Duisburg. Löchrige Turnschuhe, kaum Kleidung zum Wechseln, aber die Hoffnung auf einen Weg aus der Armut: drei Duisburger sprechen ganz offen darüber.
Im Urlaub waren sie noch nie, nur einmal auf Klassenfahrt an der Nordseeküste. In den Sommerferien können sie sich nicht mal das Schwimmbad leisten. Wenn Politiker über Kinderarmut in Deutschland diskutieren, über Familien, die von Bürgergeld leben, dann reden sie über drei Millionen Kinder und Jugendliche, dann geht es um die Lebenswelt von Mirco (18), Luca (18) und Steward (17).
Die Duisburger Jungs kennen die Preise auswendig, fünf Euro Eintritt für das Kruppsee-Freibad sind „einfach nicht drin“. Familien-Ausflüge auch nicht. „Einmal waren wir im Zoo, aber das war keine Entspannung, weil überall Buden sind.“ Pommes, Eis, Cola, lauter Verlockungen, die sie sich nicht leisten können.
Kinderarmut in Duisburg: Kein Geld für Süßigkeiten
Mircos Familie lebt vom Bürgergeld (Hartz IV), die Eltern seien gesundheitlich stark beeinträchtigt, könnten nicht arbeiten. Deshalb fehlt es an allem, findet er, am schwierigsten sei der Verzicht auf Süßigkeiten. Sie seien arm und das Land würde für Familien wie seine zu wenig tun, das sei „zum Schämen“.
An der Berufsschule hat er den Realschulabschluss nachgeholt, jetzt hofft er auf eine Karriere bei der Feuerwehr oder der Bundeswehr. Als Lagerist hat er schon mal gejobbt, gerade ist er aber wieder arbeitslos, hängt also im Jugendzentrum rum. Hier hat er wenigstens kostenloses Wlan für sein altes Handy. Einen Vertrag und mobile Daten kann er sich nicht leisten. Steward ist auch ständig blank, hier abhängen kostet ihn nichts.
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Das Jugendzentrum in Rheinhausen ist ihr Treffpunkt. „Hier können wir Musik hören, kochen, „das ist wie ein zweites Zuhause“, sagen sie. Und wenn sie sich bei Netto ein Eis holen, „dann ist das wie Urlaub“, nur günstiger.
Für besondere Ausgaben wochenlang vorher sparen
Mirco weiß noch, wie das war, als er das erste Geld selbst verdient hat: Eine „Vape“ hat er sich gegönnt, ein paar Klamotten, „da war die Kohle weg“. Also hat er mit dem Rauchen aufgehört und seine Sachen trägt er wieder „fünf Tage am Stück, ich hab nicht so viel zum Wechseln“.
Seine Eltern hoffen, dass die Kinder nicht abrutschen, „es ist schwer, aus dem Bürgergeld rauszukommen“, hat Mirco gesehen. Schon in der Grundschule war ihm klar, dass es knapp ist: „Für einen Klassenausflug haben wir Wochen vorher angefangen, zu sparen.“
Mit Coupons und Supermarkt-Apps jagen sie Schnäppchen. Denn wenn die Melone statt der 1,49 € nur 49 Cent kostet, bleibt Luft für eine Tüte Chips.
Eine Ausbildung machen, Geld verdienen – davon träumen sie
Steward ist Halbwaise und hat schon einiges hinter sich. „Ich war nicht immer zuverlässig“, sagt der 17-Jährige, der eine Förderschule besucht hat. Über Projekte wie „Kurve kriegen“ kam er zum Sport, dank des Trainings hat er sich besser im Griff und nach Praktika hat er nun Lust bekommen, mit Holz zu arbeiten, Tischler zu werden. Vor allem will er nicht länger arm sein. „Ich kann hoffentlich in eine betreute WG ziehen, da bekomm ich dann auch Taschengeld.“
Einen Schritt weiter ist Luca, der 18-Jährige fängt bald eine Ausbildung zum Anlagenmechaniker in einem Sanitärbetrieb an. Zwei Betriebe hätten sich um ihn trotz Förderschulabschluss gerissen, erzählt er stolz – und obwohl er wegen „krimineller Sachen“ sogar vor Gericht landete. „Ich hatte Glück, sie haben es eingestellt“. Genauer will er nicht werden.
Schulkarriere durch die Corona-Pandemie schwer belastet
Arbeiten findet der 18-Jährige, der nach verschiedenen Pflegefamilien und Heimen bei der Oma lebt, gut. Selbstständig sein, unabhängig sein, das ist das Thema der jungen Männer.
Schule war nie ihr Ding, auf seine Klasse hat Luca sogar richtige „Hasskicks“. Auch die Corona-Pandemie hat alle drei hart getroffen. Beengte Wohnverhältnisse, familiäre Konflikte und wenig Unterstützung, kein Geld für Internet oder Druckerpatronen: Da kommt zur finanziellen Armut schnell eine Bildungsarmut und manchmal noch eine Liebesarmut on top.
Auf das Jobcenter und die Arbeitsagentur sind sie auch eher schlecht zu sprechen. „Die sollen mir eine Ausbildung vermitteln und nicht noch ein Bewerbungstraining“, schimpft Mirco. Einen Ordner voller Bewerbungen habe er bereits. Dass da Grammatikfehler drin sind, weiß er, „aber die würden auch nach so einer Maßnahme nicht verschwinden“.
Seit Monaten ist er arbeitslos und der Frust steigt. Das Fahrrad ist kaputt, die Turnschuhe haben Löcher, aber dank des Deutschlandtickets ist Mirco zumindest mobil. Dass jetzt Sommerferien sind, ändert an seiner Lage nichts. Denn die Freibäder und Seen sind nicht nur wegen des Eintritts weit weg: Er kann gar nicht schwimmen.