Duisburg. Wieso auch dieser radikalisierte Syrer den Behörden nicht auffiel. Bis er 2023 ein Messer nahm und im Namen des IS zum Mörder wurde.
Er kam aus Syrien, radikalisierte sich allein. Wenig wussten die deutschen Behörden über den 26-Jährigen, der als Flüchtling nach Deutschland eingereist war. Bis er ein langes Messer zog, einen jungen Mann geradezu „abschlachtete“ und mehrere andere schwerst verletzte. Geschehen in Duisburg, vor nicht viel mehr als einem Jahr: Das war Maan D., der sich vor Gericht zur Terrororganisation IS bekannte und wortreich erklärte, er habe „alle töten“ wollen. Eine Horrorgeschichte, die fatal an die jüngsten Ereignisse von Solingen erinnert.
Maan D. und Issa al H., obwohl fast gleich alt und beide aus Syrien, dürften sich nicht gekannt haben. Doch das Muster der Taten des inzwischen Verurteilten von Duisburg und des bislang Verdächtigen von Solingen ähnelt sich – und es zeigt, wie schwierig es ist, allein handelnde Islamisten aufzuhalten, die zu allem entschlossen sind. Oft hat NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) schon gewarnt, dass Influencer des IS „radikalisierte Einzeltäter oder Kleinstgruppen zu Anschlägen in den ,Ländern der Ungläubigen‘ motivieren“.
In NRW sind 600 gewaltorientierte Salafisten bekannt
Noch bei der Vorstellung des „Lagebilds Islamismus“ im Mai dieses Jahres sprach Reul einmal mehr von einer „abstrakt hohen Gefahr“, die „ganz schnell konkret werden“ könne. Besonders gefährlich, so die Verfassungsschützer damals, erschienen dabei Einzeltäter ohne Anbindung an Terrorgruppen, die kaum zu erfassen seien. Nicht wie die im Mai genannten 2600 extremistische Salafisten, unter ihnen 600 gewaltorientierte, die nachrichtendienstlich bekannt sind. Aber wie Maan D. und nun auch Issa al H.?
Maan D., damals 27, wurde im Dezember 2023 vom Oberlandesgericht Düsseldorf (OLG) zu lebenslanger Haft mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt, wegen Mordes und vierfachen Mordversuchs sowie gefährlicher Körperverletzung. Der Staatsschutzsenat erkannte zudem auf „Besondere Schwere der Schuld“, der Syrer wird wohl nie wieder freikommen. Er hatte zu Ostern vergangenen Jahres erstmals brutalst zugeschlagen: Damals tötete er den 35 Jahre alten Irfan D. in der Duisburger Altstadt mit 28 Messerstichen; der Mann hatte auf der Straße mit Freunden gefeiert. Wenige Tage später griff er vier Männer im Umkleidebereich eines Fitness-Studios wenige Schritte entfernt an, drei wurden lebensgefährlich verletzt. Sie kämpfen bis heute mit den Folgen.
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Dass beide Taten von demselben Täter verübt wurden, fand erst die Spurensicherung heraus: Genmaterial am Schuh und ein Fahndungsfoto von einem Mann mit Rucksack und Kappe führte die Polizei in eine unscheinbare Wohnung an einem wenig belebten Ende der Fußgängerzone. Maan D. erwartete die Polizei mit zwei großen Messern. Auf seinem Mobiltelefon fanden die Beamten Bilder und Videos mit islamistischem Hintergrund – das war auch für den Staatsschutz neu: Zuvor war der Asylbewerber mit Aufenthaltstitel lediglich wegen zweier „geringfügiger Vermögensdelikte“ aufgefallen.
Warum Behörden es mit Einzeltätern so schwer haben
Wer Maan D., eingereist 2016 und damit sechs Jahre früher als Issa al H., wirklich ist, erfuhr die entsetzte Öffentlichkeit im Prozess: ein Mann, der angeblich vor dem Militärdienst in Syrien floh, sich aber in Duisburg still radikalisierte. Er lebte von staatlichen Hilfen, besuchte selbst Fitness-Studios und guckte, unbemerkt auch von Freunden, auf dem Handy Gewalt-Videos und Terroraufrufe im Internet. Nach seiner Festnahme schwieg er zunächst monatelang, bekannte sich nicht zum IS. Erst im Hochsicherheitstrakt des OLG begann er zu reden und hörte nicht mehr auf. Am meisten in Erinnerung blieb dieser oft wiederholte Satz: „Ich wollte so viele wie möglich töten. Ich wollte sie eigentlich alle töten.“
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Der Staatsschutzsenat sprach bei der Urteilsverkündung von „ungewohnter Offenheit“, mit der D. seine radikalislamische Gesinnung gezeigt habe. Vor laufenden Kameras hatte er mehrfach provokativ den rechten Zeigefinger hochgestreckt, ein Erkennungszeichen der IS-Kämpfer. Hatte erklärt, wie er Deutschland, den Rechtsstaat und seine Bürger verachte. Maan D., so steht es im Urteil, wollte mit dem Töten möglichst vieler „Ungläubiger“ einen Beitrag zum weltweiten Dschihad leisten, mitmachen beim „Heiligen Krieg“ der Islamisten. Sterben sollten Menschen, die am gesellschaftlichen Leben teilnahmen – „Repräsentanzopfer“, wie der Generalbundesanwalt sagte. Wie der feiernde Irfan D. auf Duisburgs privater Party, wie die feiernden Solinger bei ihrem Stadtfest?