Duisburg. Gefährliche Jobs, kein Mindestlohn, dubiose Chefs: So werden Südosteuropäer in Marxloh und Hochfeld ausgenutzt. Kritik an Thyssenkrupp und OB Link.

Forscher der Universität Duisburg-Essen (UDE) haben mit mehr als 500 Bulgaren und Rumänen in Hochfeld und Marxloh gesprochen (Details zur Studie: siehe Artikel unten). Obwohl die Zahl der sozialversicherungspflichtig angestellten Südosteuropäer auch in Duisburg kontinuierlich steigt, hängen weiter viele von ihnen im Graubereich des Arbeitsmarktes fest. Die Untersuchung dokumentiert detailreich, wie sie ausgebeutet werden.

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Hochfeld und Marxloh haben die Funktion als „migrantische Arbeitskräftereservoirs“, erläutern die Sozialwissenschaftler Dr. Polina Manolova, Dr. Thorsten Schlee und Lena Wiese in ihrer Studie. Die Bewohner der Stadtteile arbeiten meist als gering qualifizierte und ungelernte Kräfte in industrieller und gewerblicher Reinigung, in Baugewerbe, Lieferverkehr, Lebensmittelindustrie, Landwirtschaft, Lagerhaltung und Verpackung. Etwa 40 Prozent der Hochfelder und 34,6 Prozent der Marxloher wurden von der Stadt Duisburg 2021 als „arm“ eingestuft.

Bulgaren und Rumänen in Marxloh und Hochfeld: „extreme Formen der Ausbeutung“

Unter den Befragten hatten zahlreiche Männer und Frauen befristete Verträge mit sechsmonatiger Probezeit, die weder eine Mindest- noch eine Höchstarbeitszeit angeben. „So war beispielsweise nur einer der 20 befragten Gebäudereiniger in Vollzeit angestellt“, berichten die Forscher.

Die Verträge hielten zwar formal den Mindestlohn ein, dieser werde aber durch verschiedene informelle Vereinbarungen ausgehebelt: „Überstunden werden oft nicht ausbezahlt, Sozialversicherungsbeiträge einbehalten, Abzüge für Arbeitskleidung und Transportkosten berechnet, Reisekosten nicht bezahlt, es gibt keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und bei Urlaub.“

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Weit verbreitet sei die Praxis, Verträge mit geringerer Arbeitszeit zu schließen und den Restbetrag schwarz zu zahlen. Dadurch sparen Arbeitgeber und Arbeitnehmer auf Kosten der Sozialversicherung. Unterlaufen werde auch die 18-monatige Überlassungspflicht für Zeitarbeit, „indem Beschäftigte zwischen verschiedenen informell zusammenarbeitenden Leiharbeitsfirmen rotieren“.

Trotz ihres gesicherten Status als EU-Bürger seien die um ihre Existenz kämpfenden Bulgaren und Rumänen auf das Feld der „grauen Arbeit“ angewiesen. Dieses zeichne sich durch „zahlreiche Schlupflöcher für Gewinnmaximierung“ und „extreme Formen der Ausbeutung“ aus.

Soziologin kritisiert Aussagen von Duisburgs OB Link

So baue der Marxloher Arbeitsmarkt auf die Vergabe von Unteraufträgen auf, „bei der die Einstellungspraktiken an Dritte ausgelagert werden“. Thyssenkrupp Steel greife bereits seit Mitte der Siebziger auf „lange Unterauftragsketten für die schwierigsten Arbeitsaufgaben“ zurück. Heute charakteristisch sei „ein komplexes Netz von Untervergabevereinbarungen, das aus einem Kern von multinationalen Personalkonzernen, einer Zwischenschicht regionaler interner Auftragnehmer und einem breiten Netz kleiner lokaler Dienstleister und Arbeitsvermittler besteht“, erklärt Polina Manolova.

