Duisburg/Homberg. Sie leben in Bauwagen ohne Strom und Heizung, sie duschen mit Regenwasser – und das mitten in Duisburg: Aussteiger geben Einblicke in ihre Welt.
1994 hat sich eine kleine Gruppe von Menschen in Duisburg zusammengefunden, die einfach anders leben wollte. In Bauwagen. Ohne jeden Komfort. Immer wieder gefiel das irgendwem nicht. Auseinandersetzungen und die ständige Angst um das Ende seines Domizils prägten die ersten Jahrzehnte des „Vereins für experimentelles Wohnen“. Inzwischen ist es ruhig um den einzigen Bauwagenplatz in Duisburg geworden. Doch es gibt ihn immer noch.
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Bei der Feier zum 30-jährigen Bestehen gewährte der Verein tiefe Einblicke in das Leben der aktuell vier Bewohner auf dem Bauwagenplatz und blickte zurück auf die Anfänge.
Leben im Bauwagen: Anfänge im Duisburger Innenhafen
Dass man sich 1994 ausgerechnet den Innenhafen als ersten Standort ausgesucht hatte, erwies sich als keine gute Idee. Der sollte ja schließlich ein Aushängeschild für Duisburg und kein Zentrum für alternative Lebensformen werden. So zog die Gruppe 1995 mit ihren mobilen Wohnungen nach Homberg-Hochheide um. Seitdem stehen die Bauwagen in einem Waldstück zwischen Breite Straße und Ehrenstraße, ganz in der Nähe des Bauspielplatzes „Tempoli“.
Die neuen Nachbarn passten nicht allen. Immer wieder gab es Ärger wegen angeblicher Umweltverstöße und fehlender Mülltrennung sowie Vorwürfe, Grundbedürfnisse einfach in freier Natur zu erledigen. Die Stadt kündigte 2014 nach einem Beschluss der Bezirksvertretung Homberg/Ruhrort/Baerl den Nutzungsvertrag. Die Bauwagenleute initiierten diverse Protestaktionen, sammelten 5000 Unterschriften für den Erhalt des Platzes und wehrten sich auch gegen eine Räumungsklage. Ende 2016 schlug der damalige Dezernent Thomas Krützberg versöhnliche Töne an und schloss eine Zwangsräumung aus.
Erfolgreiche Protestaktionen nach Kündigung 2014
Und so sind die Bauwagen-Bewohner nach vielen großen und kleinen Kämpfen noch immer da. „Inzwischen ist es ruhig geworden“, sagt Fred Walt, Vorsitzender des Vereins experimentelles Wohnen. „Mit den Nachbarn haben wir ein normales Verhältnis.“
Aktuell sind es drei Männer und eine Frau, die auf dem Bauwagenplatz leben. Fred Walt ist seit 2008 hier. Der Verein? „Der hat so viele Mitglieder, wie ein Verein haben muss“, antwortet der 51-Jährige trocken: „Fünf.“ Walt ist als Musiker unterwegs, wenn er nicht gerade im Wald ist. „Hier kann ich endlich ohne Ärger üben“, so der Schlagzeuger. Seine Rock-Band „Klimakiller“ aus Köln spielt zur 30-Jahr-Feier auf.
Fred Walt hat auch die Mitglieder einer Marching-Band eingeladen, die er vor 16 Jahren ins Leben rief. „Wir hatten schon 300 Auftritte“, berichtet er. Jeder könne da mitmachen. Ansonsten ist der Bauwagen-Vorsitzende etwas wortkarg und zurückhaltend. Seinen eigenen Bauwagen will er nicht zeigen, zu Fotos muss man ihn überreden. Die Jahre der Auseinandersetzung mit Menschen, die die Lebensweise der Bauwagenbewohner ablehnen, haben offenbar Spuren hinterlassen.
„Vielleicht sind wir hier ein bisschen scheu geworden“, meint Jörg und lächelt freundlich. Der 60-Jährige ist gebürtiger Duisburger und lebt seit zweieinhalb Jahren auf dem Bauwagenplatz. „Aussteiger“, antwortet er auf die Frage, was er denn so mache. Und: „Ruhe ins Leben kriegen.“ Nein, seinen Nachnamen will er nicht nennen, und er möchte auch kein Foto, obwohl er mit seinem weißen Rauschebart ein prächtiges Motiv wäre.
Duschen mit Regenwasser
Jörg lebt in einem 40 Jahre alten Wohnwagen. „Minimalistisch“, fasst er seine Lebensumstände zusammen. „Geduscht und gewaschen wird mit Regenwasser und Kernseife“, erzählt er. „Heizung habe ich nicht, dafür einen Schlafsack der Bundeswehr für Einzelkämpfer.“ Der hält ihn bei bis zu minus 30 Grad warm. Lächelnd zeigt er die Toilette, die sich in einem liebevoll gezimmerten Häuschen am Rande des Platzes befindet. Der Wald ragt beinahe ins Fensterchen hinein.
Vieles, was man zum Leben auf dem Platz brauche, finde man bei Camping-Artikeln, weiß Jörg. Dusch-Beutel zum Beispiel, oder ausrollbare Solar-Kissen, mit denen man Akkus aufladen kann. Zum Beispiel für sein Radio. So etwas kaufe er, wenn es im Sonderangebot sei. Sein Einkommen bestreitet er hauptsächlich mit Flaschensammeln.
„Bürgergeld habe ich nicht beantragt.“
„Bürgergeld habe ich nicht beantragt“, sagt Jörg. Das passt wohl auch nicht zu seiner Vorstellung von Freiheit. Im Augenblick renoviert er einen alten, ungenutzten Bauwagen. „Wenn der mal fertig ist, habe ich sechs Quadratmeter mehr.“
In der ersten Stunde der 30-Jahr-Feier sind kaum ein Dutzend Besucher zum Bauwagenplatz gekommen. Zwei Nachbarinnen aus Hochheide sind darunter. „Ich habe früher selbst mal bei der Marching-Band mitgemacht“, erzählt eine. „Wir sind oft hier gewesen. Hier war immer was los. Das hat Spaß gemacht“, schließt sich die andere an.
Zwei neue Interessenten für die Marching-Band sind auch angereist. Ursula hat einen Auftritt in ihrer Heimatstadt Essen gesehen. „Als ich gehört habe, dass die heute öffentlich proben, bin ich extra hierher gekommen.“ Der junge Mann, der neben ihr steht, weiß noch nicht genau, worum es geht. Simon kommt aus Düsseldorf. „Ich will mal reinschnuppern“, meint er und hat seine Gitarre mitgebracht.
Die Uhr bestimmt hier nicht den Rhythmus des Lebens
Die beiden sehen ein bisschen ratlos aus. Vielleicht, weil sie sich fragen, wo eigentlich die anderen sind, mit denen sie üben sollen. Da kann man vermutlich nur den Rat geben: hinsetzen, Wasser trinken und die Natur genießen. Denn eines ist schon nach einem kurzen Besuch auf dem Bauwagenplatz klar: Die Uhr bestimmt hier nicht den Rhythmus des Lebens.