Niederrhein/Westmünsterland bildet ab September wieder in Wesel ehrenamtliche Mitarbeiter aus. Selbsterfahrung, Biografiearbeit, Gesprächsführung und Kommunikationsmodelle sind wesentliche Inhalte der Ausbildung.
Nach der 14-monatigen Ausbildung erwartet die Telefonseelsorge von ihren Mitarbeitern die Übernahme von jeweils drei Diensten zu je vier Stunden im Monat, tagsüber und auch nachts.
Weitere Infos und Anmeldung bei der Telefonseelsorge Niederrhein/Westmünsterland: Postfach 10110646471 Wesel, 0281/156-141 (Montag bis Freitag zwischen 8.30 und 12.30 Uhr), E-Mail telefonseelsorge@kirchenkreis-wesel.net, Internet: www.telefonseelsorge-niederrhein.de.