Die Soziologin kritisiert die Aussagen des Duisburger Oberbürgermeisters Sören Link. Er beklagt immer wieder, ein Großteil der rumänischen und bulgarischen Staatsangehörigen halte sich illegal in Duisburg auf, weil sie ihre Familien nicht ernähren können. „Herr Link verschweigt, woran das liegt: nämlich daran, dass viele dieser Menschen daran gehindert werden, in sozialversicherungspflichtige Jobs zu kommen.“

Sozialwissenschaftlerin Polina Manolova von der Universität Duisburg-Essen kritisiert Aussagen des Duisburger Oberbürgermeisters Sören Link.
Sozialwissenschaftlerin Polina Manolova von der Universität Duisburg-Essen kritisiert Aussagen des Duisburger Oberbürgermeisters Sören Link. © FUNKE Foto Services | STEFAN AREND

Als Teilzeitbeschäftigte ohne Sozialversicherungsbeiträge, die zwischen befristeten Anstellungen und Zeiten der Arbeitslosigkeit wechseln, erwerben viele der Zugewanderten keinen Anspruch auf Arbeitslosenversicherung, Krankenversicherung und Sozialhilfe. Vollen Zugang haben EU-Bürger erst nach fünf Jahren der Beschäftigung.

Abhängigkeitsverhältnisse als einzige Jobchance

Für Bulgaren und Rumänen mit schlechten Deutschkenntnissen sei die Jobsuche über eine Gruppe türkischsprachiger Mittelsmänner der zweiten Generation oder über besser integrierte Landsleute die einzige Chance auf Beschäftigung. Dadurch entstünden Abhängigkeitsverhältnisse, die den Weg in reguläre Beschäftigung oft sogar verhinderten.

Zumal die Befragten immer wieder beim Versuch scheitern, von Subunternehmen in Vollzeitjobs des auftraggebenden Unternehmens zu wechseln. Die Studie zitiert Ali, 37. Er wollte von einem türkischen Subunternehmer in den Konzern wechseln, die Absage wurde mit fehlender Qualifikation und mangelnden Deutschkenntnissen begründet:

„Aber ich mache denselben Job seit fünf Jahren – ich kenne ihn in- und auswendig. Mein Deutsch ist nicht perfekt, aber gut genug, um die Arbeit zu machen. Wie kommt es, dass ich gut genug für den Subunternehmer bin, aber nicht gut genug, um festangestellt zu werden?“

Subunternehmer: Arbeitgeber sind oft auch Vermieter und Kreditgeber

Ein weiteres Problem der „netzwerkbasierten Arbeitsverhältnisse“: Die Arbeitgeber seien oft zugleich Vermieter, Kreditgeber und Dokumentensammler und beuteten die billigen Kräfte mehrfach aus. Einer der Gesprächspartner erzählte, „wie sein Chef, der Eigentümer eines kleinen Bauunternehmens, seine Gehaltszahlungen direkt an seinen Vermieter überwies, der offenbar sein Geschäftspartner war“.

Hinzu kommen miserable Arbeitsbedingungen, vor allem in der industriellen Reinigung. „In Marxloh haben wir zahlreiche Berichte über Arbeitsunfälle und gefährliche Arbeitsbedingungen gesammelt, die zu schweren Verletzungen und langfristigen Gesundheitsproblemen bei den Arbeitern führen“, erläutert Manolova. In den meisten Fällen seien die Unfälle aufgrund des Drucks durch Arbeitgeber nicht gemeldet worden, weshalb die Betroffenen keine Unterstützung durch Sozial- und Krankenversicherung erhielten.

>> Der Fall Refat Süleymann

  • Für überregionales Aufsehen sorgte der tödliche Arbeitsunfall eines Leiharbeiters 2022: Refat Süleymann ertrank im Oktober 2022 in einem Schlammbecken auf dem Gelände von Thyssenkrupp Steel.
  • Der 26-Jähriger arbeitete bei der Firma Buchen Umweltservice, die mit Reinigungsarbeiten auf dem Thyssenkrupp-Gelände beauftragt war. Buchen Umweltservice ist ein Unternehmen der Remondis-Gruppe.
  • Nach dem Todesfall demonstrierten Hunderte, viele Bulgaren glauben an Mord und Vertuschung. Die Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren 2024 ein.