Duisburg. Bei jeder Störung des Zugverkehrs in NRW greift die Betriebszentrale Duisburg ein. Wie diese „Feuerwehr“ der Bahn gegen Verspätungen kämpft.
- Betriebszentrale Duisburg wurde am 16. Oktober 1999 eröffnet
- Schaltstelle kümmert sich um etwa 200 Störfälle pro Tag
- „Betriebsqualität ist schlecht, da brauchen wir nicht drumherumreden“
- Regel gegen Folgeverspätungen: Schnellere Züge haben Vorfahrt
Im 4700 Kilometer langen Streckennetz der Deutschen Bahn in Nordrhein-Westfalen werden täglich 8000 Zugfahrten abgewickelt. Und wann immer sich im Fern-, Nah- und Güterverkehr Züge wegen Verspätungen in die Quere kommen – entscheiden Verantwortliche in einem einzigen riesigen Großraumbüro, welche Bahn Vorfahrt hat und welche Fahrgäste länger warten müssen. Was die wenigsten Passagiere und Duisburger wissen: Diese Herzkammer der Bahn in NRW liegt in Duissern, seit exakt 25 Jahren.
Am 16. Oktober 1999 startete die Betriebszentrale (BZ) der Bahnregion West an der Hansastraße. Wer in den abgedunkelten Großraum der Disponentinnen und Disponenten tritt, fühlt sich wie in einer geheimen Kommandozentrale. Auf 1800 Quadratmetern sind mehrere Teams in oval angeordneten Sitzgruppen untergebracht. Jeder Disponent blickt auf acht blinkende Bildschirme, verfolgt darauf in Echtzeit die Zugfahrten, die als bunte Zeit-Wege-Diagramme dargestellt sind. Hinter einigen Zugnummern stehen die Verspätungen in Minuten.
Betriebszentrale Duisburg: „Wir sind die Feuerwehr der Bahn“
Die meisten Disponenten sind im Gespräch: Sie geben den Fahrdienstleitern im ersten Stock beziehungsweise draußen in den Stellwerken Anweisungen, wie bei Störungen die Weichen zu stellen sind; sie informieren darüber Kunden, also die über 400 Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU); sie stimmen sich mit ihren Sitznachbarn und dem Netzkoordinator ab, dem Chef im Ring. Neben einem vom Internet getrennten Netz nutzen sie Telefone, GSMR-Funkgeräte und interne Standleitungen.
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Zutritt zu dieser sogenannten kritischen Infrastruktur gestattet die Bahn Journalisten nur selten: Auf hunderten Bildschirmen sind Daten von Kunden der DB InfraGO AG (siehe Infobox unten) zu sehen, die Mitarbeiter koordinieren konzentriert wie Fluglotsen den Verkehr und „Entstörungen“.
Etwa 200 Störfälle gibt es im Tagesschnitt in NRW, von der klemmenden S-Bahn-Tür bis zu unvorhergesehen Engpässen auf den vielen Baustellen. Und jede Störung kann „in unserem hoch ausgelasteten Netz einen Domino-Effekt auslösen“, sagt Dirk Staymann. Der 40-Jährige ist der stellvertretende Leiter der Betriebszentrale. „Immer, wenn es ein Problem gibt, greifen wir ein. Wir sind die Feuerwehr, die Taskforce der Bahn.“
Dafür begleiten jeweils 30 Kollegen pro Schicht den Betrieb. 24 Stunden täglich, 365 Tage im Jahr. Auch für die Polizei- und Feuerwehrleitstellen in NRW ist die BZ in Notfällen der erste Ansprechpartner. Es gehe jeden Tag darum, so Staymann, „dafür zu sorgen, dass möglichst wenige Reisende von Verspätungen betroffen sind“. Eine klare Regel im Kampf gegen Folgeverspätungen: „Schnellere Züge haben Vorfahrt vor langsamen“, um den „Schaden fürs Gesamtsystem so gering wie möglich zu halten“.
Niederländische Eisenbahner sitzen mit am Tisch
Für Disponent Kristof Brüggemann aus Duisburg-Großenbaum stellt sich darum gerade die Frage: Was soll mit dem Güterzug passieren, der bei Lintorf halten musste, weil der Lokführer die vorgeschriebene Ruhezeit nicht mehr hinausschieben kann? Brüggemann sucht ein besseres Abstellgleis und telefoniert mit dem betroffenen Unternehmen. Das schickt schnellstmöglich einen Lokführer, der den Zug erstmal in Düsseldorf-Eller abstellt, und später einen zweiten, der weiter Richtung Italien fährt.
