Duisburg. Hätte die Attacke auf Kinder in Marxloh verhindert werden können? Die dienstaufsichtsrechtliche Prüfung am Duisburger Gericht ist abgeschlossen.
Im Prozess um den Messerangriff auf zwei Kinder in Marxloh hat der Verteidiger zuletzt ein Geständnis vorgetragen: Der psychisch kranke Ron S. hat am 28. Februar die neunjährige Daria und ihren zehnjährigen Cousin Alberto auf offener Straße mit einem Messer und einem Hammer attackiert und schwer verletzt. Die beiden Zufallsopfer und ihre Familien leiden weiter sehr (wir berichteten).
Hätte die Tat verhindert werden können, wenn die Behörden schneller reagiert und besser zusammengearbeitet hätten? Die Verzögerungen bei der Gefahrenabwehr hatten am Duisburger Gericht eine dienstaufsichtsrechtliche Prüfung zur Folge. Das Ergebnis: Die Vorgesetzten und der Präsident des Oberlandesgerichts Düsseldorf (OLG) sehen keine zu ahndenden Dienstvergehen oder Versäumnisse ihrer beteiligten Richter und Justizbeamten.
Fehlende Gefahrenabwehr vor Messer-Attacke in Duisburg: Altertümliche Dienstwege
In den Fokus gerückt waren die Behörden, weil die Polizei in Bayern bereits am 8. Januar wusste, dass Ron S. öffentlich einen Mord angekündigt hatte. Aber schnelles Handeln wurde durch lange Dienstwege – ohne direkten digitalen oder telefonischen Austausch – zwischen Dienststellen in Bayern und Duisburg verzögert (wir berichteten).
Die Staatsanwaltschaft leitete am 22. Februar Maßnahmen zur Gefahrenabwehr gegen den 21-Jährigen ein, der Durchsuchungsbeschluss eines Ermittlungsrichters erreichte das Duisburger Polizeipräsidium erst am 29. Februar, also am Tag nach dem Angriff. Die Polizei Duisburg hatte S. schon 2023 als „Person mit Risikopotenzial“ eingestuft.
Sondersitzung des Rechtsausschusses
Die Oppositionsparteien im Düsseldorfer Landtag sahen trotz eines ausführlichen Berichts des Innenministeriums zunächst „Ungereimtheiten“, das Justizministerium klärte Mitte März in einer Sondersitzung des Rechtsausschusses auf. Die Details ließen vor allem erkennen, wie altertümlich, langsam und fehleranfällig die Meldeketten zwischen den Strafverfolgungs- und Justizbehörden (insbesondere Bundesländer übergreifend) sind, selbst wenn „EILT SEHR“ rechts oben auf der „Abgabeverfügung“ einer Akte steht. Erst zum Anfang 2026 soll die elektronische Akte eingeführt werden.
Ein Vertreter des Justizministeriums und Duisburgs Leitende Oberstaatsanwältin, Dr. Karin Schwarz, verteidigten damals die in Duisburg vertretungsweise zuständige Dezernentin. Diese habe die Akte am 20. Februar auf den Tisch bekommen, vier Strafverfahren gegen den Gefährder ausgewertet und den Antrag auf Durchsuchung mit Hinweis auf die Dringlichkeit am 22. Februar ins Amtsgericht bringen lassen.
Zudem hatte sie noch am 20. Februar zum Telefon gegriffen und bei der Polizei in Straubing angerufen. Dort habe man ihr mitgeteilt, dass die Polizei dort „für – eilbedürftig zu treffende – Maßnahmen der Gefahrenabwehr“ keinen Anlass gesehen habe.
Ulf-Thomas Bender, Präsident des Duisburger Landgerichts, hatte in seiner ersten Stellungnahme ans Justizministerium berichtet, dass ein Wachtmeister dem Ermittlungsrichter den Antrag der Staatsanwaltschaft auf Durchsuchung der Wohnung („Sofort! Von Hand zu Hand“) und die Akte am Freitag, 23. Februar, vorgelegt habe. Weil sich dem Richter bei einer „ersten Durchsicht“ nicht sofort ergeben habe, dass der spätere Beschuldigte einen Mord öffentlich auf Instagram angekündigt hatte, habe er zweimal vergeblich versucht, die Staatsanwaltschaft anzurufen: am 23. und am Montag, 26. Februar. Jedoch habe der Richter nach „nochmaliger Durchsicht“ an jenem Montag doch einen Screenshot mit der öffentlichen Mord-Ankündigung „entdeckt“ und dann den Durchsuchungsbeschluss erlassen.
Keine Schuld, aber „Sensibilisierungen“ auf allen Ebenen
Die unmittelbaren Dienstvorgesetzten – der Präsident des Landgerichts für den richterlichen und der Direktor des Amtsgerichts für den nicht-richterlichen Dienst – hätten den Vorgang in dienstaufsichtsrechtlicher Hinsicht „eingehend und umfassend geprüft“. Das Ergebnis ist im übertragenen Sinn ein Freispruch: „Anlass zu disziplinarischen oder arbeitsrechtlichen Maßnahmen haben – für den richterlichen Bereich insbesondere unter Beachtung der durch Artikel 97 Absatz 1 des Grundgesetzes garantierten richterlichen Unabhängigkeit – weder der Präsident [...] noch der Direktor [...] gesehen“, teilte OLG-Präsident Werner Richter dem Justizministerium Ende April mit. Auch er selbst „sehe keine tragfähige Grundlage für ein disziplinarisches Vorgehen gegen die beteiligten Justizbediensteten“.
- Die WAZ-Lokalredaktion Duisburg hält Sie auch hier auf dem Laufenden: zum WhatsApp-Kanal +++ Duisburg-Newsletter gratis ins E-Mail-Postfach schicken lassen +++ WAZ Duisburg bei Instagram +++ WAZ Duisburg bei Facebook
Darüber hinaus, so Richter, hätten die Duisburger Behördenchefs mit den Ermittlungsrichterinnen und -richtern des Amtsgerichts sowie den „Servicekräften der betroffenen Abteilung“ über die Abläufe gesprochen. Demnach „zeigten sich alle Beteiligten sensibilisiert für den Umgang mit Androhungen schwerer Straftaten – insbesondere über Social-Media-Kanäle“.
Staatsanwaltschaft gründet zwei Sonderdezernate
Zudem seien alle Richterinnen und Richter des Landgerichts sowie die Direktorinnen und Direktoren der Amtsgerichte mit einem Rundschreiben zum Umgang mit Verfahren sensibilisiert worden, in denen Straftaten – „insbesondere über Social Media“ – angekündigt werden. Darüber hinaus sei auch „eine Sensibilisierung“ zum Umgang mit als „(besonders) eilig gekennzeichneten Eingängen“ erfolgt.
Die Staatsanwaltschaft Duisburg hat im Sommer sogar auf organisatorischer Ebene reagiert: Mit einer vom Justizministerium NRW zugewiesenen Planstelle hat sie zwei Sonderdezernate „zur intensivierten Verfolgung psychisch auffälliger Straftäterinnen und Straftäter“ eingerichtet (wir berichteten).