Duisburg. Ihre Namen prägen noch heute die Stadt, doch einige bekannte Duisburger Dynastien haben eine dunkle Kolonialgeschichte. Neue Ausstellung deckt sie auf.
„Wurde dir schon einmal von fremden Menschen in die Haare gefasst, um zu sehen, wie sie sich anfühlen? Gab es in deiner Kindheit Held*innen in Büchern, Filmen und Spielen, die aussahen wie du? Wurdest du schon einmal gefragt, wo du ‚wirklich‘ herkommst?“ Nein, ja, nein, dürften viele Duisburger da antworten. Aber bei weitem nicht alle. Mit diesem Privilegien-Check beginnt die neue Ausstellung „Überse(e)hen“ des Zentrums für Erinnerungskultur, die am Sonntag, 8. Dezember, im Kultur- und Stadthistorischen Museum eröffnet.
Der Privilegien-Check macht schon relativ deutlich klar, worauf die Macherinnen Christa Frins, Carmen Simon Fernandez und Naomi Dibu mit der Ausstellung aufmerksam machen wollen: auf Rassismus. Und zwar auf den, der noch heute aus der Zeit der deutschen Kolonien (zirka 1880 bis 1919) übrig geblieben ist – und dessen Spuren noch heute im Duisburger Stadtbild stecken.
Duisburger Tabak-Dynastie mit rassistischen Produkten
Fangen wir mal mit einem Beispiel an, das Duisburg zwar nicht exklusiv hat, das aber wirklich jeder kennt: Edeka. Die Kolonialvergangenheit steckt schon im Namen, Einkaufsgenossenschaft der Kolonialwarenhändler im Halleschen Torbezirk zu Berlin – und damit auch die Verbindung zu Landraub, Zwangsarbeit und mehr in den deutschen Kolonien.
Man kann in Duisburg aber auch ganz konkret werden – den Böninger Park kennt schließlich jeder. Benannt ist der nach der Tabak-Unternehmerfamilie Böninger, deren Privatgarten das Grünstück einst war. In der Ausstellung kann man zum Beispiel Tabakdosen der Firma Böninger betrachten, inklusive rassistischer Werbung. Oder man denke an die Afrika-Siedlung in Buchholz, ganz besonders an die Lüderitzallee. Adolf Lüderitz raubte in Namibia Land und legte den Grundstein für den deutschen Völkermord an den Herero und Nama.
Duisburger Sänger texte für Joseph Goebbels
Oder an den Spielwarenladen Roskothen, der einst rassistische Spiele mit Kolonialbezug verkaufte und dessen heutiger Inhaber Boris Roskothen sich aktiv gegen rassistische Elemente in Spielen einsetzt. Oder an Richard Hindorf, der in Deutsch-Südwestafrika (Namibia) den Sisal-Anbau vorantrieb und nach dem in Ruhrort ein Platz benannt ist. Oder an den Duisburger Musiker Karl Schwedler, der für Joseph Goebbels afroamerikanische Jazz-Standards mit rassistischen Texten für die englischsprachige „Feindpropaganda“ einsang. Oder, oder, oder.
Die Liste postkolonialer Spuren in Duisburg ist lang, da kann man schnell den Überblick verlieren. Die Kuratorinnen haben ihre Ausstellung deshalb in Themeninseln unterteilt, durch die wiederum die fiktive Frau Mariam führt. Sie ist schwarz, Anfang 30, kommt aus Hochfeld, lebt in Neudorf und studiert Psychologie, arbeitet gerade aber ehrenamtlich als Seelsorgerin in ihrer Gemeinde. „Es geht darum, die schwarze Lebensrealität in Duisburg abzubilden“, sagt Naomi Dibu, die viel Autobiografisches in Mariams Lebenslauf hat einfließen lassen.
Mit Audioguide durchs koloniale Duisburg
Denn „Überse(e)hen“ beschäftigt sich nicht nur mit der Vergangenheit. Mit einer Mitstreiterin hat Dibu zum Beispiel schwarze Menschen in der Stadt fotografiert, war in afrodeutschen Safe-Spaces. In einem Podcast berichten Schüler der Theodor-König-Schule von ihren Erlebnissen beim Austausch mit der Partnerschule in Namibia. Ein Schaukasten zeigt Gesellschaftsspiele, die eben nicht mit kolonialem Gedankengut, sondern mit Repräsentation von Minderheiten aufwarten.
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Quasi „angedockt“ an die Ausstellung ist das Projekt „Colonialtracks“. Per QR-Code oder unter duisburg.colonialtracks.de können Besucher Audiodateien aufrufen, die an verschiedene Orte in der Innenstadt führen, allesamt fußläufig vom Museum erreichbar. Dort erzählen verschiedene Sprecher von der kolonialen Vergangenheit dieser Orte – und erklären zum Beispiel, welche Rolle der Platz am Lifesaver-Brunnen in Duisburgs Kolonialgeschichte spielte.
„Die Ausstellung soll ein Korrektiv sein“, sagt Dr. Andreas Pilger, Leiter des Stadtarchivs, „für etwas, das wir sehr lange versäumt haben.“ Im 50.000 Bilder starken Fotoarchiv der Stadt, erzählt der Historiker, gebe es genau drei Fotos von Menschen mit Migrationshintergrund – und kein einziges von schwarzen Menschen.
>> Ausstellung „Übers(e)ehen“ in Duisburg: Öffnungszeiten und Tickets
- „Überse(e)hen“ bleibt noch bis zum 30. November 2025 im Kultur- und Stadthistorischen Museum, Johannes-Corputius-Platz 1, im Innenhafen.
- Das Museum hat dienstags bis samstags von 10 bis 17 Uhr geöffnet, sonn- und feiertags von 10 bis 18 Uhr. Jeden Montag und am 24., 25. und 31. Dezember bleiben die Türen geschlossen.
- Der Eintritt zu allen Ausstellungen inklusive „Überse(e)hen“ kostet 4,50 Euro, ermäßigt 2 Euro. Jeden Donnerstag gilt „Pay what you want“, Besucher können den Eintritt selbst bestimmen.