Brüggemann ist Disponent für den Rhein-Alpen-Korridor. Er begleitet Güterzüge auf der viel befahrenen Strecke Rotterdam–Genua auf dem Abschnitt von der deutsch-niederländischen Grenze bis nach Rheinland-Pfalz. „Hier ist jeden Tag was anderes los, es wird nie langweilig“, sagt der 31-Jährige. Und geht ein paar Meter weiter zu seinem niederländischen Kollegen.
Dieser sitzt für den Eisenbahn-Infrastrukturbetreiber des Nachbarlandes (ProRail) mit in der Betriebszentrale. „Wir stellen den Arbeitsplatz, ProRail das Personal“, erklärt Dirk Staymann. Das habe die grenzübergreifende Zusammenarbeit deutlich verbessert. „Beide Seiten sind besser informiert, und wir brauchen keinen Dolmetscher.“
Neuer Standort, digitale Revolution und Privatisierung
Mit der Zusammenlegung der Betriebsleitungen aus Köln und Essen saßen ab dem 16. Oktober 1999 plötzlich Eisenbahner aus ganz NRW in Duisburg zusammen. Nicht nur das war plötzlich anders: Dank Computertechnik konnten die Mitarbeiter, die zuvor alles telefonisch geregelt hatten, die Zugbewegungen digital live verfolgen. „Wir kannten weder die Verkehrsgeografie noch das Streckennetz oder das Computersystem“, erinnert sich Netzkoordinator Thomas Schulze, einer der Kollegen der ersten Stunde. „Das war eine aufregende Zeit.“
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Seither ist der öffentliche Auftrag der BZ viel komplexer, die Arbeit anspruchsvoller geworden: Mit der Privatisierung und der späteren Erweiterung des Netzes stieg die Anzahl der Unternehmen und Fahrten im Netz, Güterzüge rollen nun quer durch Europa. Gleichzeitig hat der gewaltige Investitionsstau zahlreiche Baustellen und Verspätungen zur Folge. „Je mehr Baustellen wir haben“, so Staymann, „desto weniger Strecke steht uns zur Verfügung.“ Darum sei die Betriebsqualität schlecht, „da brauchen wir nicht drumherumreden“.
„Ich bin stolz auf das, was wir als Team hier jeden Tag leisten.“
Dirk Staymann schmerzt das nicht nur, weil er als Pendler auf dem Weg nach Duisburg selbst oft unter Verspätungen und Ausfällen leidet. Er identifiziert sich mit seinem Arbeitgeber, ist mit seinem Bruder „Bahner in der fünften Generation“. Auf die Dauerkrise reagiere er mit Beharrlichkeit, guter Laune und Ehrlichkeit. „Letztlich geht es für uns darum, aus viel Verspätung weniger Verspätung zu machen.“ Das gelinge gut. „Ich bin stolz auf das, was wir als Team hier jeden Tag leisten.“
>> BZ Duisburg: 140 Disponenten und 160 Fahrdienstleiter
- Die „DB InfraGO AG“ ist Ende 2023 aus der Verschmelzung der Bahntöchter DB Netz und DB Station & Service entstanden. „GO“ steht für gemeinwohlorientiert.
- Die Bundesnetzagentur kontrolliert, wie die DB InfraGO AG ihren öffentlichen Auftrag als bundeseigenes Infrastrukturunternehmen ausführt.
- Die Bahn hat sieben Betriebszentren (BZ): in Berlin, Duisburg, Frankfurt/Main, Hannover, Karlsruhe, München und Leipzig. Eine Netzleitzentrale in Frankfurt disponiert insbesondere den überregionalen und internationalen Personenverkehr sowie Güterzüge.
- Im BZ Duisburg arbeiten in der Netzdisposition im Erdgeschoss allein 140 Mitarbeitende für die Bahn sowie in der ersten Etage etwa 160 Fahrdienstleiterinnen und -leiter.
- Die Stellwerke wurden ab 2004 im BZ zusammengezogen. Fahrdienstleiter bedienen von Duisburg aus elektronische Stellwerke der Steuerbezirke Rhein-Sieg, Köln-Ehrenfeld, Köln-Deutz, Krefeld, Düsseldorf, Duisburg und Oberhausen.
- Wer Disponent werden möchte, muss zuvor eine Ausbildung zum Fahrdienstleiter absolvieren. Fahrdienstleiter verdienen je nach Berufserfahrung zwischen 41.600 und 60.300 Euro.